NS-Kontinuität in der Nachkriegszeit:Ein Mann und seine Mäntel

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Gleich zweimal Direktor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen: der Kunsthistoriker Ernst Buchner. (Foto: Georg Schödl/SZ Photo)

Ernst Buchner beriet als Chef der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen Hitler, raubte den Genter Altar - und kam dennoch 1953 auf seinen alten Posten. Die Kunsthistorikerin Theresa Sepp hat seine Biografie geschrieben.

Von Catrin Lorch

Ernst Buchner sei einer der "unzähligen" Deutschen, die "obwohl sie innerlich den Nationalsozialismus und seine schlimmen Folgen ablehnten, dennoch damit einverstanden waren, ein repräsentatives Amt zu bekleiden, aus Gründen des persönlichen Ehrgeizes wie der Furcht, im Abseits zu stehen", heißt es in dem Gutachten. "Diese Männer tragen eine schwere Verantwortung gegenüber der Menge ihrer Landsleute, weil sie die Fanatiker und die Kriminellen mit dem notwendigen Mantel der Respektabilität ausstatten."

Ein Urteil, das eigentlich nicht viel Spielraum lässt - erstaunlich hellsichtig formuliert von Hauptmann Theodore Rousseau, der als einer der berühmten "Monuments Men" im Auftrag der Alliierten den Münchner Museumsdirektor Ernst Buchner verhört hatte, nachdem der am 18. Juni 1945 in Einzelhaft in Stadelheim kam und später nach Aussee verlegt worden war. Von so einem Verdikt, so sollte man meinen, erholt man sich nicht mehr.

Kurz vor der Machtergreifung berufen, wirkte er als Direktor von 1932 bis 1945 an den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, war als prominenter Vertreter der Kulturelite und Ratgeber von Adolf Hitler persönlich so hoch geschätzt, dass er noch während der letzten Kriegstage in dessen Bunker zur Begutachtung von Bildern geladen war, um, wie er stolz in seinem Tagebuch vermerkte, in einem "beschwingten Augenblick" mit dem "Führer" des "tausendjährigen Reiches" über Bergungsfragen zu plaudern.

Die Alliierten hielten ihn für einen Nazi, die Deutschen gaben ihm einen Orden für "Geschick und Mut"

Wie kommt es, dass dieser als NS-Funktionär eingestufte Würdenträger, der nach dem Willen der Alliierten nicht einmal mehr als Beamter beschäftigt werden sollte, nach einer Unterbrechung von weniger als zehn Jahren im Jahr 1953 sein altes Amt als Direktor wieder bekleiden durfte? Das hat mehr als ein halbes Jahrhundert lang offensichtlich niemanden interessiert: Buchner, der als prägende Figur des bayerischen Museumskomplexes im 20. Jahrhundert gelten muss, gelang es sogar, die historischen Fakten so zu manipulieren, dass er 1959 mit dem Bayerischen Verdienstorden ausgezeichnet wurde, vor allem für den "Geschick und Mut" mit dem er sich "den Zumutungen widersetzt habe, impressionistische und expressionistische Kunstwerke zu veräußern".

Erst die jetzt als Dissertation publizierte Biografie der Kunsthistorikerin Theresa Sepp schaut genauer auf diese Karriere - von den Anfängen des 1892 in München geborenen, hochbegabten, erzkonservativen, dem völkischen Denken verhafteten Kunsthistorikers über dessen Höhenflug während der NS-Zeit bis zu dem gefeierten Wirken in der Nachkriegszeit. Dass Sepp nicht nur erstmals Akten und Unterlagen in den öffentlichen Archiven systematisch ausgewertet hat, sondern von Buchners Familie auch Zugang zu privaten Unterlagen, Briefen und Tagebüchern erhielt, macht ihre Forschungsarbeit zudem unerhört lesenswert. Buchner taugt zum Musterbeispiel eines Deutschen, der sich hervorragend zu arrangieren verstand.

Sepp interpretiert wach auch Zeichnungen - wie eine Karikatur der neuen Machthaber nach der Machtergreifung, die Buchner und enge Freunde signieren. In so einer Aktion wird die Ablehnung der neuen Machthaber durch die elitären Kunsthistoriker kurz sichtbar. Auch Beobachtungen wie die eigenartige Friedenstaube sind sprechend - mit dem Vogel verziert Buchner während der amerikanischen Gefangenschaft hoffnungsfroh sein Tagebuch, in dem er festhält: "Denn was hast du diese 12 Jahre anderes getan, als deine Pflicht. Eintritt in die P[artei] war Voraussetzung für einen konsequenten inneren Kampf gegen die verkitschte n[ational] s[ozialistische] Kunstpolitik."

Dass der Museumsdirektor die Verscherbelung eines Van Gogh kritisiert hatte, in seiner Zeit als Museumsmann in Köln später als "entartet" geltende Künstler angekauft hatte und sich durchaus auch einmal den Beschlagnahmungen der Nazis widersetzte, stellt die Biografin gekonnt seiner Selbstheroisierung in der Nachkriegszeit gegenüber. Da stilisierte sich Buchner dann zum "Retter der Pinakothek", der nicht nur die Kunst vor Bomben und Beschlagnahmung geschützt hat, sondern auch kunsthistorisch immer auf der richtigen Seite stand. Spannend auch die Analyse der von Buchner angestoßenen Initiative zum Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Alten Pinakothek. Die Debatte um einen möglichen Neubau spaltete die Öffentlichkeit, rief alte Mitstreiter auf den Plan und wurde zum Vehikel, mit dem sich Buchner wieder auf seinen alten Posten manövrierte.

Für Kunsthistoriker sind darüber hinaus vor allem die aufmerksame Beurteilung der Ankaufspolitik Buchners aufschlussreich: einerseits der durchaus NS-konformen Akquisen deutscher Malerei - vor allem Altmeister - während der NS-Zeit. Und dann die unerwartete Hinwendung zur zeitgenössischen Kunst in der Nachkriegszeit: In ganz Deutschland einigten sich ausgerechnet die Kunsthistoriker, die bis zum Kriegsende bereitwillig eine deutsche Kunstgeschichte propagiert hatten, auf eine "Weltsprache der Abstraktion", um die neue, politisch geforderte Westbindung zu untermauern.

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