Frank-Walter Steinmeier:Diplomatische Scharmützel

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Den Bundespräsidenten auszuladen, sei eine Riesendummheit gewesen, meinen die einen empört. Andere können diesen Schritt Selenskijs gut nachvollziehen und fordern nun erst recht, dass Steinmeier zurücktreten solle.

Illustration: Karin Mihm (Foto: Karin Mihm)

"Irritationen zwischen Berlin und Kiew" vom 14. April, "Steinmeier in Kiew unerwünscht" und "Der Unerwünschte" vom 13. April:

Riesendummheit

Die Ablehnung eines Besuchs des deutschen Bundespräsidenten in Kiew ist ein Affront gegenüber dem Amtsinhaber und gegenüber Deutschland. Mehr noch, es ist eine Riesendummheit: "Ein Hund beißt nicht die Hand, die ihn füttert" lautet eine Volksweisheit - ein etwas derber Spruch, aber mit Derbheiten kennt sich der ukrainische Botschafter ja bestens aus.

Der russische Präsident Wladimir Putin wird sich in seiner Meinung bestätigt fühlen, dass Wolodimir Selenskij nur ein Schauspieler in der Rolle eines Staatspräsidenten ist - und damit entbehrlich. Die Menschen in Deutschland, die gespendet und Flüchtlinge aufgenommen haben, werden sich, wenn wie 2015 die Anfangsbegeisterung nachlässt, an die Arroganz der ukrainischen Regierung erinnern.

Egon Held, München

Steinmeier sollte zurücktreten

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat in seiner aktiven Politikerzeit zwei große Fehler begangen. Erstens einen außenpolitischen: Er war unkritisch zu Putin und hat so bei ihm den Eindruck von Schwäche erweckt. Diesen Fehler haben auch Schröder, Merkel und andere Politiker gemacht. Wieso lernt ein Außenpolitiker nicht aus den Kriegen in Tschetschenien und Georgien?

Zweitens hat Steinmeier einen sozialpolitischen Fehler gemacht: Er hat sich eindeutig für die Einführung des sehr unsozialen Hartz IV eingesetzt. Dass andere Politiker den gleichen Fehler gemacht haben, entlastet ihn nicht. Wie kann einer aus einfachen Verhältnissen solche unsozialen Gesetze befürworten? Nach meiner Meinung sollte Steinmeier nun die Konsequenz ziehen und von seiner Funktion als Bundespräsident zurücktreten und kein weiteres politisches Amt mehr antreten.

Dr. Ludger Bußhaus, Erftstadt-Lechenich

Was war die Alternative?

Mit der Ausladung Steinmeiers bekleckert der ukrainische Präsident sich nicht mit Ruhm. Gewiss, im Nachhinein ist man immer schlauer, wenn man jetzt zu den guten früheren Beziehungen vom Bundespräsidenten zu Russland eine kritische Haltung einnimmt. Warum aber gab es vor dem russischen Angriffskrieg keine laute Kritik an Steinmeiers Handeln? Niemand wäre je auf die Idee gekommen, dass Putin so einen mörderischen Krieg gegen die Ukraine beginnt. Dass Putin vorher auch kein vertrauenswürdiger Machthaber für die westliche Welt war, wusste jeder vernünftige Mensch, der ein bisschen Menschenkenntnis besaß. Nur wäre die völlige Isolation Russlands zuvor die bessere Wahl gewesen? Wohl kaum. Putins Unberechenbarkeit hätte womöglich noch schlimmere Ausmaße gehabt. Der Westen hat versagt, da es sicher schon früher Pläne und Anzeichen für den abscheulichen Einmarsch gegeben hatte. Die Deeskalationsbemühungen mit dem Kreml hätten also viel früher anfangen müssen und nicht erst, als das Kind schon begonnen hatte, in den Brunnen zu fallen.

Ayhan Matkap, Donauwörth

Spielernatur

Das Problem ist nicht, dass die Ukraine den Besuch des deutschen Staatspräsidenten nicht wünscht. Daran wird aber nur zu deutlich, dass der gewählte ukrainische Präsident Selenskij ein Spieler ist. Er meint, die besseren Karten zu haben. Er meint, sein Blatt (der Krieg in der Ukraine) gegenüber dem Westen, speziell Deutschland, ausreizen zu können, um seine Ziele zu erreichen, wie etwa den militärischen Sieg der Ukraine über Russland. Und hier beginnt das Gefährliche.

Entgegen allen Lehren aus der Geschichte und der Berücksichtigung des gewaltigen Atomwaffenarsenals Russlands meint Selenskij mithilfe seiner professionell gemachten Internetauftritte dem russischen Gegenüber meilenweit überlegen zu sein. Und das im Westen erklingende Echo lässt seine Spielernatur immer größere rhetorische Wagnisse eingehen. Dazu gehört auch der Affront gegenüber dem deutschen Bundespräsidenten. Das Problem liegt aber nicht in diesem diplomatischen No-Go. Die Gefahr liegt darin, dass hier ein Präsident mit dem Krieg spielt.

