Ukraine:Waffen oder Wort oder was sonst?

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(Foto: Michael Holtschulte)

Der Papst empfiehlt Verhandlungen, Deutschland debattiert weiter über die "Taurus"-Lieferung - und Putin narrt die Ampel mit einer abgehörten Militärbesprechung: Die Lage im Ukrainekrieg wirkt verfahren. SZ-Leserinnen und -Leser diskutieren mögliche Lösungen.

"Ampel ringt erneut um Taurus" vom 11. März, "Fromme Wünsche" vom 12. März und Gastbeitrag "Weiterkommen" vom 1. März:

Froh über den Papst

Eigentlich liebäugelte ich damit, aus der katholischen Kirche auszutreten. Jetzt bin ich wieder stolz darauf, zu dieser Religionsgemeinschaft zu gehören, weil an ihrer Spitze ein Mann steht, der es wegen seines zunehmenden Entsetzens über den Krieg in der Ukraine wagt, seine Stimme für die Aufnahme von Verhandlungen zu erheben. Nichts anderes nämlich bedeutet Franziskus' Bild der "weißen Fahne": Wir sind willens, auf der Basis eines Waffenstillstands ernsthaft über das Ende des Kriegs zu sprechen und dadurch Tausenden Menschen auf beiden Seiten das Leben zu retten. Ich gehöre noch zu der Generation, deren Väter die Gräuel des Zweiten Weltkriegs mitgemacht haben. Mein Vater ist beispielsweise nie ganz darüber hinweggekommen, dass sein bester Freund neben ihm auf dem Funkerwagen durch eine Granate schlichtweg zerfetzt wurde. Alle, die für verschärfte Waffenlieferungen an die Ukraine sind, möchte ich gerne fragen: Wärt ihr dazu bereit, das Leid, den Schmerz und den Tod persönlich zu ertragen, die der Einsatz dieser Waffen zwangsläufig mit sich bringt?

Eva-Maria Kerscher, Penzberg

Gescheiterte Gesprächsversuche

Vielen Dank für Ihren Artikel "Fromme Wünsche" mit einer Zusammenstellung all der Vertragsversuche zwischen Ukraine und dem Kreml. Das ist wirklich aufschlussreich und eine realistische Antwort an diejenigen, die stets sagen, es muss endlich verhandelt werden. Putin hat immer noch die Unterwerfung der Ukraine als Ziel. Und ein Vertrag mit ihm ist das Papier nicht wert, auf dem es formuliert würde.

Bettina Jantzen, Hamburg

Zu offenherzige Debatten

Wenn man die Diskussionen hierzulande über Waffenlieferungen an die Ukraine beobachtet, kann einem eigentlich nur himmelangst werden. Nicht nur, weil deutsche Offiziere offenbar völlig blauäugig in abgehörten Schaltkonferenzen kommunizieren. Sondern auch, weil in aller Öffentlichkeit Details des militärischen Zustands der Ukraine und der Nato-Staaten ausgebreitet und wochenlang medial diskutiert werden, bis auch der letzte Gegner das Risiko abschätzen kann, wo und wann ein Angriff sich lohnt oder nicht.

So gesehen dürften sich Demokratien mit ihrer systemimmanenten Diskussionsfreudigkeit, die grundsätzlich das große Plus dieser Staatsform ist, in der heutigen Welt mit ihren rasenden Informationswegen erheblich schwerer als autokratische Staaten tun, militärisch überraschend und effektiv zu wirken. Was haben wir nicht für monatelange Diskussionen miterlebt über die Wunderwaffe Leopard? Bis sie dann endlich in den Einsatz kamen, dürften die russischen Truppen womöglich genau gewusst haben, wann und wo diese stationiert würden, waren daher vermutlich bestens präpariert und haben, wie man hört, einem großen Teil dieser Panzer bereits den Garaus gemacht.

Es ist absolut verständlich, dass eine demokratisch gewählte Regierung nicht alles im stillen Kämmerlein verhandeln kann und will. Aber gerade in diesem existenziell bedrohlichen militärischen Geschehen erscheint mir das gewohnte Vorgehen als hochriskant und inzwischen auch letztlich unterlegen. In meinen Augen bahnt sich da eine Katastrophe an.

Prof. Andreas Groethuysen, München

Bewaffnen und verhandeln

Ein vernünftiger Kompromiss liegt auf der Hand: die Besatzungsgrenzen einfrieren, dem restlichen Teil der Ukraine Garantien geben wie einem Nato-Staat. Alles andere muss über wohl lang dauernde Verhandlungen geklärt werden. Handfeste Sicherheitsgarantien für die Ukraine hatten im Minsker Abkommen gefehlt.

Um dies zu erreichen, braucht es mehrere Dinge: 1. Die sofortige Verhandlungsbereitschaft der Ukraine ohne Vorbedingungen. 2. Eine klare Kommunikation an alle Beteiligten, dass diese Ziele auch die Ziele der europäischen Außenpolitik mit den Amerikanern sind. 3. Eine klare Unterstützung der Ukraine, diese Ziele zu erreichen.

