Dimitrios Tassikas klingt selbstbewusst. "Wir wollen deutschlandweit ein Zeichen setzten", sagt der 45-jährige Bauinvestor, dem eine Sanitärfirma und ein Immobilien-Unternehmen in Gütersloh gehören. Mit der Energiewende beschäftige er sich schon lange. "Wir schalten in Deutschland die Atomkraftwerke ab, importieren aber gleichzeitig Atomstrom aus Belgien", schimpft Tassikas. "Das zeigt doch, dass viele Energiekonzepte überhaupt nicht nachhaltig sind." Um daran etwas zu ändern, müsse man völlig neu denken und auch mal etwas riskieren. So wie er.
Tassikas möchte in Gütersloh ein Quartier errichten, das sich selbst mit Ökostrom und Wärme versorgt. Doch nicht nur das: Die Energie für das "H2-Revier" soll an Ort und Stelle mittels Biogas-, Windkraft- und Solaranlagen produziert und in Form von Wasserstoff gespeichert werden. So würde selbst dann genügend Energie zur Verfügung stehen, wenn die Sonne einmal nicht scheint oder kein Wind weht. In Deutschland ist ein solch konsequentes Energiekonzept bei einem Wohnviertel bislang wohl einmalig. Gelingt es, könnte das Gütersloher Projekt auch anderswo Schule machen. Scheitert es - nun ja, diese Vokabel kommt bei Dimitrios Tassikas nicht vor. "Wenn ich Angst vorm Scheitern hätte, wäre ich nicht der, der ich bin."
Das "H2-Revier" soll aus sieben Einfamilienhäusern, zwölf Mehrfamilienhäusern, einer Kita, einem Bürogebäude und einer Tankstelle bestehen, an der überschüssiger Wasserstoff verkauft wird. 3,2 Hektar ist das Baugebiet groß; ringsherum stehen weitere drei Hektar zur Verfügung, um die Windräder und die Wasserstoff-Produktion in ausreichendem Abstand errichten zu können. Wie groß der Sicherheitsradius genau sein muss, weiß Tassikas noch nicht. "Wir betreten hier Neuland", sagt der Investor. "Da gibt es keine DIN-Norm, die alles regelt." Es ist eine von vielen Hürden, die er überwinden muss, damit sein Projekt gelingt.
Für die Umsetzung seines Vorhabens arbeitet der Geschäftsmann mit mehreren Fachfirmen zusammen, darunter der H2 Powercell GmbH aus Wettringen im Münsterland, die Brennstoffzellen herstellt. "Um das gesamte Quartier zu versorgen, benötigen wir 368 Kilo Wasserstoff am Tag", sagt Diana Duque, Entwicklungsingenieurin bei H2 Powercell. Diese Menge könne mithilfe von drei Elektrolyseuren vor Ort produziert werden. Auf einem benachbarten Gelände stehe zusätzlich eine Biogasanlage zur Verfügung. "Alle Flächen, die wir nutzen können, nutzen wir auch", sagt Duque.
Die Rechnung geht nur auf, wenn der Staat mithilft
Für Tassikas ist sein "H2-Revier" auch eine Frage der Gerechtigkeit. "Wer es sich leisten kann, setzt sich in Deutschland momentan eine PV-Anlage aufs Dach und verdient damit Geld", sagt er. Andere könnten das nicht. Deshalb müsse sich an der Energiepolitik grundsätzlich etwas ändern. Allerdings wird auch das Wohnen in seinem Viertel mit einem Mindest-Quadratmeterpreis von 4000 Euro nicht billig sein. Auf diesen Widerspruch angesprochen, sagt Tassikas: "Ich kann und werde nichts verschenken." Sein innovatives Energiekonzept könne nur dann funktionieren, wenn er genügend staatliche Unterstützung erhalte. Tassikas geht von Baukosten zwischen 45 und 55 Millionen Euro aus - plus 15 Millionen für das Energiekonzept. Wobei er hofft, dass Letzteres zu 80 Prozent gefördert wird.
