Klassik:Schweben im Sonnenwind

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Der Cellisten Nicolas Altstaedt ist ein unbedingt ausdruckshungriger Musiker, dessen Ton stark unter Bogendruck steht. (Foto: Marco Borggreve)

Nicolas Altstaedt triumphiert in München mit dem neuen Cellokonzert von Anders Hillborg.

Von Harald Eggebrecht

Zartes Geflimmer, schier unendlich ineinander gleitende Klangflächen, die sich sanft und ineinander verschiebend auf und ab bewegen, dynamisch anschwellen und abebben. In diesem fein gewirkten Gewoge segelt das Violoncello einsam dahin, schwingt sich manchmal zu langezogenen Spitzentonfolgen auf oder überlässt sich meditativ ganz dem wiegenden Orchestergeschehen. Aber kein Meer ohne Wirbel und Strömungen, ohne Aufbrandungen und Gischt. Also stürzt das Cello in seine tiefen Saiten, kommt ins Rasen, Keuchen, Springen bevor es endlich wieder jene nahezu sphärisch sich bewegenden Klangflächen erklettert, auf denen es mit weitester Perspektive gleichsam im Sonnenwind dahinweht.

Anders Hillborg, Jahrgang 1954, ist einer der bekanntesten Komponisten Schwedens mit weltweiter Resonanz. Sein Cellokonzert lädt unmittelbar zu solchen Naturassoziationen ein, auch zum Denken an kosmische Weiteunmittelbar zu solchen Naturassoziationen ein, auch zum Denken an kosmische Weiten und Welten oder ans Schweben in einer von Lichtgefunkel durchzogenen ozeanischen Unterwasserwelten und Welten oder ans Schweben in einer von Lichtgefunkel durchzogenen ozeanischen Unterwasserwelt. Der Solist wiegt und schmiegt sich darin ein in scheinbar freien Bewegungen in alle Richtungen. Hillborg hat dieses Stück für den deutsch-französischen Cellisten Nicolas Altstaedt, Jahrgang 1982, geschrieben, einem unbedingt ausdruckshungrigen Musiker, dessen Ton stark unter Bogendruck steht und selten zu jener Entspanntheit des Dahingleitens oder gar der Schwerelosigkeit purer Klangschönheit findet, die hier gewünscht ist. Jedenfalls war das der überwiegende Eindruck bei der deutschen Erstaufführung von Hillborgs Konzert in der Münchner Isarphilharmonie, die für alle Beteiligten in Anwesenheit des Komponisten ein einhelliger Erfolg und heftig beklatscht wurde.

Die Münchner Philharmoniker boten allerdings Hillborgs Klangflächengleitmusik unter dem leichthändigen, doch stets sehr aufmerksamen und bestens Regie führenden Krzysztof Urbanski so gleißend im Klanggeschiebe und sacht blendend auf das unendliche Spiel von Klangebbe und Flut gerichtet, wie es wohl der Komponist sich vorgestellt hat. Altstaedt hingegen übernahm als Solist, ganz seinem expressiven Naturell folgend, in gewisser Weise eine Art Widerpart, so dass die Gefahr irgendwelcher Spannungslosigkeit zwischen Orchester und Solist gewiss nach Altstaedts Idee gebannt war. Jedenfalls umarmten sich am Ende Komponist und Spieler glücklich. Dennoch wird sich zeigen, welche Verwirklichungsweisen Cellisten anderer Couleur als der Widmungsträger bei dieser sofort akzeptierten Musik entdecken werden. Insgesamt mochte man nach dieser Erstaufführung an ein Bonmot Gustav Mahlers denken, der einst über Claude Debussys Musik maliziös anmerkte, sie störe nicht.

Die Schönheit des Cellogesangs wirkt sofort, wenn ein Cellist die rasch wechselnden Seelenzustände darzustellen weiß

Zuvor hatte Altstaedt ein völlig anderes Stück für Cello und Orchester geboten, in dem heftige Gefühlseruptionen, leidenschaftlich auszusingende Melodielinien, auch unmittelbare Süße des Tons, dunkles Sinnieren und schmerzliches Sehnen gefordert werden, also ein Drama widerstreitender, sich impulsiv erregender und kaum zur Ruhe kommender Emotionen. Erich Wolfgang Korngolds Cellokonzert, 1946 entstanden, bildet das Zentrum des düsteren Hollywood-Melodrams "Deception" ("Trügerische Leidenschaft") in dessen Mittelpunkt die großartige Bette Davis zwischen zwei von Eifersucht gepeinigten Musikern steht, hier der herrschsüchtige Komponist und Dirigent Alexander Hollenius, eindringlich dargestellt von Claude Rains, dort der sensible, von seiner Liebe geschüttelte Cellist Karel Novak, verkörpert von Paul Henreid.

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Korngold schrieb die Musik zum Film. Er löste das Cellokonzert aus diesem Zusammenhang und erweiterte es für den Konzertsaal. Die Stürme der Gefühle, das Gift der Lügen, die unheilbare Zuspitzung der Rivalität und auch die Schönheit des Cellogesangs wirken sofort, wenn ein Cellist die rasch wechselnden Seelenzustände darzustellen weiß. Urbanski und die Philharmoniker boten eine dunkel schimmernde Klanglandschaft, in der Altstaedt sich jedoch bei aller Expressivität und Intensität allzu rau und wenig klangfarbenreich im Ton, dazu oft den Bogen nachziehend und in den Tiefen knurrend bewegte. Jedenfalls gehört Korngolds so knappes wie aufwühlendes Cellokonzert viel öfter aufs Programm.

Vor und nach diesen Begegnungen zwischen zwei so ausgesprochen verschiedenen, ja, gegensätzlichen und gerade darin fesselnden Cellowelten, dirigierte der so exzellente wie dem Orchester engagiert zugewandte Krzysztof Urbanski mit sichtlichem Vergnügen und Lust am solistischen Glanz und Farbenreichtum der Philharmoniker "Don Juan" und "Till Eugenspiegels lustige Streiche" von Richard Strauss, zwei Virtuosenstücke für großes Orchester, bei denen auf diesem Niveau der Realisierung nichts als Begeisterung bleibt.

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