Allein schon das Filmplakat, herrje, was da alles los ist! Umspielt von einer infernalisch rot leuchtenden Korona präsentiert sich eine Truppe Hollywoodstars in der doppelten Stärke einer Fußballmannschaft. In ewigen Kampfposen scheinen sie dort erstarrt, und an den Kinokassen hatte das Wimmelbild bereits den gewünschten Effekt. Mit Einnahmen von 250 Millionen Dollar zog "Avengers: Infinity War" am bisherigen Rekordhalter für den besten US-Start, "Star Wars: Das Erwachen der Macht", vorbei. Dabei ist sein Thema eigentlich, trotz des Titels, die Endlichkeit.
Es ist der 19. Film im vor fast genau zehn Jahren etablierten "Marvel Cinematic Universe". So heißt die erzählte Welt, die all diese Helden teilen, sodass sie Gastauftritte in den Filmen ihrer Kollegen haben können. Das "MCU" war bisher die Geschichte eines unaufhaltsamen Wachstums. Wenn ein neuer Held eingeführt wurde, bekam er zunächst mediale Schützenhilfe von etablierten Figuren, um von deren Markenwerten zu profitieren. So wie Hollywood das früher machte, als die Studios die Leinwanddebüts neuer Talente, die sie als Stars aufbauen wollten, bei der Vermarktung extra auswiesen und mit bereits bekannten Gesichtern flankierten. Dasselbe findet hier auf der Erzählebene statt.
Da taucht dann gern mal kurz vor Schluss ein neuer Kämpfer auf, um das Blatt in der entscheidenden Schlacht doch noch zu wenden. Als Belohnung erhält er dafür einen eigenen Film. Mit ihm im Schlepptau kommt dann eine ganze Welt, aus der er stammt. So gelangte zuletzt das afrikanische Fantasieland "Wakanda" auf die Marvel-Landkarte. Es hatte sich, wie wir in "Black Panther" erfahren, die ganze Zeit hinter einem unsichtbar machenden Schutzschirm versteckt.
Gibt es Anschlussfehler zwischen den Filmen, beginnen die Hardcore-Fans zu murren
Diese Welten passen natürlich eigentlich nicht zusammen. In "Infinity War" kämpft Spiderman, der sich in seinem letzten Solo-Film noch als freundliche Nachbarschafts-Spinne durch die Vororte schwang, plötzlich auf der Außenhülle eines Raumschiffs, an der Seite eines zeitreisenden Magiers. Der erzählerische Aufwand, all das zusammenzuhalten, steigt mit jedem weiteren Film. Zum Beispiel hat der Held Thor in "Thor: Ragnarok" sein Auge verloren. In "Infinity War" braucht er also ein neues. Das kriegt er vom kämpfenden Waschbären Rocket Racoon - was wiederum eine Anspielung auf den ersten Teil der "Guardians of the Galaxy" ist. Die werden nun ebenfalls ins Avengers-Universum eingespeist.
Für ein derartiges Hinterherräumen bleibt aber oft keine Zeit, weshalb sich die Anschlussfehler zwischen den Filmen häufen. Gerade die Hardcore-Fans, denen so was auffällt, beginnen im Internet zu murren. Dinge aus vorigen Teilen, die nicht ins Konzept passen, sind plötzlich nie geschehen; ein dramatisch geläuterter Recke gibt sich wieder als das alte Großmaul, weil für Eigenbrötlereien im Team keine Zeit bleibt; und wenn jemand gestorben ist, um einen Solo-Film zu krönen, taucht er eventuell schon im nächsten aus hanebüchenen Gründen wieder auf. Schließlich sind sie Marken und damit bares Geld wert. Das kann man nicht einfach verbrennen.
Es passiert also Entscheidendes, wenn "Infinity War" nun die Todesglocken läutet. Das war schon vorab gerüchteweise zu vernehmen und sorgte für wohliges Erzittern bei den Fans. Und tatsächlich: Es ist noch nicht einmal die Titelsequenz gelaufen, da packt Thanos, der seit dem ersten "Avengers"-Teil als finsterer Strippenzieher im Hintergrund aufgebaut worden war, eine der wichtigeren Figuren an der Gurgel. Er drückt zu, die Augen seines Opfers verfärben sich blutrot, dann wirft er den toten Körper achtlos zur Seite. Da waren's nur noch 23. "Keine Wiederbelebungen dieses Mal", knurrt er. Der Name dieses Oberschurken leitet sich von "Thanatos" her, dem griechischen Wort für Tod. Die Grenzen des kapitalistischen Wachstums sind in der Welt von Marvel offenbar erreicht. Es fällt nicht schwer, darin einen versteckten Hinweis auf die Todessehnsucht der gegenwärtigen Zeit zu sehen, die so gern zu den Wurzeln zurückkehren möchte, wenn nötig mit Gewalt. Sie richtet sich außerhalb des Kinos auf eine Welt, die so vernetzt, so globalisiert, so unübersichtlich und bunt geworden ist wie das "MCU".
"Infinity War" demonstriert das in jetsetmäßiger Beliebigkeit: Weil mit den vielen Figuren so viele erzählerische Bälle in der Luft sind, springt die Handlung hin und her zwischen Schauplätzen wie New York, Edinburgh und einer intergalaktischen, von Zwergen betriebenen Schmiede. Allenfalls Texteinblendungen verraten dem schwindlig gewordenen Zuschauer noch, wo er sich gerade befindet.