"Ammonite" mit Kate Winslet im Kino:Am Strand

Lesezeit: 3 min

Kate Winslet und Saoirse Ronan in "Ammonite". (Foto: Tobis)

Kate Winslet und Saoirse Ronan spielen im Liebesdrama "Ammonite" zwei Frauen, die eine geheime Beziehung führen.

Von Sofia Glasl

Frauenhände schrubben einen kaum enden wollenden Parkettboden. Stab für Stab, in einer effektiven Routine, nur unterbrochen von herbeieilenden Schritten. Ein Anzugträger fegt die Putzfrau beiseite, durchquert den Saal. Er bringt ein neues Sammlungsstück in den mit Exponaten und Vitrinen gefüllten Museumsraum. Das Skelett eines Urzeittiers wird auf einen vorbereiteten Tisch gelegt. "Entdeckt von Ms. Mary Anning" steht auf der Beschriftung. Eine Männerhand zupft den Zettel ab und ersetzt ihn durch einen neuen - fortan ist der Entdecker ein Mann und Mary Anning vergessen.

So oder so ähnlich könnte es stattgefunden haben im England der 1840er-Jahre. Der britische Filmemacher Francis Lee stellt es sich jedenfalls in seinem Film "Ammonite" so vor. Anning war Autodidaktin und Pionierin auf dem Gebiet der Paläontologie, allerdings zu einer Zeit, als Wissenschaft noch reine Männersache war. Lee nimmt die historische Figur Mary Anning als Ausgangspunkt für seinen Film. Während sich Männer mit ihren Entdeckungen schmücken, lebt Anning in Armut an der schroffen Westküste Englands und verkauft aufpolierte Fossilien, die titelgebenden Ammoniten, an Touristen. Den Lebensunterhalt für sich und ihre gebrechliche Mutter bekommt sie damit mehr schlecht als recht zusammen.

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Kate Winslet ist eine Wucht, wie sie diese Frau spielt, die vor ihren eigenen Gefühlen erschrickt

Ereignislos ist Annings Leben, und Lee lässt diese Ereignislosigkeit für sich stehen. Es mag an der Oberfläche kaum etwas passieren in "Ammonite" und doch ist der Film ein emotionales Ereignis, eine minutiöse Skizze davon, wie die Verbindung zwischen zwei Menschen beide verändern kann. Anning trifft auf Charlotte Murchin, die Ehefrau eines Kollegen, der sich für eine Expedition ihre Arbeitsweise abschauen und die kränkelnde Frau bei Anning abladen will. Charlotte sei melancholisch, tut er deren Zustand ab. Die wenigen Wortwechsel zwischen den beiden machen klar, dass sie um ein ungeborenes Kind trauert. Langsam nur lässt Anning die jüngere Frau an sich heran. Es entsteht eine geheime Beziehung zwischen den beiden.

"Ammonite" ist kein romantischer Film, das widerspräche seiner Protagonistin. Wie schon in seinem international gefeierten Debüt "God's Own Country" aus dem Jahr 2017 spiegelt Lee den schroffen Charakter seiner Figuren in ihrer Umgebung. Damals emanzipierte sich ein grobschlächtiger Bauerssohn in felsiger und matschiger Landschaft durch die Beziehung zu einem osteuropäischen Hilfsarbeiter von seiner konservativen Familie. Für Romantik ist an diesen Orten kaum Platz, sie haben ihre Bewohner abgestumpft und unbeholfen werden lassen.

Die Zurückhaltung in der Erzählung spiegelt also auch Annings verschlossenen, man möchte beinahe sagen: versteinerten Charakter. Lee inszeniert Anning als wortkarge und zurückgezogene Frau, und so finden die ersten Minuten des Films schweigend statt. Anning sucht am schroffen Steinstrand nach Ammoniten. Das Knarzen der Kiesel, das Röhren des Meeres und Annings angestrengtes Atmen machen hier ihre Welt aus, während zu Hause das eisige Schweigen der Mutter eine drückende Stille auf alles legt. Wenn die beiden sprechen, bellt und knarzt es. Für Zuneigung ist kaum Platz.

Eine Pionierin der Paläontologie, die von den Männern totgeschwiegen wurde: Kate Winslet als Mary Anning in "Ammonite". (Foto: Agatha A. Nitecka/dpa)

Lee setzt in dieser Stille voll auf seine beiden Darstellerinnen Kate Winslet und Saoirse Ronan. Vor allem Winslet füllt die Lücken zwischen der minimalen Handlung und den knappen Dialogen mit einer ganzen Welt aus innerem Konflikt, jahrelanger Frustration und Einsamkeit. Die Nuancen jeder noch so kleinen Geste und jedes verunsicherten Blicks sind eine Gratwanderung, die zwischen kitschigem Melodram und platter Oberfläche kippen kann - und doch trifft Winslet immer den richtigen Ton. Wie Anning bei der ersten, unbedarften Berührung von Charlotte regelrecht vor ihren eigenen Gefühlen erschrickt und um Fassung ringt, ist eine Wucht. Saoirse Ronan ergänzt diese Zurückgenommenheit und löst sich von ihren bisherigen Rollen als ungestüme Rebellin, etwa in "Little Women" (2019) oder "Lady Bird" (2017). Ihre Charlotte ist im Schatten ihres Ehemannes verwelkt und sucht nun abseits davon einen neuen Platz in der Welt und in sich selbst. Die explosiven Liebesszenen sind für beide Überwältigung und Befreiungsschlag zugleich - jenseits einer Gesellschaft, die ihnen keinen Wert zuspricht.

Damit macht Francis Lee aus der historischen Figur Mary Anning und ihrer belegten Freundschaft zu Charlotte Murchinson weit mehr als ein Biopic. Er sucht zwischen den Zeilen nach den zwischenmenschlichen Verbindungen, die überlieferte Fakten über eine Person zum Leben erwecken. Ob Anning und Murchinson eine Beziehung miteinander hatten, ist dabei zweitrangig. Die Wahrscheinlichkeit ist jedoch gegeben, denn, so Lee, klassenübergreifende und zudem homosexuelle Beziehungen seien aus dieser Zeit kaum verbrieft, da sie so geheim geführt werden mussten, dass es kaum Möglichkeiten gibt, sie zu belegen. Insofern ist es durchaus von Belang, dass er sich eine reale Person ausgesucht hat, um sie mit einer fiktionalen Gefühlswelt zu füllen. Denn er verdeutlicht damit auch, dass Klassen- und Genderhierarchien willkürliche Verzerrungen in historischen Quellen hinterlassen können.

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Ammonite , Großbritannien 2020 - Buch und Regie: Francis Lee. Mit: Kate Winslet, Saoirse Ronan, Fiona Shaw, Gemma Jones. Tobis, 118 Minuten. Kinostart: 4. November 2021.

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