Berlin vor den Wahlen:Warum Kulturpolitik in Berlin so schwer ist

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Am Sonntag wählt Berlin sein Abgeordnetenhaus. (Foto: dpa)

Der Regierende Kulturbürgermeister Michael Müller und sein Staatssekretär Tim Renner machen ziemlich gute Politik. Woran liegt es, dass die Stimmung so viel schlechter ist als die Lage?

Von Jens Bisky

Seit nicht einmal zwei Jahren sind der Regierende Kulturbürgermeister Michael Müller und sein Staatssekretär Tim Renner gemeinsam für Kulturelles im Land Berlin verantwortlich. Sie haben den Etat kräftig erhöht, mal kluge, mal wenigstens interessante inhaltliche Entscheidungen getroffen. Und doch ist die Stimmung außergewöhnlich gereizt. "Auf den Renner könnte ich gut verzichten", hört man selbst am Rande des SPD-Kulturempfangs.

Die Ensembles der Volksbühne und des Staatsballetts protestieren erbittert gegen die ihnen zugeteilten Intendanten und können damit große Teile des Betriebs mobilisieren. Kulturbürger schimpfen auf den Pop- und Eventmann Tim Renner, dem es an Stallgeruch fehle. Immer wieder werden dem Duo Müller-Renner Ahnungslosigkeit und Ignoranz vorgeworfen. Dermaßen erregt, empört und gespalten ist die Kulturszene der Hauptstadt seit den Tagen des PDS-Kultursenators Thomas Flierl nicht mehr gewesen, den von 2002 bis 2006 die letzten Stürme des Ost-West-Streits zerzausten.

Müller und Renner haben viel erreicht. Trotzdem ist die Stimmung miserabel

2016 sind für den gesamten Kulturetat 33 Millionen Euro mehr eingeplant als 2015, im kommenden Jahr sollen noch einmal 50 Millionen mehr dazukommen. Die Mittel für die freie Szene wurden um beinahe 50 Prozent erhöht. In den Planungsgewittern für das Humboldt-Forum setzte sich Michael Müller mit der neuen Idee durch, der Weltstadt eine eigene Ausstellung zu widmen, und in dem niederländischen Kurator Paul Spies wurde einer gefunden, dem ein guter Berlin-Auftritt im Schlossneubau gelingen könnte. Seine Pläne für die vielen Häuser des Stadtmuseums, dessen Direktor Spies seit Anfang 2016 ist, überzeugen. Chris Dercon wird als Intendant der Volksbühne mit den Berliner Festspielen und dem Haus der Kulturen der Welt zugleich konkurrieren. Die nötigen Mittel dafür sind versprochen, dass Dercon und sein Team Erfolg haben, ist nicht ausgeschlossen. Projekte für bezahlbare Ateliers gibt es, auch Pläne, die vernachlässigten Bibliotheken als Wohnzimmer der Stadtgesellschaft zu ertüchtigen.

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Im Einzelnen kann man viel kritisieren, streiten. Das gehört dazu. Wann die größte deutsche Bibliothek für ein allgemeines Publikum, die Zentral- und Landesbibliothek, endlich einen Neubau bekommt, ist noch immer ungewiss. Aber sonst muss man sich für die kulturpolitische Bilanz der vergangenen zwei Jahre in Berlin nicht schämen. Woran liegt es dann also, dass die Stimmung so viel schlechter ist als die Lage?

Der Zeitgeist der allgemeinen Elitenverachtung wird eine Rolle spielen, aber das ist nicht alles. Hinzu kommen strukturelle Eigenheiten Berlins. Vom kulturellen Geschehen in der Stadt bekommt jeder nur einen kleinen Teil mit: die Gedenktafel für David Bowie, Auszeichnungen für das Gorki-Theater und die Erfolge der Komischen Oper. Kulturpolitisch stehen aber ein Puppentheater in Prenzlauer Berg, die Bibliothek in Marzahn oder ein Kunsthaus in Zehlendorf genauso auf der Tagesordnung. Doch die Bezirke - jeder eine Großstadt für sich - sind mächtige eigenständige Akteure - so wie der Bund, der mit Millionen Euro Hauptstadtkultur fördert, und die Kreativwirtschaft mit ihren gut gehenden Galerien, berühmten Clubs auf der einen und den Hungerlöhnen für Gestalter, Entwickler, Musiker auf der anderen Seite.