Damit die Ukraine aus einer Position der Stärke gut verhandeln kann, braucht sie natürlich auch die notwendigen Waffensysteme. Ob darunter auch deutsche Taurus-Marschflugkörper sind, ist meines Erachtens nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass die Ukraine auf eine militärische Rückeroberung großer Teile der von Russland besetzten Gebiete verzichtet. Ohne diese Einwilligung der Ukraine wäre es unverantwortlich, Taurus-Marschflugkörper zu liefern. Das Ziel einer Rückeroberung seitens der Ukraine darf nur so lange maßvoll verfolgt werden, solange sich Russland weigert ernsthaft zu verhandeln und auf diesen Kompromiss einzugehen.

Dr. Thomas Raabe, Grafing

Mitverantwortung der Nato

In seinem Gastbeitrag weist der ehemalige deutsche Diplomat Rüdiger Lüdeking auf die Notwendigkeit hin, dass endlich Möglichkeiten zu einer Beendigung des Kriegs ausgelotet werden müssten. Lüdeking weist richtigerweise auch auf die Mitverantwortung der Nato im Vorfeld des Konflikts hin. Sie habe unter Missachtung der russischen Sicherheitsinteressen eine rote Linie überschritten - durch die Nato-Osterweiterung und die angekündigte Aufnahme Georgiens und jüngst der Ukraine. Die russischen Reaktionen darauf wären erwartbar gewesen. Der Krieg hätte sich sehr wahrscheinlich, so auch meine Überzeugung, durch kluge Diplomatie abwenden lassen.

Von einem Sieg der Ukraine und einer Rückeroberung der von Russland besetzten Gebiete auszugehen, ist unrealistisch. Der Krieg und das Sterben müssen beendet werden. Diplomatische Initiativen zur Deeskalation des Konflikts und mit dem Ziel eines Waffenstillstands sind längst überfällig.

Rolf Bader, Kaufering

Täter-Opfer-Umkehr

Da ist sie wieder eingerastet, die deutsche Denkblockade bei der Einschätzung Russlands unter der Präsidentschaft Putins. Russland ist doch nicht erst seit dem 24. Februar 2022 verhaltensauffällig geworden. Putins eiskalte Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007, der brutale Krieg gegen abtrünnige Republiken wie Tschetschenien, die Besetzung Südossetiens und Abchasiens oder die gnadenlos zurückgebombte Macht seines Statthalters Assad in Syrien: Hätte das nicht gereicht, uns die Augen zu öffnen? Und den Versuch, mit Diplomatie wieder zu den guten alten Zeiten zurückzukehren, hat es nach dem Überfall Russlands auf die Krim 2014 doch gegeben - ist etwa das Minsker Abkommen schon vergessen?

Die Behauptung, der Westen hätte mit der Nato-Osterweiterung eine Teilschuld daran, dass Russland seine "berechtigten Sicherheitsinteressen" gefährdet sah, ist eine Täter-Opfer-Umkehr. Es war nur klug und vorausschauend von den ehemaligen Ländern des Ostblocks, die Gunst der Stunde zum Nato-Beitritt zu nutzen - aus bitterer eigener Erfahrung und in Kenntnis der imperialen Geschichte Russlands. Für die Ukraine ergab sich diese Chance leider nicht. Und kämen Sie heute auf die Idee, Finnland und Schweden zu bitten, ihren Neutralitätsstatus zu wahren und aus Rücksicht auf die Gefühle Putins nicht der Nato beizutreten? Kommen Sie mit frischen Ideen, wie wir aus diesem Schlamassel wieder herauskommen, lieber Herr Lüdeking.

Andrea Isphording, Hamburg

Immer realer werdende Kriegsgefahr

Ich danke der SZ für die Veröffentlichung dieses Artikels. Zu Recht hält Herr Lüdeking die einfache Verneinung eines russischen Verhandlungswillens für verantwortungslos. Er verweist auf die Mitschuld der Nato an der heutigen Lage, denn die Osterweiterung widerspreche den Sicherheitsinteressen Russlands. Diese Mitschuld wird in praktisch allen großen Medien vehement zurückgewiesen wie kürzlich auf geradezu kuriose Weise von der Politikwissenschaftlerin Claudia Major in der Sendung "Maischberger". Sie stellte tatsächlich den Begriff Osterweiterung infrage, da die alten Nato-Staaten die Erweiterung gar nicht aktiv betrieben hätten und die Ausdehnung nach Osten nur auf Wunsch der beitretenden Staaten zustande gekommen sei. Für diese Sichtweise von der Gegenseite Verständnis zu erwarten, ist viel verlangt.

Die nüchterne Betrachtung von weitsichtigen Diplomaten wie Herrn Lüdeking sollten sich unsere Politikerinnen und Politiker zu eigen machen. Mit Scheuklappen stur auf eine militärische Lösung zu setzen, bedeutet neben zahllosen weiteren Toten in der Ukraine auch für uns in Deutschland eine immer realer werdende Kriegsgefahr, die sich durch unvorhersehbare Ereignisse jeglicher Kontrolle entzieht und dann ihren eskalierenden Lauf nehmen kann.

Dr. Wolfgang Lerch, Landsberg

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