Doku über "Alien":Handliches Horrorpaket

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Rätselhafte Szenen: Die neue Doku "Memory" erklärt ein paar der Geheimnisse aus "Alien". (Foto: Mary Evans/Imago)

"Memory": Eine Dokumentation über "Alien", die fast genauso spannend ist wie der Filmklassiker.

Von Susan Vahabzadeh

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Das Schöne am Medium Dokumentarfilm ist, dass es zeigen kann, was es meint - und das ist im Fall von "Memory" auf gleich zwei Arten großartig: Erstens ermöglicht dieser Film über die Entstehung von "Alien" ganz nebenbei ein Wiedersehen mit zentralen Szenen aus Ridley Scotts Science-Fiction-Klassiker von 1979. Und zweitens erzählen hier die Beteiligten und eine ganze Reihe von Filmwissenschaftlern in ungewohnter Klarheit, was alles unter der Oberfläche von "Alien" schlummert - mal abgesehen von dem außerirdischen Monsterbaby, das im Bauch von John Hurt auf seinen großen Auftritt wartet.

Wie "Alien", speist sich "Memory: The Origins of Alien" aus vielen Quellen: aus den Beiträgen von Menschen der unterschiedlichsten Gewerke, aus der Geschichte, der Kunst, dem Kino. Regisseur Alexandre O. Philippe und Produzentin Kerry Deignan gehen aber erfrischend unakademisch an die Sache heran. Die "Chestburster Scene" beispielsweise ist ein zentraler Moment - das ist jene Szene, als die Crew des Raumschiffs Nostromo sich zu einem gemeinsamen Abendessen zusammenfindet, eine ausgelassene Runde. John Hurt spielt Kane, an dessen Kopf sich gerade noch eine außerirdische Kreatur festgekrallt hatte, aber jetzt scheint alles mit ihm in Ordnung zu sein, bis er plötzlich hustet und sich an den Brustkorb greift. Dann bricht ein Alien aus ihm heraus. Die Szene ist schon für sich genommen ungefähr so schockierend und so legendär wie die Dusch-Messerstecherei in Hitchcocks "Psycho" - von der handelte Alexandre O. Philippes vorheriger Film. Wie sich diese Szene auf Gewaltausbrüche in Stanley Kubricks Filmen bezieht, zeigt er im Splitscreen, wo er die entsprechenden Momente aus "A Clockwork Orange" und "Barry Lyndon" gegenüberstellt, die Augenblicke, in denen die scheinbar geordnete Welt zusammenbricht. Und wie Francis Bacons Gemälde die Bilder in "Alien" geprägt haben, erschließt sich auch am besten in der visuellen Gegenüberstellung.

Das Alien gilt als Geschöpf Ridley Scotts und H.R. Gigers. Aber was ist mit Drehbuchautor Dan O'Bannon?

"Alien" ist voller Referenzen, von Hieronymus Bosch, der den Alien-Gestalter H. R. Giger inspirierte, bis zu den Comics der Nachkriegszeit. Die Biografie von Dan O'Bannon, einer der beiden Drehbuchautoren und jener, der die ursprüngliche Fassung geschrieben hatte, ist eine Fundgrube an historischen Bezügen, angefangen bei der Heuschrecken-Angst eines Jungen, der auf einer Farm im Mittelwesten aufgewachsen war - und der später sehr genau wusste, dass seine Vorliebe für Comics mit Außerirdischen zu tun hatte, mit dem unverarbeiteten, diffusen Schrecken eines drohenden Atomkriegs. O'Bannon lebt nicht mehr, aber seine Witwe Diane kann allerhand Erinnerungen beisteuern an die Zeit, als das Drehbuch noch ein Entwurf war und es nicht so aussah, als würde es jemals verfilmt werden. Das ist dann tatsächlich filmhistorisch interessant, denn "Alien" gilt als Geschöpf von Ridley Scott und dem Künstler H. R. Giger, O'Bannons Vorarbeit wird hier neu bewertet.

Als das Projekt endlich Form annahm, wollte das Studio Giger nicht haben -dessen erste Entwürfe bezahlte O'Bannon aus eigener Tasche, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass es ohne ihn gehen würde - und das kann der Zuschauer heute auch nicht mehr. "Alien" ist aus der Science Fiction nicht mehr wegzudenken - die Visionäre der Sechziger hatten sich die Zukunft, glänzend, sauber und hell vorgestellt. "Alien" denkt die Profit-Orientierung mit, die Nostromo ist ein kommerzielles Schiff, das benutzt und funktional aussieht, das dunkel ist und in dem ein außerirdisches Monster sein Unwesen treibt.

Alexandre O. Philippe arbeitet eine ganze Reihe von Ideen sehr schön klar heraus: Dass "Alien" sexuell konnotiert ist und man eine männliche Vergewaltigung sieht, wenn Kane am Anfang angegriffen und im weitesten Sinne befruchtet wird, kriegt noch mal eine andere Dimension, wenn Philippe sie einbettet in die Emanzipationsängste im Kino der Siebziger-Jahre. Steigende Scheidungsraten sind eben viel greifbarer als das Raunen von der phallischen Gestalt des kleinen Monsters. "Memory" ist eine Anatomie des Horrors, zu einem handlichen Paket geschnürt. Allerdings verliert der Horror, wenn man ihn seziert, auch viel von seinem Schrecken - bedrohlich ist vor allem das, was man nicht versteht.

Memory: The Origins of Alien, als VoD, außerdem erschienen auf DVD und Blue Ray bei Atlas Film

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