Dass Menschen so sind wie die Musik, die sie hören, ist natürlich ein Klischee. Was die Tatsache aber nicht weniger wahr macht. Denn anhand des Musikgeschmacks kann man so einiges erfahren über einen Menschen. Wie er sich selbst sieht. Für was er steht. Für was er stehen will. Nun gibt es eine Auswahl, die noch mehr verrät als jede Playlist und jedes Plattenregal. Und das ist die Zapfenstreich-Serenade. Weshalb es sich wirklich lohnt, einen genauen Blick auf die Lieder zu werfen, die der scheidende Bundespräsident Joachim Gauck für seine feierliche Verabschiedung ausgewählt hat.
Da wäre zum einen das alte Volkslied "Freiheit, die ich meine". Dann der DDR-Klassiker "Über sieben Brücken musst du gehn" von Karat und schließlich das Kirchenlied "Ein feste Burg ist unser Gott". Freiheit, Brücken, Gott? Das ist doch Gauck in drei Worten. Die Wahrheit offenbart sich im Klischee.
Die freiwillig-unfreiwillige Dekonstruktion des Politiker-Ichs
Der Große Zapfenstreich ist das höchste Zeremoniell der Bundeswehr. Mit ihm werden wichtige Politiker feierlich aus dem Amt verabschiedet. Bundespräsidenten, Verteidigungsminister, Bundeskanzler. Man kann diese Veranstaltung in ihrem seltsam steifen Militärpomp als völlig unzeitgemäß abtun. Man kann sich aber auch auf ihre ausgestellte Ernsthaftigkeit einlassen. Und ein paar sehr unterhaltsame Youtube-Videos anschauen. Denn dort sieht man, was da im Fackelschein wirklich vonstattengeht: die freiwillig-unfreiwillige Dekonstruktion des Politiker-Ichs.
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Als Karl-Theodor zu Guttenberg im März 2011 von seinem Posten als Verteidigungsminister zurücktritt, spielt das Musikkorps der Bundeswehr für ihn "Smoke on the Water" von Deep Purple. Im Bläsergrollen der Militärkapelle erinnert der Song an die Titelmelodie eines James-Bond-Films. Und der grinsende Guttenberg mit Gelfrisur wird zum 1-A-Bond-Bösewicht. Eher "Der Morgen stirbt nie" als "Ein Quantum Trost". Oder Christian Wulff, der zum verschleppten Trommeln einer melancholisch-flüchtigen Version von "Somewhere Over the Rainbow" aus Schloss Bellevue segelte. Ein Traumtänzer-Stück für den großen Träumer unter den Bundespräsidenten.
Zu den absoluten Highlights unter den Großen Zapfenstreichen zählt aber der Abschied von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Zu gleichen Teilen süffisant und elegant tüdelt sich die Kapelle durch "My Way", Frank Sinatras populärsten Hit. In den Kanzleraugen funkeln die Tränen, doch der Blick sagt: I did it my way. Das passt ebenso gut zum Großagendakanzler Schröder wie die trantrötig verschunkelte Version von "Live is Life" zu Thomas de Maizière. Der Grölklotz der österreichischen Bierzelt-Popper Opus wird zum blassen und leblosen Ebenbild des damaligen Verteidigungsministers.
Im Vergleich zu seinen Kollegen in Amt und Würden kommt Joachim Gauck mit seinem Zapfenstreich ganz gut weg. Seine Musikauswahl ist wie seine Präsidentschaft: bodenständig und doch irgendwie über den Dingen schwebend. Besonders interessant ist im Fall Gauck aber die Ambiguität seiner Liedwahl. Denn so sehr sie ihn selbst zu beschreiben scheint, sie ist auch eine Botschaft an die Bürger seines Landes.
Da ist der große DDR-Durchhalte-Hit "Über sieben Brücken musst du gehn", der eben solche Brücken schlägt aus der Vergangenheit in die Zukunft, aus dem Heimeligen in die Fremde. Der eint statt trennt. Da ist Martin Luthers trotziges Kampflied "Ein feste Burg ist unser Gott", das er entweder unter dem Eindruck der nahenden Pest oder der osmanischen Invasion geschrieben haben soll. Und da ist nicht zuletzt das große Gauck-Thema: die Freiheit. "Magst du dich nie zeigen der bedrängten Welt?", fragt die erste Strophe des Volkslieds "Freiheit, die ich meine". Und es stimmt ja: Welt und Freiheit sind bedrängt, von Populisten, Hetzern und Despoten. "Wo sich Männer finden, die für Ehr' und Recht mutig sich verbinden, weilt ein frei Geschlecht", heißt es weiter. Zum Abschied findet der Präsident Gauck Lieder, die den Menschen Gauck beschreiben, die aber auch in Dialog mit der Gesellschaft treten. Nachdenken statt Mystifizieren, Zeitdiagnose statt Ego-Inszenierung.