Dr. Detlef Rilling, Scharbeutz

Die Legende der Ukraine

Steinmeier in Kiew unerwünscht. Und wer ist schuld? Natürlich die Deutschen. Selenskij wirft dem Bundespräsidenten ein zu gutes Verhältnis zu Putin vor. Selenskij hat ja schon immer gewusst, dass man Putin nicht trauen darf, oder besser, dass man Putin alles an verbrecherischer Gewalt zutrauen muss, was denkbar ist. Wenn das so ist, dann frage ich mich, warum dieser vom ukrainischen Volk gewählte Präsident einen Krieg mit Russland in Kauf genommen hat, anstatt sein Volk vor dem Untergang zu schützen? Putin hat ja nicht umsonst monatelang Manöver in voller Truppenstärke an den Grenzen zur Ukraine abgehalten und Garantien dafür verlangt, dass die Ukraine nicht der Nato beitritt. Und nun haben wir dieses Mörderspiel mit zwei Zockern, wobei der eine alle Karten in der Hand hat und genüsslich zusieht, wie der ganze Westen in Bedrängnis kommt, und der andere Zocker außer Heldenmythos nichts hat, außer zerstörten Städten, vernichteten Existenzen, Leichen überall und Flüchtlingen. Und den Wunsch nach Waffen, Waffen, Waffen - damit der Krieg noch möglichst lange dauert und die Erde total verbrannt ist. Und die Botschaft, die Ukraine könne den Krieg gewinnen, wenn nur die Deutschen nicht so halsstarrig wären und endlich alles das machen würden, was Selenskij fordert. Der Schuldige am Verderben steht schon fest: die deutsche Politik. So wird in der Ukraine an einer Art moderner Dolchstoßlegende gebastelt.

Dr. Rainald Meier, Tutzing

Klare Kante unter Freunden

Frank-Walter Steinmeier ist nach seinem Naturell und seiner langen politischen Vergangenheit ein Mann der geduldigen Suche nach Kompromissen. Gemäß seiner aktuellen Jobbeschreibung ist er vor allem ein Mann der Worte. Der Ukraine aber steht das Wasser bis zum Hals. Sie möchte statt freundlicher Worte lieber mehr Taten sehen. Deshalb ist es nur konsequent - wenn auch ein wenig "undiplomatisch" - sich in der jetzigen Lage einer voraussichtlich rein symbolischen Stippvisite des deutschen Bundespräsidenten zu verweigern. Diplomatie darf nicht immer nur säuseln. Gerade zwischen Freunden muss man auch einmal klare Kante aushalten.

Axel Lehmann, München

Siegessicher

Das Minsker Abkommen vom 15. Februar 2015 zielte darauf ab, dass die besetzten Gebiete im Osten der Ukraine entmilitarisiert werden, dann dort Wahlen nach ukrainischem Recht abgehalten werden und schließlich bis Ende 2015 die ukrainische Verfassung geändert wird, zur Schaffung einer Autonomie für die Oblaste Donezk und Luhansk. Dieses Abkommen unterzeichneten Russland, die Ukraine, Deutschland und Frankreich. Es wurde wesentlich durch den deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier geprägt. Die Ukraine wirft Europa und Deutschland und somit Steinmeier vor, ihr 2014 nicht militärisch geholfen zu haben, sodass sie gezwungen war, ein für sie wenig vorteilhaftes Abkommen zu unterzeichnen. Derzeit ist die Ukraine wohl recht siegessicher und meint daher, europäische Länder gegenseitig ausspielen zu können.

Wolfgang Maucksch, Herrieden

Alberner Tourismus

"Unverständnis" für die Ausladung Steinmeiers haben wohl nur die unverbesserlichen Putin-Versteher. Der zunehmende "Tourismus" von Politikern nach Kiew wirkt eher albern. Was hätte Steinmeier denn mitgebracht außer hohlen, wohlfeilen Worten? Einen Unterschied zu den vielen Selbstvermarktern hätte nur gemacht, wenn er seine Maschine mit Waffen und Medikamenten vollgestopft hätte.

Prof. Dr. Helmut Hofstetter, München

"Mein Freund" Duda

Bei der Aufregung über die Ausladung unseres Bundespräsidenten ist ein anderer wichtiger Punkt in den Hintergrund geraten: Steinmeier nannte in diesem Zusammenhang Präsident Andrzej Duda "meinen Freund". Ist denn schon nach so kurzer Zeit in Vergessenheit geraten, dass Duda seinen Wahlkampf 2020 mit eindeutig deutschlandfeindlichen Tönen bestritten und gewonnen hat? Das ist in Polen immer ein Erfolgsrezept und bescherte Duda den knappen Vorsprung vor seinem Mitbewerber, dem Oberbürgermeister von Warschau. Polen könnte heute ein anderes Land sein, wäre die Wahl anders verlaufen. Kann man, kann Steinmeier einen Freund haben wollen, der als unkritischer Adept von Jarosław Kaczyński alle Maßnahmen zum Rechtsstaatsabbau in Polen mit seiner Unterschrift in Kraft setzte?

Klaus Steinkamp, Neckartailfingen

© SZ vom 23.04.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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