Astrid Lindgren:"Mama, erzähl mir von Pippi Langstrumpf"

Lesezeit: 4 min

Pippi Langstrumpf mit Herrn Nilsson. (Foto: DPA)

Karin Nyman spricht über ihre Mutter Astrid Lindgren, die am 14. November 100 Jahre alt geworden wäre, und die Arbeit der Erbengemeinschaft Saltkrokan AB.

Gerhard Fischer

Kinderbuchautorin Astrid Lindgren, die im Januar 2002 starb, wäre am 14. November 100 Jahre alt geworden. Ihre Tochter Karin Nyman, 73, hat den Namen Pippi Langstrumpf erfunden. Die SZ sprach mit ihr in Nymans Haus auf Lidingö bei Stockholm.

SZ: Frau Nyman, wie war das mit "Pippi Langstrumpf" ganz genau?

Karin Nyman: Eigentlich kann ich mich an die spezielle Situation gar nicht mehr erinnern. Meine Mutter berichtete ja, ich hätte krank im Bett gelegen und gesagt: "Mama, erzähl mir von Pippi Langstrumpf!" Ich habe mir ständig Namen ausgedacht, deshalb stimmt das wohl.

SZ: Und Ihre Mutter hat die Geschichten von Pippi Langstrumpf erzählt und später aufgeschrieben.

Nyman: Der Anfang von Pippi Langstrumpf war 1941, ich war damals sieben Jahre alt. Sie hat mir dann jahrelang davon erzählt. Nur erzählt. Aufgeschrieben hat sie die Geschichten erst 1944, als sie mit einer Fußverletzung im Bett lag.

SZ: Wie sah Ihre Kindheit aus? Hat Ihre Mutter ständig Geschichten erzählt?

Nyman: Ich habe immer zu ihr gesagt: erzähl, erzähl, erzähl! Meine Mutter hat jeden Abend Geschichten erzählt. Sie waren zum Teil erfunden wie "Pippi Langstrumpf", zum Teil Erfahrungen aus ihrer Kindheit in Vimmerby. "Emil aus Lönneberga" (der in Deutschland Michel heißt, Anm. d. Red.) baut zu großen Teilen auf genuinen Erlebnissen auf. Die ganzen Umstände und das Milieu sind Astrids Erinnerungen oder die Erinnerungen ihres Vaters, der auch viel erzählt hat.

SZ: War sie eine Ausnahme unter den Eltern der damaligen Zeit? Oder haben auch andere Mütter und Väter ihren Kindern viele Geschichten erzählt?

Nyman: Auch andere haben das getan, es gab ja noch kein Fernsehen, keine Computer. Aber meine Mutter hat schon sehr viel erzählt, mehr als andere. Viele Eltern haben auch aus Büchern vorgelesen, aber wenn man Geschichten von der Mutter oder dem Vater erzählt bekommt, dann ist das schon etwas ganz Besonderes. Die Eltern sind dann so nahe. Das ist schon die halbe Entzückung daran.

Astrid Lindgren in Bildern
:Zeigen, was Liebe ist

Michel, Lasse, Lotta und natürlich Pippi sind starke, autonome Helden. Ihre Schöpferin Astrid Lindgren setzte sich nicht nur in ihren Büchern dafür ein, dass Kinder sich entfalten können. Ihr Leben in Bildern.

SZ: Ihre Tante Stina Hergin, die Schwester Ihrer Mutter, hat ihr erstes Buch verfasst, als sie bereits über 90 war. Auf die Frage, warum sie erst so spät mit dem Schreiben anfing, sagte sie: "Ich musste so lange üben." Woher kommt der Humor in dieser Familie?

Nyman: Ich glaube, die oft beschriebene, wunderbare Kindheit in Vimmerby spielte eine sehr große Rolle für beide, Stina und Astrid. Das war die Basis, die ein Leben lang blieb. Für alle vier Geschwister, es gab ja auch noch Ingegerd und Gunnar, war das Leben als Erwachsene kein ständiger Sonnenschein ...

SZ: ... Astrid Lindgren verlor früh ihren Mann und später noch Sohn Lasse.

Nyman: Ja, aber allen vieren blieb dieser Sinn für Humor. Er schafft Distanz zum Problem. Man nimmt sich und das Problem nicht mehr so wichtig.

SZ: Viele Deutsche haben ein verklärtes Bild von Schweden: nette Menschen, Natur, Holzhäuser, Idylle pur. Ihre Mutter hat dieses Bild geschaffen. Was für ein Land ist Schweden heute wirklich?

Nyman: Schweden ist ein ganz normales Land, es hat Probleme wie andere Länder auch.

SZ: Aber wie ist es ist mit dieser Solidarität, dieser Herzlichkeit ...

Nyman: Wissen Sie, die Schweden waren lange Zeit ein sehr reserviertes Volk. Wenn man im Bus oder Zug saß, war es ganz still. Man hat sich niemals mit Fremden unterhalten. Ich kann mich noch erinnern, als ich in den siebziger Jahren zu einem Treffen von Übersetzern nach Köln reiste. Ich fuhr mit dem Zug, und ich war so überrascht, dass sich die Menschen unterhalten haben. Sogar welche, die sich anscheinend vorher nicht kannten. Es ist jetzt in Schweden auch besser geworden, aber sie sind schon noch schweigsam.

