Abgesagtes Gastspiel:"In der Türkei haben wir Angst vor der Willkür"

Thomas Ostermeier Schaubühne Berlin Lars Eidinger

Lars Eidinger wird nun doch nicht als Richard III. in Istanbul auf der Bühne stehen.

(Foto: ARNO DECLAIR; Schaubühne Berlin)

Mit "Richard III." sollte die Berliner Schaubühne auf dem Theaterfestival in Istanbul gastieren. Nun haben Regisseur Thomas Ostermeier und sein Team die Aufführung aus Sicherheitsgründen abgesagt.

Interview von Carolin Gasteiger

SZ: Herr Ostermeier, Sie haben kurzfristig Ihr Gastspiel mit "Richard III." in Istanbul, in dem Lars Eidinger die Hauptrolle spielt, abgesagt. Warum?

Thomas Ostermeier: Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht. Aber nach immer mehr Verhaftungen von Journalisten und Künstlern wurden unsere Bedenken einfach zu groß, ob das nicht auch uns treffen könnte.

Sie meinen, verhaftet zu werden?

Ja. Wir sind in der Vergangenheit in viele Regionen der Welt gefahren, wo die Leute im Voraus gesagt haben: "Vorsicht!" Wir haben schon in Ramallah in der Westbank, in Teheran, Weißrussland und regelmäßig in China gespielt. Wir sind grundsätzlich eher dafür bekannt, in politisch heikle Regionen zu fahren. Aber in diesem Fall haben wir konkret Angst vor dieser Willkür, dieser Unberechenbarkeit. Und der Tatsache, dass viele Leute mit deutschem Hintergrund dieser Willkür ausgesetzt waren - ohne ersichtlichen Grund.

Hätten Sie nicht von vornherein eine Teilnahme am Festival absagen können?

Wir dachten bis zuletzt, dass wir fahren könnten. Aber richtig irritiert hat uns die Festnahme von Osman Kavala. Das ist ein türkischer Kulturmäzen, der Aktivisten mit seinem privaten Geld unterstützt. Er hat außerdem eng mit dem Goethe-Institut zusammengearbeitet und wurde aus dem Flugzeug heraus verhaftet. Das hat nochmal eine neue Dimension erreicht. Und davon sind nicht nur wir, sondern auch unsere Ansprechpartner vor Ort verunsichert.

Nun handelt "Richard III." von einem rachsüchtigen Tyrannen, der für viele das Böse schlechthin verkörpert. Auch ein Grund, das Gastspiel abzusagen?

Mit dem Inhalt des aktuellen Stücks hat die Entscheidung weniger zu tun als mit dem Stoff, den wir vor drei Jahren in Istanbul aufgeführt haben. Damals spielten wir "Ein Volksfeind" von Henrik Ibsen, bei dem das Publikum in die Aufführung einbezogen wird. In diesen Momenten gab es fast durchweg Erdoğan-kritische Bemerkungen aus dem Saal. Am nächsten Tag stand in der regimetreuen Presse, wir würden ein "dirty German game" spielen. Sie meinten, wir hätten das Publikum dazu verführt, sich kritisch zur Politik ihres Präsidenten zu äußern. Nun war eben unsere Sorge, dass sie sich an uns erinnern. Wir treten ja zum Teil sogar mit denselben Schauspielern auf.

Thomas Ostermeier Schaubühne Berlin

Hat Angst um sein Ensemble: Schaubühnen-Regisseur Thomas Ostermeier

(Foto: DRS GmbH; Brigitte Lacombe/Schaubühne Berlin)

Nun kann das Istanbuler Theaterpublikum wenig dafür, was die Machthaber beschließen. Stehen Sie da nicht in einem Interessenkonflikt?

Natürlich. Wir sind total zerrissen, glauben Sie mir das! Das wissen auch unsere Partner auf türkischer Seite und das Auswärtige Amt. Aber sie verstehen unsere Sorge.

Hat Sie das Auswärtige Amt nicht gewarnt?

Nein. Die dachten nicht, dass für uns eine Gefahr besteht. Allerdings konnten sie uns auch keine hundertprozentige Sicherheit gewähren. Auch viele, die ich vor Ort um eine Einschätzung der Lage gebeten habe, hatten keinerlei Bedenken. Aber komplett ausschließen konnte es eben auch niemand.

Wie hat Ihr Ensemble reagiert?

Alle tragen unsere Entscheidung vollumfänglich mit. Irgendwann wurden die Bedenken im gesamten Team einfach zu groß, als dass wir das hätten ignorieren können. Aber für diejenigen im Team, die einen türkischen Pass besitzen, war es am schwersten. Sie waren sehr traurig, weil sie uns auf der einen Seite natürlich verstehen. Andererseits fragen sie sich aber auch: "Wie schlimm steht es um unsere Türkei schon, wenn nicht mal wir uns noch trauen, dorthin zu fahren?" Wir hoffen natürlich, dass wir das Gastspiel nachholen können, wenn die Situation in der Türkei eine andere ist.

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