"Arthur & Claire" im Kino:Das Hadern mit dem Leben

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Amsterdam sehen. Und sterben? Josef Hader und Hannah Hoekstra. (Foto: Universum)
  • Josef Haders Filmfiguren suchen sehr oft den Tod oder lernen ihn kennen.
  • Auch Arthur, den der Österreicher in seinem neuen Film "Arthur & Claire" spielt, will möglichst bald sterben. Ebenso Claire, die er in einem Hotel in Amsterdam kennenlernt.
  • Zusammen unternehmen die beiden eine Tour durch Amsterdam. Im Mittelpunkt: die Stadt und Haders unverkennbare Gesichtsfalten.

Von Bernhard Blöchl

Die Füllfeder setzt an, doch sie schreibt nicht. Was bereits in der ersten Einstellung, beim Flug von Wien nach Amsterdam, angedeutet wird, findet im Hotel seine Fortsetzung. Auch hier wird der Mann dabei scheitern, einen Brief zu formulieren. Den letzten. Seinen Abschiedsbrief.

Gespielt wird der Lebensmüde, dem nichts gelingt, von Josef Hader. Von wem sonst, möchte man einwerfen, ist doch kein anderer Schauspieler im deutschsprachigen Raum so hartnäckig auf Scheitern und Suizidgedanken programmiert wie der Österreicher mit seinen gut gereiften Gesichtsfurchen. "Hader muss weg" heißt eines seiner Kabarettprogramme, da muss man gar nicht weit in seiner Vita zurückgehen. Was das Kino betrifft, so darf man als Zuschauer froh sein, dass niemand dieser Forderung folgt. Im Gegenteil: Hader taucht ständig auf, ohne dass man sich an seiner Präsenz sattgesehen hätte. Und eines ist auffällig: Die von ihm verkörperten Figuren suchen sehr wahrscheinlich den Tod oder lernen ihn kennen, zuletzt in seinem Regiedebüt "Wilde Maus", davor in "Vor der Morgenröte", und in den Brenner-Filmen grenzt es sowieso an ein Wunder, dass er noch da ist.

In "Arthur & Claire" ist kurz nach der Flugzeugszene klar, welche dramaturgische Schwere über der Geschichte liegen wird: Da trifft Arthur, so heißt der Mann mit dem unheilbaren Lungenkrebs, den Arzt seines Vertrauens in dessen Klinik, wo er am nächsten Tag sterben will. Zwei Spritzen sollen ihn erlösen. Die Freunde besprechen den Weg in den Tod, für die Zeit bis zur eintretenden Bewusstlosigkeit möge sich Dr. Hofer (Rainer Bock) einen Witz überlegen. Arthur checkt im Hotel ein, bestellt sich besten Rotwein und ein Filet Mignon - und scheitert beim Schreiben. Denn da schiebt sich Claire (Hannah Hoekstra) in die Handlung, mit monströser Musik aus dem Zimmer nebenan. Arthur fordert die junge Frau auf, leiser zu sein; dabei bemerkt er das Glas voller Tabletten und die überlaufende Badewanne. Von hier an gewinnt die Tragikomödie an Drive, denn man ahnt: Zwei Menschen mit Todessehnsucht, die gemeinsam durch die Nacht taumeln, das wird interessant.

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Grundkonstellation und Prämisse erinnern an Nick Hornbys "A Long Way Down" und Pascal Chaumeils Verfilmung mit Toni Collette und Pierce Brosnan. Auch hier begegnen sich Suizidwillige und lenken sich von der Lebensmüdigkeit ab. "Arthur & Claire" basiert auf dem Theaterstück des österreichischen Komödienautors und Kabarettisten Stefan Vögel. Am streitbaren Ende wurde geschraubt (Hader hätte womöglich einen anderen Ausgang bevorzugt), der Kern blieb erhalten: nämlich die allmähliche Annäherung zweier höchst verschiedener Menschen, die scheinbar nur die Kapitulation vor dem Leben gemeinsam haben. Nur, dass im Kino aus dem Kammerspiel eine atmosphärische Tour durch Amsterdam werden darf.