Die Behörden in Gütersloh sind eher zurückhaltend, was das H2-Revier angeht. Man sei "grundsätzlich offen für innovative Verfahren", heißt es aus dem Rathaus. Es handle sich jedoch um ein sehr neues Verfahren, zu dem bislang keine Erfahrungswerte vorlägen. Momentan befinde sich das Projekt im Bauleitverfahren; es habe bereits mehrere Gespräche mit Tassikas gegeben. "Ein Konzept, das die im Gespräch beschriebenen Ideen konkretisiert, wäre nun der nächste Schritt, den der Investor gehen müsste", erklärt die Pressesprecherin. Für die Genehmigung der Energiegewinnung sei am Ende aber wahrscheinlich nicht die Stadt, sondern der Kreis oder die Bezirksregierung zuständig.
Einige Vorbilder gibt es dennoch. So rüstet der Immobilienkonzern Vonovia derzeit ein Viertel in Bochum so um, dass Wasserstoff zur Wärmeversorgung genutzt werden kann - aber eben nur zum Teil. So sollen 81 von 1541 Wohnungen auf diese Weise versorgt werden. Der Strom, der zur Wasserstoff-Produktion benötigt wird, stammt zu einem Viertel aus eigenen Solaranlagen, die sich auf den Dächern der Wohnhäuser befinden; der Rest ist Ökostrom aus dem Netz.
In Krefeld existierte von 2005 bis 2008 ein ähnliches Projekt. Ein Brennstoffzellen-Kraftwerk versorgte zwei Häuserblocks mit Wärme und Strom. Um "grünen" Wasserstoff handelte es sich dabei aber nicht. Stattdessen wurden die Brennstoffzellen mit Erdgas betrieben, was in der Umweltbilanz aber trotzdem besser ausfiel als der vorherige Heizkessel. Dennoch wurde der Versuch am Ende eingestellt. "Es war, salopp gesagt, schweineteuer", sagt Arno Gedigk, der damals zuständige Ingenieur. Außerdem sei die Anlage häufig ausgefallen. "Inzwischen haben wir einen Holzpellet-Ofen in dem Gebäude installiert", sagt Gedigk. "Der läuft super."
Wissenschaftler sehen hier großes Potenzial
Ist die Zeit also doch noch nicht reif für ein "H2-Revier"? Christopher Hebling, Wasserstoff-Experte am Fraunhofer-Institut ISE in Freiburg, sieht das anders. "Gerade in Regionen, die ein großes Potenzial an erneuerbaren Energien haben, ergibt so ein Projekt Sinn", sagt Hebling. Wo Wind, Sonne und Biomasse verfügbar seien, könne man sie auch nutzen, zumal der Wasserstoff dann auch wirklich "grün" ist und nicht etwa mit Kohlestrom hergestellt wird. Der CEO der Deutschen Energieagentur, Andreas Kuhlmann, klingt noch begeisterter. "Aus unserer Sicht hat die Thematik eindeutig Zukunft", sagt Kuhlmann. Momentan werde das Potenzial von dezentral genutztem Wasserstoff noch stark unterschätzt - Gütersloh sei dafür ein gutes Beispiel.
Aber auch Kuhlmann räumt ein, dass die Herstellung von Wasserstoff aktuell teurer ist als die Nutzung fossiler Brennstoffe. "Um eine Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen, wird eine Kombination aus verschiedenen Technologien erforderlich sein", schlussfolgert der Experte. "Es gibt da kein Entweder/Oder." Und was ist mit Fernwärme oder Wärmepumpen? "Das hängt sehr stark von der individuellen Einsatzsituation ab", sagt Kuhlmann. Wasserstoff sei in jedem Fall gut, um kalte, dunkle Wintermonate zu überbrücken.
Solchen Ansporn hört Dimitrios Tassikas in Gütersloh natürlich gern. Schon Mitte 2021 möchte er das erste Gebäude, das Bürohaus, auf dem Gelände errichten. Insgesamt veranschlagt er sechs bis sieben Jahre, um das komplette Quartier zu realisieren. Fehlt nur noch das Wichtigste: die Baugenehmigung. "Ich bin total optimistisch, was das Projekt angeht", sagt Tassikas, schiebt dann aber doch einen Satz hinterher: "Wenn es scheitert, dann an baurechtlichen Fragen."