Theater in der Schweiz:Heimkehr aus Neugier

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"Man kann uns niedrig behandeln, nicht erniedrigen": Szene aus Schillers "Maria Stuart" in der Regie von Roger Vontobel mit Isabelle Menke als Elisabeth (links) und Yohanna Schwertfeger als Maria. (Foto: Yoshiko Kusano)

Viele Jahre hat der Roger Vontobel nicht mehr in der Schweiz inszeniert. Jetzt ist er in Bern zurück - mit "Maria Stuart".

Von Christiane Lutz

Roger Vontobel kommt zum Gespräch wie ein freundlicher Theaterschlumpf, blauer Anzug, blaue Wollmütze, blitzvergnügtes Lachen. In wenigen Stunden ist Premiere in Bern, "Maria Stuart", normalerweise reparieren Regisseure da noch Bühnenteile oder nervenschwache Schauspieler. Vontobel aber setzt sich erst mal ins Café. Aufgeregt ist er, das schon, aber es ist eine neugierige, erwartungsvolle Aufgeregtheit. Seit dieser Spielzeit leitet er die Schauspielsparte der Bühnen Bern, das sei doch Grund zur Freude.

Roger Vontobel, 44, geboren in Zürich, arbeitet seit Mitte der 2000er-Jahre als Regisseur an allen großen Theatern. Er inszenierte Opern, bei den Nibelungenfestspielen in Worms, erhielt etliche Preise. Seine Arbeiten sind stets nah an den Figuren und von einer gewissen ungestümen Gelassenheit geprägt, die, wenn man ihn trifft, sehr logisch scheint. Nur in der Schweiz, da arbeitete er noch nie. Und genau dort ist er jetzt zurück. Er will was voranbringen im gemächlich-zauberschönen Bern, an dem Vierspartenhaus, das inoffiziell als drittes Haus im Lande gilt, nach Zürich und Basel.

Neben dem Intendanten Florian Scholz begreift er sich mit der Chefdramaturgin Felicitas Zürcher als Teil eines Leitungsteams, "nur bin ich halt der, der die Unterschriften setzt", sagt er. Quoten lehnt Vontobel ab, er will, dass es "fair" zugeht und hat sein Ensemble divers aufgebaut. Vorverurteilungen findet er grauenvoll, egal von welcher Seite. Als er einen umstrittenen Regisseur engagierte, erklärte er, warum er das für eine gute Idee hielt und erwartete, dass das Team dem offen begegnete. "Wer danach immer noch der Meinung war, mit dem nicht arbeiten zu wollen, der muss es auch nicht."

Der Schweizer Roger Vontobel, 44, hat etliche Jahre Regieerfahrung, nur noch nicht in der Schweiz. (Foto: imago/STAR-MEDIA)

Die Frage aber, die Vontobel jetzt, hier, in der alten und neuen Heimat am meisten umtreibt, ist: Wie bringt man Mensch und Theater zusammen? "Über Nähe", glaubt er. Mit Nähe meint er nicht, die Leute einzuladen, die Schwelle zum Theater zu überschreiten, sondern hinaus zu ihnen zu fahren. Für das neue "Schauspiel mobil" packt das Theater ein paar Bühnenelemente, ein paar Techniker und Schauspieler in einen Sprinter und zieht damit aufs Land, auf Dorfplätze und in Gemeindesäle. "Der talentierte Mr. Ripley" führen sie so auf, bald "Der Drache" von Jewgeni Schwarz, auf Schweizerdeutsch. Er habe keine Lust mehr auf "große Ausstattungsarien", sagt Vontobel. "Dass ein Mensch auf einer Bühne einen Text sagt und denkt, das funktioniert. Reduktion auf das Wesentliche."

Es lässt sich daher ahnen, dass Vontobel bei seiner "Maria Stuart", aufgeführt im großen Haus, eher nicht mit krasser Ästhetik protzen würde, wie zuletzt Martin Kušej in Salzburg, der die Königinnen mit einer Horde nackter Männer umstellte. Tut er dann auch nicht. Seine "Maria Stuart" ist reduziert, konzentriert und konservativ inszeniert, wenn konservativ bedeutet, Vertrauen auf Etabliertes zu haben. In der Mitte der leeren Bühne rotiert ein Körper in der Form einer gigantischen, keilförmig zulaufenden Klinge. So gibt es gleich drei riesige Wände, an die sich die Schauspieler drücken können, hinter denen sie lauernd zuhören, was auf der anderen Seite gesprochen wird.

Nur weil die eine Königin gefangen ist, ist die andere noch lange nicht frei

Die eine Seite ist golden lackiert, die andere rostfarben, Königin Elisabeth I. hier, die inhaftierte Maria Stuart dort. Aber nur weil die eine gefangen ist, ist die andere noch lange nicht frei. Vontobel gibt Elisabeth viel Zeit, über die ungehörigen Forderungen des Volkes nach Kindern zu schimpfen, das Dilemma der berufstätigen Frau interessiert ihn. Isabelle Menke spielt eine des Regierens Müde in papstähnlicher Montur (Kostüme: Ellen Hofmann), die sich jeden Funken Wärme abtrainiert hat. Yohanna Schwertfeger ist als Maria Stuart ein Wildfang im roten Samtkleid, mit offenem Haar und Kruzifix-Tätowierung, das ist etwas überillustriert. Schwertfeger spielt sie impulsiv und lasziv, auch das ist bisweilen zu viel. Maria Stuart, die im Geiste freier scheint als ihre Gegnerin, ist dennoch abhängig, auch vom Zuspruch der Männer, die hier eher schwächliche Typen sind, auf den eigenen Vorteil bedacht. Sympathischer als Elisabeth ist diese Maria jedenfalls nicht, was wiederum eine Regieleistung ist, schließlich würde es sich der Zuschauer ja gern gemütlich machen und sich buchstäblich auf eine Seite der Wand schlagen wollen.

Vontobel erzählt einen rasant psychologischen Politthriller, eine Geschichte von Information und Verrat. Hier wissen die Figuren oft mehr, als es der Schillertext nahelegt, sie verfügen über die Macht der Information, die sie für sich nutzen können. Was stand denn nun in Maria Stuarts Briefen, was davon ist gefälscht, was nicht, wer wusste davon? Schillers Blankverse kommen den Schauspielern dabei erstaunlich leicht über die Lippen, Keith O'Brien hat dazu einen Soundtrack geschaffen, der einem Netflix-Intro in nichts nachsteht. Vontobel führt die beiden Königinnen gelassen aufeinander und Maria Stuart schließlich auf den spitzen Keil, ihrer Hinrichtung zu. Er behält recht, Mensch und Text, mehr braucht es nicht. Auch so geht Nähe.

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