Eine Stärke des Films ist der Blick des Regisseurs auf die Stadt. Der Deutschportugiese Miguel Alexandre ist bisher vor allem für seine Fernsehfilme bekannt. Während sich seine Protagonisten langsam öffnen und sich die Abgründe ihres Lebens erzählen, gelingt Alexandre eine filmische Transformation: Er verwandelt Amsterdam von der Touristenstadt mit Grachten, Rotlicht, Coffeeshops und Rikschas zur beseelten Schmucklosen mit Industrie und Busbahnhöfen. Dass die Innenaufnahmen allesamt in München gedreht wurden, wegen der Fördermittel, zerstört die Illusion nicht wirklich.

Das ist Hader - dieses entrückte Lachen im Moment der tiefsten Lebensverdunkelung

Gelingen kann der Film aber erst durch die Balance aus tragischen und berührenden sowie komödiantischen Momenten. Josef Hader ist ja ein Meister darin, das Schreckliche augenblicklich ins Komische kippen zu lassen. Sein entrücktes, herzliches Lachen im Moment der ärgsten Lebensverdunkelung ist ein Schauspiel für sich. Von diesem schwarzen Humor zehrt auch "Arthur & Claire". Hader hat das Drehbuch mit Alexandre geschrieben, also die Buchvorlage verdichtet. Das zeigt sich zum Beispiel in den Dialogen über die Sinnlosigkeit, am Abend Salat mit Tofu zu essen, über die Verbindung von Brunello und Cola, von Single Malt und Wasser, bis hin zu den Versagensängsten beim Entspannen. Als Arthur Claire im Hotel überrumpelt, sagt sie: "Marschieren Sie immer in fremde Zimmer? Machen die Deutschen das immer noch so?" Darauf er: "Ich bin Österreicher." Sie: "Noch schlimmer." Es gibt auch Sprachwitze über das Holländische, das Arthur mal mit einer Halsentzündung vergleicht, mal in der arabischen Sprachfamilie verortet. Bis er die Vokabel für Schiffszwieback kennenlernt, die beinahe erotische Gefühle in ihm auslöst.

Hannah Hoekstra und Hader kontrastieren und ergänzen sich gut. In den Niederlanden gilt die 31-Jährige als große Hoffnung. Hier zeigt sie Mitgefühl, Verzweiflung und einen explosiven Trotz, der ihr Gegenüber immer wieder aufs Neue herausfordert. Claire lässt den noch zusätzlich in Familienzwiste verstrickten Arthur den Flirt neu entdecken - mit ihr und dem Leben. "Du bist mein Engel, der mich holt", sagt er ihr im bekifften Zustand. Die beiden treiben sich gegenseitig an. Jederzeit bereit, den anderen zu verlassen, ihn seinem Schicksal zu überlassen. Eine schöne Spannung, die den Film trägt.

Und doch wäre das alles nichts ohne Haders Gesichtsfalten, die einem in den letzten Kinojahren vertraut geworden sind, die man inzwischen begrüßt wie alte Bekannte. Ob man ihnen Namen geben sollte, etwa jenem elegant geschwungenen, nach unten abbiegenden Exemplar in der Stirnmitte? Sie gehören jedenfalls, das wird hier endgültig klar, zu den wertvollsten Spezialeffekten im deutschsprachigen Kino. Und auf der Liste der Dinge, die man vermissen würde, auf so einer Liste, wie sie Arthur gegen Ende Claire präsentiert, stünde ein Platz mit Sicherheit fest: das Hadern dieses Gesichts mit dem Leben. In Großaufnahme.

Arthur & Claire , D/AT u.a. 2017, Regie: Miguel Alexandre. Buch: Alexandre und Josef Hader. Mit: Josef Hader, Hannah Hoekstra. Universum, 100 Minuten.

© SZ vom 08.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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