Ausstellung:Alltag im Unbekannten

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Als Arzt durfte Philipp Franz von Siebold 1822 nach Japan einreisen und wurde dort zum Sammler profunder Gegenstände. Viele der Exponate sind jetzt im Museum Fünf Kontinente zu sehen

Von Christian Jooß-Bernau

Sieht man sie von ihrer gewölbten Seite, sind es einfach Muschelschalen. Auf ihrer Innenseite aber sind Bilder, feinst gepinselt, von Menschen und Tieren - Darstellungen aus der "Geschichte des Prinzen Genji". In jeweils zwei Muscheln findet sich das gleiche Motiv. Ein Spiel liegt hier in der Vitrine, das funktionierte wie unser heutiges Memory. Die Spielmuscheln aber räumte man am Ende nicht in einen Pappkarton, sondern in eine ebenfalls bemalte achteckige Schachtel, die symbolisch für die Tugenden einer Frau steht, was das Ganze zu einem wertvollen Besitz im Brautgut machte. Dieses Ausstellungsstück, es erzählt von der Kunst, dem Spiel, dem Alltag der Japaner im 19. Jahrhundert. Gefunden und nach Europa gebracht hat es einst Philipp Franz von Siebold, dessen Lebensleistung gerade im Museum Fünf Kontinente in der Ausstellung "Collecting Japan" zu sehen ist.

Statements von in München lebenden Japanern, die neben ihren Fotos an der Wand die Ausstellung kommentieren, zeigen: Siebold kennt in Japan fast jedes Kind; er ist Bestandteil des Lehrplans, weil er als erster umfassend das Bild Japans in Europa prägte. In Tokio, Nagasaki, Osaka, Sakura und Nagoya war die Ausstellung schon zu sehen. München aber war ursprünglich Zielort für Philipp Franz von Siebolds Kulturvermittlung. Am Hofgarten zeigte er im Jahr 1866 die Exponate seiner zweiten Japanreise, die zwei Jahre später die Königlich Ethnographische Sammlung kaufte. Und die war ein Vorläufer des heutigen Museums Fünf Kontinente.

Eine Servierschüssel in Kranichform. (Foto: MFK, Nicolai Kästner)

Geboren wird Siebold 1796 in Würzburg, hier studiert er Medizin und beginnt, als Arzt zu arbeiten. Aber da ist eine Lust auf mehr, auf das Fremde. Als Arzt der niederländisch-indischen Armee reist er 1822 nach Batavia, dem heutigen indonesischen Jakarta. Von dort geht es weiter nach Japan. Nur den Niederlanden und China war unter dem Tokugawa-Shogunat in engen Grenzen Handel und Kontakt erlaubt. Ein Arzt, so hofft man, könne am ehesten Einblicke in das weitgehend abgeschottete Reich bekommen. Tatsächlich kommt Siebold in Kontakt mit japanischen Gelehrten, er unterrichtet und wird dafür auch mit Produkten des Landes bezahlt. 1827 kommt seine Tochter Ine zur Welt, die er mit seiner Lebensgefährtin Kosumoto Taki hat.

Ine wird die erste Frauenärztin Japans werden, später sogar als Ärztin der Kaiserin praktizieren. Philipp Franz von Siebold allerdings stolpert über eine Spionageaffäre. 1828 soll er nach Batavia zurückkehren. Das Schiff ist schon mit seiner Sammlung beladen, als ein Taifun es an Land treibt. Beim Umladen entdeckt man in Siebolds Gepäck Landkarten. Im abgeschotteten Japan ein schweres Vergehen. Siebold wird auf Lebenszeit aus dem Land verbannt. In der Ausstellung zu sehen ist die Karte "Japan mit seinen Nebenländern". Gedruckt wurde sie 1854 nach der Vorlage einer Karte von Takahashi Kageyasu. Der Kartograf und Hofastronom zahlte einen hohen Preis für die Übergabe an Siebold. Er starb im Gefängnis.

