Debatte um Anne-Frank-Buch:Amsterdamer Verlag entschuldigt sich

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Anne Frank schreibt. (undatierte Aufnahme) (Foto: SZ Photo)

Man hätte eine "kritischere Haltung" zu dem Buch einnehmen können, das behauptet, Anne Frank sei von einem Juden verraten worden.

Von Thomas Kirchner

Der Amsterdamer Verlag, der das Buch über die angeblichen neuen Erkenntnisse zum Verrat an Anne Frank in den Niederlanden vertreibt, hat sich für die Publikation entschuldigt. Eine "kritischere Haltung" zu dem Werk der kanadischen Autorin Rosemary Sullivan wäre möglich gewesen, schreibt Verlegerin Tanja Hendriks in einer E-Mail an die Verlagsautoren, über die niederländische Medien am Montag berichteten. Eine zweite Auflage werde vorerst nicht gedruckt. Zunächst wolle man eine Antwort des Untersuchungsteams abwarten "auf Fragen, die aufgetaucht sind". Sie biete allen, die sich durch das Buch angegriffen fühlten, eine Entschuldigung an, hieß es. Fachleute hatten die Recherche in den vergangenen Tagen stark kritisiert. Auf Anfrage der SZ erklärte Ambo Anthos, man werde zu der Sache keinen weiteren Kommentar abgeben.

Historiker und Kriminologen aus den USA und den Niederlanden waren nach einer mehrjährigen Untersuchung zum Schluss gekommen, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit der jüdische Notar Arnold van den Bergh derjenige war, der den deutschen Besatzern im August 1944 den Aufenthaltsort des jüdischen Mädchens Anne, ihrer Familie und weiterer Personen verriet - Prinsengracht 263. Anne Frank, ihre Schwester und ihre Mutter starben später in deutschen Konzentrationslagern, ihr Vater Otto überlebte.

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Sullivan schrieb ein Buch über die Recherchen für den US-Verlag Harper Collins. Es wurde in mehreren Ländern veröffentlicht, am 18. Januar in den Niederlanden, im Rahmen einer großen Medienkampagne. Niederländische Zeitungen und Rundfunksender wurden vertraglich mit einer Sperrfrist belegt. Wie viele Exemplare gedruckt wurden, konnte eine Angestellte von Ambo Anthos der SZ nicht mitteilen. Ebenso wenig, ob eventuell geplant sei, die erste Auflage zurückzuziehen.

Man habe keine "smoking gun", sagte einer der Rechercheure, also keinen hundertprozentigen Beweis, dass es der Jude van den Bergh gewesen sei. Man habe aber eine "warme Waffe mit leeren Patronen daneben". Historiker bemängelten genau diesen Punkt: Die Ergebnisse beruhten viel zu stark auf Annahmen. Etwa der, dass van den Bergh als prominentes Mitglied des Amsterdamer "Judenrats" sicher über Listen mit den Adressen Untergetauchter verfügt habe. Das sei "diffamierender Unfug", sagte der Historiker Bart van der Boom, der an einem Buch über den Judenrat schreibt, dem Sender NOS. Yves Kugelmann vom Otto-Frank-Fonds in Basel sprach gegenüber der SZ nannte die Ergebnisse des Teams eine "der fulminantesten Verschwörungsmythen und wirkungsvollsten Antisemitismus-Booster seit Langem".

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