Welche Rolle die Kulturpolitik des Landes in dieser zerklüfteten Landschaft voller Kiezinteressen spielen sollte, ist lange nicht diskutiert worden. Tim Renner scheint vor allem den Erneuerungsdruck, das Veränderungstempo erhöhen und neue Verbindungen herstellen zu wollen. Das war wahrscheinlich, wenn es denn überhaupt eines gab, das Kalkül hinter der Auswahl der neuen Intendanten für die Volksbühne und das Staatsballett. Die Entscheidungen durch Argumente zu legitimieren, die unmittelbar Betroffenen einzubeziehen oder ihnen wenigstens das Gefühl zu geben, sie hätten teil an der gewünschten Entwicklung, ist kaum versucht worden. Vielmehr schien es, als sollte die bessere Zukunft wie ein Geschenk der Obrigkeit herabschweben.

Das erinnert an den guten alten sozialdemokratischen Paternalismus. Die Floskel, die Leute hätten eben Angst vor dem Neuen, verwandelt Bürger in Therapiefälle und wird von diesen zum Glück nicht mehr akzeptiert. Für die Vergabe der Fördermittel an die freie Szene werden Mitsprachemöglichkeiten und unbürokratische Verfahren erprobt, aber es sind auch an den traditionellen Theatern neue Ansprüche auf Partizipation entstanden. Seit der Niederlage für obrigkeitliche Beglückungsprojekte auf dem Tempelhofer Feld kann man wissen, dass eine große Zahl der Berliner einen anderen Regierungsstil wünscht. Er ist, auch in der Kulturpolitik, nicht in Sicht.

Hauptproblem ist der Zweifel an der Effizienz der Regierung und ihrer Verwaltung

Dort, wo es nicht um den Umbau ehrwürdiger Institutionen ging, fehlt der Veränderungs- und Verknüpfungsdrang auffallend. Berlin freut sich, dass der Bund ein neues Museum der Moderne baut, hat aber auf größere Ambitionen einer städtebaulichen oder kulturpolitischen Einbindung verzichtet. In Dahlem werden demnächst Museumsgebäude leer stehen, ziehen die Sammlungen doch nach Mitte ins Humboldt-Forum. Wann wird Berlin Ideen diskutieren, was da geschehen könnte? In einer wachsenden Stadt - jährlich kommen etwa 50 000 Neuberliner dazu - kann man sich Leerstand nicht leisten.

Das entscheidende Problem hat nur am Rande mit Kulturpolitik zu tun, spielt aber überall und ständig in sie hinein. Kurz könnte man vom BER-Fluch reden, tiefer wäre vom grundsätzlichen Zweifel an der Effizienz des Regierungs- und Verwaltungshandelns in Berlin insgesamt zu sprechen. Die politische Kultur der Stadt wird noch lange darunter leiden, dass nach dem Desaster und der Skandalkaskade beim Flughafenneubau die Regierung nicht abgewählt wurde. Statt neu anzufangen, wurde die Fertigkeit vervollkommnet, mit dem, was nicht hinzunehmen ist, weiterzuleben, solange es geht. Und es geht in Berlin oft sehr lange: auf der Staatsopernbaustelle, dem Kultur-BER, inmitten des Lageso-Chaos, im alltäglichen Bürgeramtswirrwarr. Als Bauarbeiten für Wohnhäuser eines der wichtigsten Baudenkmäler der Stadt, Schinkels Friedrichswerdersche Kirche, grausam beschädigten, reagierte der Senat mit Schadensabwicklungsroutine. So sät man dauerhaftes Misstrauen.

Tim Renner würde sein Amt gern weiter ausüben. Es wäre möglich, nach den Abgeordnetenhauswahlen wieder einen eigenständigen, einen richtigen Kultursenator einzusetzen. Aber die administrative Zuordnung ist nicht so wichtig. In den vermutlich schwierigen Koalitionsverhandlungen werden ohnehin andere Fragen im Vordergrund stehen. Die Umfragen bestätigen Alltagsimpressionen: Berlin bleibt in verschiedene Milieus zerfallen, und der Glaube, unter dem Wachstumsdruck gemeinsam profitieren zu können, ist geringer denn je. Einigen kann man sich darauf, dass dieser Druck unausweichlich steigt. Auch die Berliner Kulturwelt, Macher wie Publikum, ist in einander zunehmend gleichgültige oder feindliche Milieus zerfallen. Integrationsvokabeln und umarmende Behauptungen - "Experiment", "Innovation", Kultur ist das, was Berlins Attraktivität ausmacht, Kultur ist Vielfalt - integrieren nicht mehr. Umarmungsversuche werden unwillig zurückgewiesen oder sogar als Zeichen wachsenden Drucks verstanden. Ob das Duo Müller-Renner daran schuld ist, dafür etwas kann? Sie werden eine Antwort darauf finden oder mit immer neuer Empörung leben müssen.

© SZ vom 15.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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