Anja Zag Golob: "dass nicht. Gedichte":Schneide mir das Ohr ab

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Die Zeit ist ein Gefühl und ein Geräusch und ein Schmerz in den Gedichten von Anja Zag Golob, nicht einfach nur ein abstraktes Konzept. (Foto: Arnulf Hettrich/imago images)

Welche körperlichen Schmerzen der Abschied von einer großen Liebe verursacht, davon handeln die Gedichte der slowenischen Lyrikerin Anja Zag Golob.

Von Nico Bleutge

Vermutlich sind wenige Erfahrungen so schmerzhaft wie das Ende einer langen Beziehung. Die Trauer und das Gefühl der Verletzung sind in jeder Faser des Körpers zu spüren. Doch so konkret der Schmerz auch sein mag - er lähmt zugleich das Denken und die Fähigkeit zu unterscheiden. "Leiden ist ein einziger langer Augenblick", schrieb Oscar Wilde, "es kennt keine Jahreszeiten." Wenn man es mit der Sprache fassen will, scheint man plötzlich zurückgeworfen auf die allgemeinsten Begriffe.

An diesem Paradox arbeitet sich die slowenische Lyrikerin Anja Zag Golob in ihrem neuen Gedichtband ab. Ein geliebter Mensch ist gegangen. Die zurückbleibt, hat nur ihre Enttäuschung, ihre Wut - und ihre Sprache. Eine Sprache, mit der sie sich der Monotonie des "einzigen langen Augenblicks" zunächst anzugleichen versucht: "dass nicht mehr kommen wird / dass nicht dass mich brennt / dass sprieße sprießt aber / nicht erwächst nicht austreibt".

Der Schmerz und das Sprechen über ihn bringen eine ganz eigene Vorstellung von Körper und Körperlichkeit mit sich. Im Magen ist ein "harter stumpfer dunkler (...) stoff" fühlbar, von der Straße hört man ein Tosen und sieht "das gleiten der farben ins grau". Doch gleichzeitig drängen sich abstrakte Begriffe für diese Erfahrungen auf, "gewaltige anstrengung" etwa oder "unbekannte schwere".

Die physische Zerstörung reißt auch Lücken in die Sprache und die Verse

Die Betonung des Körpers verbindet Anja Golobs Gedichte über Schmerz und Leere mit den Versen ihres vorherigen Bandes "Anweisungen zum Atmen" (2018). Nicht von ungefähr ist der Schlusszyklus jenes Bandes auch im neuen Buch enthalten. Es sind hart gefügte Verse zu den menschlichen Sinnen. Doch nicht mit dem Fluchtpunkt euphorischer Beobachtungsmomente oder erfüllender Töne und Gerüche. Eher gleichen die Verse einem Gemetzel, als wolle die Sprecherin ihre Wahrnehmungsorgane, an denen der Schmerz ansetzt, eines nach dem anderen zerstören. "steche mir das auge aus" heißt es da oder "schneide mir ab das ohr". Und die Zunge, das Organ der Sprache? "beiße mir nicht drauf reiße sie mit den fingern raus". So ist es nur konsequent, wenn die Zerstörung bis in die Sprache hinein reicht und Lücken in den Versen sichtbar werden: "unruhe dass ich sage____bevor ich denke____dass".

Aber das Denken, für das alles "das gleiche" ist, wird nach und nach zum Problem. In einigen Gedichten verliert sich Golob in leeren Sprachmetaphern: "da öffnet rede klappen / des schweigens da verweht wind / lärm des geredes da herrscht / schmutz der wörter". Oder sie sagt am Ende des Gedichts wie in einer Zusammenfassung, was sie vorher schon detailliert in den Versen ausgefaltet hat. An solchen Stellen wirkt die "anstrengung des begriffs", von der einmal die Rede ist, eher mühsam.

Anja Zag Golob: dass nicht. Gedichte. Aus dem Slowenischen von Liza Linde. Edition Korrespondenzen, Wien 2022. 76 Seiten, 20 Euro. (Foto: Edition Korrespondenzen (SZ))

Viel intensiver bleiben jene Verse in Erinnerung, in denen Golob mit den Begriffen spielt und ganz eigene Formulierungen für abstrakte Vorstellungen findet. "Zeit" etwa ist hier nicht einfach eine Gedankenhülse, sondern sie verwandelt sich in eine mehrfach geschichtete und synästhetische Bewegung: "langsame verdichtung der zeitflocken um die spindel / der stille die sich dreht dunkler als sie pulsiert". Andernorts überführt Golob die Trauer in metaphorische Felder, es mag eine Affenhorde sein, eine Insel, die aus dem Wasser aufsteigt, oder ein Körper, der mit seinen Überhängen und Schrunden wie ein Berg erscheint.

Am stärksten ist Golob dort, wo sie die Metamorphosen der Wahrnehmung und der Empfindung in die Sprache einsenkt und mit Wortverwandlungen arbeitet. So wird aus "oha" das "ohr", aus dem "segel" das "siegel" oder die "hasen" werden zu "hachsen". Es ist schade, dass die Ausgabe einsprachig ist und man diese Passagen nicht mit dem slowenischen Text vergleichen kann. Aber die Übersetzungen von Liza Linde machen einen überzeugenden Eindruck. Sie fängt Golobs schroffe Zeilenbrüche und den ruppigen Rhythmus ebenso ein wie die Cluster aus Klängen oder den Einsatz von Wiederholungen und Variationen. Auch die Vervielfachung der semantischen Bezüge, die sich dem Verzicht auf Interpunktion verdankt, ist in den deutschen Versionen spürbar.

Ähnelten Golobs Gedichte im letzten Band zuweilen einer "KAMPFANSAGE" an Politik und soziale Schieflagen, so wirken sie nun wie ein "gummitwist mit bestie körper". Einem Körper, dessen Lebendigkeit nicht zuletzt darin besteht, dass er Gefühle, Träume und Erinnerungen hat. Das ermöglicht Euphorie und die Hoffnung auf dauerhaftes Glück, aber zugleich (und nicht selten ineinander verschlungen) vernichtenden Schmerz und Trauer. Diese Dialektik der Körperlichkeit schreibt Anja Zag Golob am Ende ihres Bandes einer Reihe von Versen ein, die mit Negationen spielen: "nicht sprung flug / nicht schmetterling nicht / erträglichkeit / anspannungen im / kokon nicht weinen / bitterkeit / melancholie schildkröte". Schmetterling oder Schildkröte - in diesen Gedichten gibt es immer beides.

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