70. Geburtstag von Nike Wagner:Die kämpferische Erbin

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Nike Wagner (Foto: Oliver Berg/dpa)

Nike Wagner, die vielseitige Festival-Leiterin, wird siebzig. Und auch zu den aktuellen Krisengerüchten um den Grünen Hügel hat sie eine klare Meinung.

Von Wolfgang Schreiber

Deutschland hat kein regierendes Herrscherhaus mehr. Aber es hat die Wagners, die Nachkommen des sächsischen Revoluzzers und Komponisten Richard Wagner. Sie sind die Royals, Bayreuth ist ihre Residenzstadt. Dort wuchs auch Nike Wagner auf, die Urenkelin des großen Richard, zugleich Ururenkelin des Komponisten und Wagner-Mäzens Franz Liszt. Dessen Tochter Cosima heiratete Richard Wagner in zweiter Ehe, und nicht von ungefähr erscheint Nike Wagner ihrer Urgroßmutter Cosima wie aus dem Gesicht geschnitten: Zarter Selbstbehauptungswille ist darin eingegraben, innerer Gleichmut - genauso, eher wagneruntypisch, eine feinmotorische Ironiefähigkeit bis zur Schärfe.

Sehr klar und dezidiert äußert sich Nike Wagner im SZ-Gespräch zu den aktuellen Gerüchten um ein "Hügelverbot" für ihre Cousine Eva Wagner-Pasquier: "Die Tradition der Haus- und Hügelverbote hat in Bayreuth ja ihre Komik." Und, "wenn es schon so weit kommt, dass ein Dirigent wie Kirill Petrenko sich einmischt, dann muss die Krise handfest sein". Im übrigen seien Informationen (SZ vom 5. und 8. Juni) "nur die Spitze eines Eisbergs".

Onkel Wolfgang schmetterte ihre Ideen einer Neuausrichtung der Festspiele ab

Lust und Last der Wagner-Erbschaft bestimmen Nike Wagners Leben, Grüner Hügel und Villa Wahnfried waren einmal ihr Zuhause. Als sie 1945 in Überlingen am Bodensee geboren wird, beginnt Vater Wieland gerade, sein Leben neu zu sortieren: Die skandalöse Intimität seiner Mutter Winifred, Bayreuths Festspielherrin, mit Adolf Hitler hatte die Jugend Wielands und des Bruders Wolfgang obskur geprägt, die Festspiele beschmutzt. Den Brüdern gelingt der Neubeginn: Die "Entrümpelung" der Kunst Wagners und seiner Bühne gehört zu Nikes Grunderlebnissen. Als ihr Vater 1966 stirbt, die geistige Kraft der neuen Festspiele, übernimmt Onkel Wolfgang, der geborene Organisator, das Festival.

Nike Wagner begann damals, für die Fortsetzung der Wieland-Erneuerung, die Zukunft der Festspiele, zu kämpfen - gegen Wolfgang Wagner. Zäh griff sie öffentlich dessen Beharrungswillen an, erstrebte selbst die Festspielleitung. Vergebens. Der Onkel schmetterte ihre Ideen ab. Als Wolfgang Wagner, alt und krank, 2008 zurücktrat und der Stiftungsrat die Nachfolge zu regeln hatte, bewarb sich Nike Wagner in letzter Minute gemeinsam mit Gerard Mortier um die Festspielführung. Installiert wurden Wolfgang Wagners Töchter Katharina und Eva, Nike blieb bis heute deren wachsame Kritikerin.

Nike, so heißt die Siegesgöttin der griechischen Mythologie, hätte den Grünen Hügel liebend gern erobert, um ihn zeitgenössisch aufzuwerten. Aber sie war nicht süchtig nach Wagner und Bayreuth. In Berlin, München, Wien und den USA hatte sie Musik-, Theater- und Literaturwissenschaften studiert, über "Karl Kraus und die Erotik der Wiener Moderne" promoviert. Wien wurde zum Lebensmittelpunkt der Publizistin, die Essays, Bücher schrieb, auch zum "Wagner Theater", die historische und musikalische Kompetenz mit ihrem intellektuellen Horizont verband, am Berliner Wissenschaftskolleg arbeitete, später dramaturgisch an einem neuen Münchner "Ring des Nibelungen".

Ihre Wagner-Wunde heilte sie damit, dass sie sich mit dem anderen Ahnherrn, Ururgroßvater Franz Liszt verbündete, dem großen Europäer: In Weimar, der Klassiker-Stadt, gelang es Nike Wagner von 2004 an, das dortige "Kunstfest" mit neuer Energie aufzuladen. Sie nannte das künstlerisch weit geöffnete Festival "Pèlerinages", nach dem ausschweifenden Lisztschen Klavierzyklus der "Wanderjahre". Jeder der Festival-Jahrgänge wurde mit dem Konzert "Gedächtnis Buchenwald" eröffnet, einem kulturellen Gedenken an Weimars KZ-Nachbarschaft. Ins Wagner-Jahr 2013 fällt Nike Wagners Misstrauensvotum gegen Urgroßvaters Verführungskünste, ihr, bei aller Wertschätzung der Wagner-Größe, öffentlich erklärter Argwohn gegen "Wagners gewisse Psycho-Knechtschaft, das An-die-Wand-Drücken, das Sicheinnisten als Ohrwurm".

Das Angebot, von 2014 an das Beethovenfest Bonn künstlerisch zu leiten, musste Nike Wagner faszinieren. Ihre Programmideen stehen im Zeichen einer doppelt modernen Identität des Komponisten: Beethoven, der Avantgardist, und Beethoven, der Menschenrechtler. Ihr Motto für das Festival 2015heißt "Veränderungen" - mit Beethovens Diabelli-Variationen im Zentrum, ungewohnten Perspektiven auf Beethovens Genie und, natürlich, Kompositionsaufträgen an lebende Tonsetzer. Idealtypisch für Nike Wagners Kunstdenken - der Begrüßungssatz im Programmbuch: "Kunst lebt vom Geist, von frischen Impulsen."

© SZ vom 09.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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