Pippi Langstrumpf zum 65.
:Das Pippi-Prinzip

Pippi Langstrumpf feiert ihren 65. Geburtstag. Eine Suche nach ihren Schwestern im Geiste: Wer macht sich die Welt, widdewidde wie sie ihr gefällt?

Lena Schilder

SZ: Astrid Lindgren galt als Bücherwurm. Was hat sie gelesen?

Nyman: Lesen war ihr Leben. Ein Buch, das einen ungeheuren Eindruck auf sie gemacht hat, als sie jung war, war das Antikriegsbuch "Im Westen nichts Neues" von Remarque. Das war ein einschneidendes Erlebnis. Sie las aber alle Arten von Literatur - englische, deutsche, nordische, französische. Sie las und las und las.

Astrid Lindgren im September 1995 in Stockholm. (Foto: Foto: AP)

SZ: Sie trug in den zwanziger Jahren als erste Frau in Vimmerby die Haare kurz, sie erzog ihren Sohn zunächst alleine. Waren es Bücher, die sie beeinflussten, ihr Selbstbewusstsein stärkten?

Nyman: Naja, das mit den Haaren war so: Sie mochte ihre Haare nicht, sie hatte sehr dünne Haare, und es war eine Befreiung für sie, als sie sie abschnitt. Die Bücher haben sie natürlich beeinflusst .

SZ: Sie hat auch A.S. Neill gelesen, einen Vertreter antiautoritärer Erziehung.

Nyman: Ja, ich kann mich noch daran erinnern, als Neill zu einem Vortrag nach Stockholm kam. Meine Mutter wollte da unbedingt hin. Seine Gedanken interessierten sie, sie hatte ähnliche.

SZ: Geld war ihr hingegen wohl nicht so wichtig. 1972 schrieb sie in ihr Tagebuch, Geld mache ihr Angst, sie will gar nicht so viel haben.

Nyman: Sie war sehr arm, als sie jung war, und auch in ihren ersten Jahren, nachdem sie verheiratet war. Später hatte sie, was sie brauchte. Sie hielt Ordnung darüber. Aber sie kümmerte sich nicht darum, dass ihr Geld arbeitete. Sie hat auch viel Geld verschenkt.

SZ: Sie hat die Filmrechte an ihren Büchern sehr billig verkauft, und es soll Buch-, Film-, Theater- und Merchandisingverträge geben, welche die Firma der Erbengemeinschaft, die Saltkrokan AB, heute noch in Schwierigkeiten bringen.

Nyman: Sie war befreundet mit dem Produzenten, mit Regisseur Olle Hellbom, der auch die ersten Pippifilme mit Inger Nilsson drehte. Sie war daher nicht so darauf aus, dafür so viel Geld zu bekommen.

SZ: Ihr Sohn ist heute der Chef der Saltkrokan AB. Aber es arbeiten auch noch andere Familienmitglieder dort, oder?

Nyman: Meine Tochter Malin und meine Nichte Annika, mein Sohn Nisse und mein Mann Carl Olof.

SZ: Wie viele Stunden pro Woche haben Sie mit Dingen zu tun, die mit Ihrer Mutter zu tun haben?

Nyman: Nicht an jedem Tag, aber es ist sehr viel. Ich bearbeite viele Manuskripte, etwa von Theaterregisseuren. Viele schreiben eigene Stücke von Ronja und Pippi und so weiter. Wir müssen das lesen, ob das noch in Ordnung ist. Dass es nicht ganz anders wird als in den Büchern meiner Mutter. Das ist sehr zeitaufwendig.

SZ: In diesen Tagen stand in einer schwedischen Zeitung, dass Sie ein SOS-Kinderdorf in der Zentralafrikanischen Republik eingeweiht haben; es soll den Namen Astrid Lindgren tragen.

Nyman: Die Astrid-Lindgren-Gesellschaft hatte sich überlegt, wie sie den 100.Geburtstag feiern könnte. Man wollte es nicht so machen wie bei Hans Christian Andersen in Dänemark, wo es diese aufwendige Show gab, die sehr missglückt war. Man wollte das Geld nicht für eine Show hinauswerfen, sondern für Kinder in Afrika einsetzen.

SZ: Kommen Sie mit dem Verlust durch den Tod Ihrer Mutter besser zurecht, weil Sie sich so viel mit Ihrem Erbe beschäftigen?

Nyman: Ja, auf jeden Fall.

© SZ v. 10./11.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Wenn Stars Kinderbücher schreiben
:Gutenachtgeschichten von Madonna und Obama

Die Bücher, die wir früher heimlich bei Taschenlampenlicht unter der Bettdecke lasen, waren von Astrid Lindgren, Erich Kästner und Enid Blyton. Werden sich Kinder von heute später mit dem gleichen wohligen Abenteuerkribbeln an Geschichten von Madonna, Katie Price und Obama zurückerinnern? Unwahrscheinlich. Vom Schreiben hält das die Promis aber nicht ab.

Sophia Lindsey

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: