Musik-Streaming:Die gehackten Charts

Lesezeit: 2 min

Der Hacker soll mit hunderten Spotify-Profilen die Wiedergabezahlen einzelner Rapper in die Höhe getrieben haben. (Foto: Foto: unsplash / sgcdesignco)

Im Funk-Video "The Rap Hack" behauptet ein Mann namens Kai, Streamingdienste wie Spotify massenhaft manipuliert zu haben.

Von Jens-Christian Rabe

Unter den professionellen Beobachtern des Marktes, deren Job es ist, "Megatrends" auszumachen, die großen Linien der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung, gilt gerade der "Kampf um Aufmerksamkeit" als Megatrend. Aber das klingt als einsames Schlagwort zu vertraut und harmlos. Der Kampf um Aufmerksamkeit wird ja nicht mehr mit ein paar Menschen, Tieren, Sensationen geführt, sondern nur noch mit Daten, Daten, Daten. Alle digitalen Regungen werden irgendwo gespeichert, und von den physischen Regungen mit Überwachungskameras und sonstigen Bewegungsmeldern auch schon eine furchterregend große Menge. Und hinter dem "Kampf um Aufmerksamkeit" steht die Auswertung der Datenmassen zur Vermessung jedes einzelnen Menschen.

Die Aufregung, die in den vergangenen Tagen ein 23-minütiger Video-Report über die Manipulation der deutschen Musikcharts auslöste, kam einem da fast niedlich vor - und doch ist der Fall symptomatisch, zeigt er im Kleinen doch sehr schön alle Abgründe des digitalen Überwachungskapitalismus. Der Beitrag "Der Rap Hack" ist auf dem Youtube-Kanal "Y-Kollektiv" abrufbar, den Funk betreibt, das Online-Medienangebot von ARD und ZDF. Mehr als 1,3 Millionen Mal wurde er schon angeklickt. Im Mittelpunkt steht ein vermummter Mann namens Kai, der behauptet, die "Charts hacken" und für 50 000 Euro eine "goldene Schallplatte" servieren zu können. Die "Goldene Schallplatte" ist die Währung, in der die Musikindustrie Erfolg bemisst. In Deutschland bekommt man sie für 200 000 verkaufte Einheiten eines Songs, wobei 200 mindestens 31-sekündige Streams eines Songs bei einem Streaming-Dienst als eine verkaufte Einheit gezählt werden.

Zehn Jahre Spotify
:"Es gibt keine Intros mehr"

Der Streaming-Dienst Spotify wird zehn Jahre alt. Im Interview erklärt Musikwissenschaftler Hubert Léveillé Gauvin, wie sehr das die Popmusik verändert hat.

Interview von Hakan Tanriverdi

Kais Rezept, das er eigener Aussage zufolge auch schon für die "fünf größten Top-Künstler" des deutschen Rap anwendete, besteht darin, bei Streaming-Diensten wie Spotify Hunderte Nutzerprofile und Playlists so zu manipulieren, dass sie einen beliebigen Song in Endlosschleife abrufen, bis zum gewünschten Erfolg in den deutschen Charts und bei den Spotify-Tantiemen. Es wird viel verpixelt in dem Video, aber man hat den Eindruck, dass er das Verfahren dem Filmteam am Beispiel Spotify vorführt; es öffnen sich tatsächlich sehr viele Spotify-Nutzerprofile auf seinem Bildschirm. Ob die Manipulation auch mit dem Song in großem Stil klappt, den das Y-Kollektiv eigens mit seinem Moderator als Rapper produzieren ließ, bleibt allerdings unklar.

Fragt man in der Sache bei Spotity nach, kommt blitzschnell bloß ein Satz zurück: "Von Seiten von Spotify gibt es dazu keinen Kommentar." Die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), die die deutschen Charts erstellt und vermarktet, teilt mit, dass die "Qualitätssicherung ein zentraler Bestandteil der Offiziellen Deutschen Charts" sei und "der Prüfprozess" auch im dargestellten Fall gegriffen habe. Der wesentlichste Teil der unerwünschten Zugriffe sei erkannt worden, der Song nicht gechartet.

Wie geprüft wird, will die GfK natürlich nicht genauer verraten. Genauso wenig wie Kai seine Hacker-Tricks, sodass man am Ende kaum schlauer als zuvor ist, bloß noch misstrauischer.

© SZ vom 29.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Streamingdienst
:Als ob es bei Spotify um Musik ginge

Ein Buch zeigt, dass Spotify Daten an eine Firma gibt, deren Dienste auch vom US-Verteidigungsministerium genutzt werden. Es entzaubert den Streamingdienst gründlich.

Von Jan Kedves

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: