Kritik an Kammerspielen:Zu viel Zeigefinger - zu wenig Kunst

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Der Bühnenraum der Münchner Kammerspiele - für viele Kritiker eine allzu moralische Anstalt. (Foto: Robert Haas)

Unisono äußern Leserinnen und Leser Unbehagen mit der Ausrichtung der Münchner Traditionsbühne und wünschen sich eine deutliche Kursänderung.

",Da geh ich nicht mehr hin'" vom 8./9./10. April:

Gesellschaftspolitisches Institut

Endlich wurde aus berufenem Mund ein klares Urteil über die Münchener Kammerspiele gesprochen. Und ich gestehe: Ich gehe da auch nicht mehr hin, in das, wie Christine Dössel sagt, gesellschaftspolitische Institut. Wer nach politischer Belehrung strebt, der greift zu den großen Tageszeitungen unserer Republik, liest Bücher oder hört sich kluge Zeitgenossen in Talk-Shows an. Doch im Theater erwartet der homo sapiens primär Kunst. Die gab es früher, als noch Hans Schweikart, August Everding und Dieter Dorn in den Kammerspielen das Sagen hatten. Die Schauspieler beherrschten und beherrschen ihr Handwerk. Wie schön wäre es, wenn sie wieder in Werken der Kunst wirken könnten!

Dr. Jürgen Harbich, Feldkirchen-Westerham

Inkompetente Kulturpolitik

Gefreut habe ich mich, als nach Matthias Lilienthal mit Barbara Mundel zum ersten Mal eine Frau zur Intendantin der Münchener Kammerspiele berufen wurde. Umso größer jetzt die Enttäuschung, dass mit ihrem Programm, das nur noch irritiert, die Besucherzahlen so abstürzen. "Da geh ich nicht mehr hin" höre ich im Freundeskreis vielfach. Warum wurde trotz schlechter Bilanz der Vertrag von Frau Mundel bis 2028 verlängert? So kann sie also munter weiter machen wie bisher.

Der "Kammer-Rat" ist einfach nur peinlich. Nach dem Skandal der Absetzung von "Die Vögel" im Metropol-Theater handelt Kulturreferent Biebl nun auch bei den Münchner Kammerspielen inkompetent. Die Münchner Kammerspiele wirken auf mich wie eine WG, in der jeder oder jede das Thema vorgibt; die großen Namen der Schauspielerinnen und Schauspieler sind unsichtbar geworden.

Ich hoffe, dass die SZ und Christine Dössel dran bleiben am Thema, damit man zum Münchner Kammerspielprogramm wieder sagt: "Da muss ich auf jeden Fall hin."

Hanna Wolf, München

"Kammer-Rat" als Feigenblatt

Es ist kaum vorstellbar, dass Therese Giehse freiwillig zum Ensemble der heutigen Münchner Kammerspiele gehören möchte. Vielleicht nur aus Mitleid, bezüglich der feministischen Solidarität. Die Intendantin Barbara Mundel ist eine Trittbrettfahrerin. Wie eine Erbschleicherin manipuliert sie mithilfe des Namens der legendären Schauspielerin und politisch kompromisslosen Kabarettistin. Zum Beispiel wurde ein Theaterraum feierlich zur Therese-Giehse-Halle umgetauft, und für die Litfaßsäulenwerbung lässt die Chefin tausendfach Plakate mit dem Gesicht der großen Vorgängerin drucken. Man ist sich jedoch nicht sicher: Soll es ehrliche Bewunderung sein, oder ist es nur schlaue Effekthascherei? Vermutlich beides. Ein fader Beigeschmack bleibt.

Christine Dössel hat eine fabelhaft scharfzüngige und schonungslose Analyse der katastrophal-kuriosen Situation "des gesellschaftspolitisches Instituts mit angeschlossenem Spielbetrieb" namens Kammerspiele vor die Augen des Publikums geführt. Es ist erschütternd. Man fragt sich: Wie lange wird es noch geduldet? Die Antwort: Länger, liebe Münchner und Münchnerinnen, als man gehofft hätte. Der Kulturreferent hat den Vertrag der Intendantin bis 2028 verlängert. Um es durchsetzen zu können, möchte er noch einen grotesken "Kammer-Rat" im Rathaus als Feigenblatt installieren.

Schade, dass Kulturreferent Anton Biebl gleichzeitig tatenlos und gleichgültig zuschaute, wie eine grandiose "Vögel"-Inszenierung am Metropoltheater durch eine haarsträubende Diffamierung vernichtet wurde.

Jerzy Jurczyk, München

Ein Niedergang zum Heulen

So, wie es aussieht, könnte das Kammerspiel-Ensemble demnächst auch vor leeren Rängen auftreten (müssen), Hauptsache, das politische Sendungsbewusstsein der Verantwortlichen bekommt eine Bühne. Ein kulturpolitischer und nicht zuletzt auch finanzieller Skandal, den sich die Stadt hier leistet. Aber scheinbar spielt das Geld in diesem Fall keine Rolle. Jeden Satz des SZ-Artikels könnte ich unterschreiben, mit Ausnahme des letzten: "So egal waren die Kammerspiele den Münchenern noch nie". Mir sind sie nicht egal, sondern mir ist zum Heulen.

Georg Gleixner, München

Viel Betroffenheit - aber keine Kunst

Danke für Christine Dössels Mut, in Sachen Kammerspiele Klartext zu reden. Früher fuhr ich öfters von Bamberg nach München, um die Inszenierungen dieses wunderbaren Theaters zu sehen. Doch dann kam Lilienthal, und anschließend - quasi als Steigerung des Desasters - Barbara Mundel. Man muss kein Dorn-Nostalgiker sein, um die beiden letzten Intendanzen an den Kammerspielen für fatal zu halten.

Es geht jetzt nicht mehr um Kunst, sondern um die jeweiligen Befindlichkeiten, eingebildeten Betroffenheiten und Diskursgewohnheiten gewisser Communities. Freilich ist das mittlerweile fast überall so in der deutschen Theaterlandschaft, denn man orientiert sich am Berliner Theatertreffen, wo die richtige Gesinnung das wichtigste Kriterium für die Stücke-Auswahl ist.

Die Kammerspiele verfügen über einen Riesenetat und ein Schauspielensemble von nicht weniger als 31 Mitgliedern. Was dabei herauskommt, ist einer Großstadt mit dem Anspruch Münchens nicht würdig. Und die Intendantin besitzt die Frechheit, die ein erfolgreiches und daher ausverkauftes Theater (gemeint: die Kammerspiele vor 25 Jahren; d. Red.) als "Mythos" zu verunglimpfen.

Martin Köhl, Bamberg

Das Volkstheater macht's vor

Der Beitrag von Christine Dössel zum Zustand der Münchner Kammerspiele spricht mir aus dem Herzen: Das wunderbar mit Millionenaufwand restaurierte Theater scheint im Dämmerschlaf zu verweilen. Der geplante "Kammer-Rat" (typischerweise ohne Beteiligung von Zuschauern/-innen und Abonnenten/-innen) wird daran nichts ändern. Intendantin Barbara Mundel ist das Hauptproblem: Ohne Ideen, unfähig zur Selbstkritik, ideologiebefrachtet fährt sie das einstige Glanzstück der Münchner Kultur gegen die Wand. Der Anspruch "München leuchtet" gilt schon lange nicht mehr für die Kammerspiele. Nicht nur Berlin, Hamburg, Wien, selbst Augsburg und Ulm bieten ein ambitionierteres Programm mit einem teils hochkarätigen Ensemble. Da muss in München eine eher mittelmäßige Revue ("A scheene Leich") die katastrophalen Auslastungszahlen beschönigen. Das Volkstheater München hat aktuell an die 95 Prozent Auslastung, der künstlerische Anspruch ist dort sicher nicht geringer, die Stückauswahl ist progressiv und zeitbezogen und mit dem Festival "Radikal jung" läuft das Volkstheater den Kammerspielen allemal den Rang ab. Die Kulturverantwortlichen der Stadt München - OB Reiter und Kulturreferent Biebl - sollten nach dem Gasteig-Desaster etwas kulturaffiner reagieren. München hat einen Ruf zu verlieren.

Dr. Axel Schertel, Wertingen

Keine Klassiker, kein Erfolg

Die Kammerspiele bieten keine Unterhaltung mehr, keine Entspannung, keine Theaterfreude, kein Vergnügen; nur noch Meinungsbildung und Erziehung in eine Richtung. Als Studenten standen wir noch an für verbilligte Karten und freuten uns, wenn wir Glück hatten. Damals gab's noch eindrucksvolle, hervorragende Stücke, mit Rolf Boysen oder Thomas Holtzmann, von denen man lange zehren konnte; auch deutsche Klassiker. Heute sind die Kammerspiele ein Zuschussbetrieb, über die Auslastung unter 50 Prozent braucht man sich nicht zu wundern. Ohne Polt wäre sie noch geringer. Die Vertragslaufzeit bis 2028 für die Intendantin ist in Verbindung mit den hohen Zuschüssen ein Skandal. Wo bleiben unsere deutschen Klassiker, wo werden diese noch unseren Schülern nahegebracht?

Dr. Helmut Stingl, Grünwald

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