Ein Memory-Spiel aus Muscheln. (Foto: MFK, Nicolai Kästner)

Zurück in Europa beginnt Siebold mit der Aufarbeitung seiner Forschung in Publikationen und dem Erarbeiten eines Konzeptes für seine Sammlung. Ludwig I. kann er von seinen Plänen eines ethnografischen Museums für München nicht überzeugen. Die Objekte der ersten Reise verkauft er dem niederländischen Staat. Es dauert bis 1859, ehe Siebold ein zweites Mal nach Japan reist - als Vertreter der niederländischen Handelskompanie. Die Verbannung ist aufgehoben. Die Anordnung der Objekte, der zweiten Reise, von denen man heute 310 ausgewählte Exponate im Museum Fünf Kontinente sehen kann, folgt seinen Überlegungen, hinter denen die einfache, komplexe Frage stand, wie man über Objekte einem Publikum ein Land vermittelt. Siebold entwarf ein Ordnungssystem, geteilt in "I. Abtheilung" und "II. Abtheilung". Einmal sind da Gegenstände der "Kunst und des Gewerbefleißes der Japanesen" und dann ist da die "Sammlung von wissenschaftlichen Gegenständen". Beide "Abtheilungen" sind in Gruppen unterteilt. Sicher, es erschließt sich nicht unbedingt, warum Münzen, Musikinstrumente und Gegenstände aus dem sakralen Bereich auf die wissenschaftliche Seite wanderten. Auch über andere Zuordnungen ließe sich diskutieren. Was aber bis heute einen eigenen Reiz hat, ist der ganzheitliche Blick des Sammlers, der, sieht man von der pragmatischen Überlegung ab, den Handel mit Japan voranzubringen, sich bemüht, nicht mit dem Blick des Europäers auszusortieren und so Wichtiges von Unwichtigem zu scheiden.

Dass dies im Ergebnis doch mehr ist als der Versuch, ein Periodensystem Japans zu erstellen, liegt daran, dass dem Wissenschaftler Siebold seine eigenen Vorlieben auf charmante Art dazwischenkommen. Die japanische Medizin scheint ihn als Arzt nicht wirklich überzeugt zu haben. Dementsprechend übersichtlich sind die Ausstellungsstücke. Ganz offensichtlich hingegen ist seine Begeisterung für Lackarbeiten, die sehr viel mehr umfassen als lackierte Kästchen und die in seiner Sammlung viel Raum einnehmen dürfen. Ohne augenfällige Schäden haben die Farben die Jahrhunderte überdauert, so intensiv ist noch der Glanz, dass die Oberflächen teils wirken, als wären sie aus modernem Kunststoff. In Gestaltung und Funktion erblüht der japanische Drang zur Ästhetisierung des Alltags. Das Picknickset hat Schiffsform. Der Fisch kam in einer Meerbrassen- oder Bonitoform auf den Tisch, und wenn es den Kaiser in der Edo-Zeit nach Kranich gelüstete, stand ein Serviergefäß in Kranichform bereit. Für günstige zwei Euro gibt es ein Begleitheft mit detaillierten Informationen zu allen Ausstellungsstücken. Etwas mehr Abbildungen hätten die Publikation wohl verteuert, mit Sicherheit aber die Attraktivität gesteigert.

Philipp Franz von Siebold brachte Japan nach Europa. (Foto: Klassik Stiftung Weimar)

Auf Siebolds zweiter Reise begleitet ihn sein Sohn Alexander, eines von fünf Kindern, das Siebold mit seiner Ehefrau Helene von Gagern hatte, die er 1845 heiratete. Siebold bleibt vier Jahre, unterrichtet und steigt, als die Macht des Tokugawa-Shogunats nach mehr als 250 Jahren zu bröckeln beginnt, sogar zum Berater der Regierung auf. Diesmal ist man in München nach seiner Rückkehr interessiert an der Sammlung. Im Mai 1866 wird seine Ausstellung im Galeriegebäude am Hofgarten eröffnet. Am 18. Oktober desselben Jahres stirbt Siebold. Er liegt auf dem Alten Südlichen Friedhof, noch im Tod dem Fernen Osten nah: Sein Grabmal ist der Spitze einer buddhistischen Stupa nachempfunden.

Collecting Japan. Philipp Franz von Siebolds Vision vom Fernen Osten , bis 26. April 2020, Museum Fünf Kontinente, Maximilianstraße 42

© SZ vom 20.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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