Popkolumne:Horrorclown auf Gute-Laune-Drogen

Lesezeit: 3 min

(Foto: Tolga Akmen/AFP)

Famose neue Musik von Kaytranada, 100 Gecs, Dope Lemon und Kummer - sowie die Antwort auf die Frage, auf welchem verlorenen Posten die erfolgreichste Pop-Sängerin der Welt steht.

Von Jens-Christian Rabe

Beschwingt beschleunigt: Kaytranada

(Foto: N/A)

Das Album der Woche ist die neue EP "Intimidated" des kanadischen DJs und R'n'B- und House-Produzenten Louis Kevin Celestin alias Kaytranada. Drei Songs sind nur darauf, "Intimidated" mit der Sängerin Her, "$payforhaiti" mit dem Rapper Mach Hommy und "Be Careful" mit dem Bassisten Thundercat, dafür ist einer famoser als der andere. Musik, wenn es mal nötig ist, dass man beschwingt beschleunigt wird und dabei das Gefühl haben möchte, auf Watte zu wandeln. Und ist das nicht gerade eben jetzt eigentlich jeden einzelnen Tag nötig?

Sehr, sehr nervös: 100 gecs

(Foto: N/A)

Sollte man trotz allem irgendwann den unbedingten Drang verspüren nach dem kalten Hauch des Avantgarde-Pop-Wahnsinns der absoluten Gegenwart, dann sei zur neuen Single (und dem dazugehörigen Video) des amerikanischen Hyperpop-Duos 100 gecs geraten: "Mememe". Aber Vorsicht, die Musik von Dylan Brady und Laura Les klingt ungefähr so, als hätte sich ein Horrorclown auf Gute-Laune-Drogen die Tonspur für seine eigene Gehirnwäsche ausgedacht. Fast-Forward-Kirmes-Techno mit kratzig-punkigen Synthie-Flächen und cartoonartig hochgepitchten Bubblegum-Pop-Vocals. Eingängig, grell, und sehr, sehr nervös.

Stimmungen und Schwingungen: Adele

(Foto: Simon Emmett; Columbia Records/dpa)

Pop-Superstar Adele Laurie Blue Adkins alias Adele, deren neues Album "30" gerade eben erst erschienen ist und schon Verkaufsrekorde bricht, hat ja bei Spotify erwirkt, dass bei eingestellten Alben der Shuffle-Button ausgeblendet wird. "Wir machen uns über unsere Alben und die Reihenfolge der Songs nicht einfach ohne Grund Gedanken. Unsere Kunst erzählt eine Geschichte und unsere Geschichten sollten so gehört werden, wie sie gedacht waren", sagte sie dazu in einem Interview. Das ist natürlich ein rührender Kampf auf verlorenem Posten für das Pop-Album als Kunstform, den wir hier im Feuilleton unbedingt schätzen. Zum Glück ist es ja immer noch nicht verboten, Alben genau so zu hören und zu erleben, wie sie ihre Schöpfer gedacht haben. Beim breiteren Publikum ist der Kampf aber natürlich spätestens seit 2005 verloren, als Steve Jobs seinen iPod Shuffle explizit mit dem Hinweis vorstellte, dass das Shufflen, also die Zufälligkeit der Reihenfolge, in der die Songs abgespielt werden, nun einmal statistisch gesehen die beliebteste Form des Musikkonsums sei. Fluch und Segen der digitalen Revolution. Der Terminus technicus in der Musikindustrie ist übrigens skip rate, also die Wahrscheinlichkeit, mit der die Hörerin einen Song nicht zu Ende hört. Der amerikanische Rolling Stone zitiert dazu den Musikmanager Barry Johnson, der Label-Verantwortlichen einmal ein Album vorstellte mit einer ausgeklügelten Songdramaturgie, die einige der besten Songs am Ende vorsah. Man habe ihm nur geantwortet: "Und was ist, wenn die Leute gar nicht bis zum Ende des Albums kommen? Die Aufmerksamkeitsspannen sind so kurz. Wie wäre es denn, wenn wir die Hits an den Anfang stellen?" Der erfolgreichste Popmusiker der Zehnerjahre, der kanadische Rapper Drake, geht deshalb seit Jahren einen Schritt weiter: Hits werden als Singles veröffentlicht, Alben dagegen nach dem Prinzip Playlist konzipiert, also nicht als Abfolge einzelner Song-Kunstwerke, sondern als kuratierte Emo-Soundtracks, bei denen die einzelnen Teile wie im DJ-Mix fast unmerklich ineinander übergehen und Stimmungen und Schwingungen viel wichtiger sind, als unverwechselbar pointierte Kompositionen.

Musik zur Zeit: Kummer

(Foto: N/A)

Viel näher als Felix Kummer kann man an den Status eines deutschen Indie-Pop-Superstars kaum herankommen. Berühmt wurde der 1989 geborene Sänger und Rapper als Kopf der Chemnitzer Band Kraftklub. Mit seinem Soloprojekt Kummer und dessen neuer - und angeblich wirklich letzter - Veröffentlichung "Der letzte Song (Alles wird gut)" mit dem Co-Sänger Fred Rabe ist ihm jetzt aber sogar etwas noch ein bisschen unwahrscheinlicheres gelungen: ein Nummer-Eins-Hit! Aber weil das natürlich immer noch nicht erstaunlich genug ist, ist "Der letzte Song" auch noch der unwahrscheinlichste Pop-Hit, den man sich überhaupt denken kann: eine zackig-treibende sardonische Hymne, die große Absage an Zuversicht und Zweckoptimismus. Der niederschmetternde Refrain geht so: "Alles wird gut / Die Menschen sind schlecht und die Welt ist am Arsch / Aber alles wird gut / Das System ist defekt, die Gesellschaft versagt / Aber alles wird gut / Dein Leben liegt in Scherben und das Haus steht in Flammen / Aber alles wird gut /Fühlt sich nicht danach an / Aber alles wird gut". Lies sich denn je zutreffender über einen Song behaupten, er sei die Musik zur Zeit?

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