Kreislaufwirtschaft in Frankreich:Zur Spende verdonnert

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Die Kunstinstallation am Strand von Seattle machte 2016 am Tag der Erde auf die Überproduktion in der Bekleidungsindustrie und den Textilmüll aufmerksam. (Foto: Elaine Thompson/AP)

In Frankreich ist die Vernichtung von unverkauften Kleidungsstücken bald verboten. Es ist nur der erste Schritt zu drastischen Änderungen für die dortige Textilindustrie. Umwelt und Klima sollen davon profitieren.

Von Marcel Grzanna

Kaum eine Branche wird die Auswirkungen des französischen Gesetzes zur Kreislaufwirtschaft wohl so drastisch zu spüren bekommen wie die Bekleidungsindustrie. Die Textilbranche produziert jedes Jahr Unmengen an Müll. Vor allem große Bekleidungsketten, die "Fast Fashion", also schnelle Mode, anbieten, bringen in hohem Tempo jede Saison große Mengen an Kleidung auf den Markt, die möglichst schnell und günstig verkauft werden sollen. Bislang ist es noch möglich, unverkaufte Textilien zu zerstören, oder sie auf den Müllhalden des Landes zu entsorgen. Das ist für die Unternehmen lukrativer als die Restposten zu lagern oder anderswo billig abzustoßen.

Mit der Praxis wird ab 2023 in Frankreich Schluss sein. Das neue Gesetz, das bereits Anfang vergangenen Jahres in Kraft getreten ist und sich nun Stück für Stück die Restposten der einzelnen Branchen vornimmt, wird bald schon die Zerstörung der Kleider, die meist verbrannt werden, verbieten. Was nicht verkauft wird, muss fortan gespendet werden. Die französische Regierung beziffert das Volumen an Gütern, die jedes Jahr im Land zerstört oder weggeworfen werden, auf mehr als 1,5 Milliarden Euro, darunter auch Lebensmittel, Kosmetik oder Elektroartikel.

Der Rechtsrahmen folgt einer Richtlinie der Europäischen Union aus dem Jahr 2018. Auch Deutschland hat die Richtlinie umgesetzt und sein eigenes Kreislaufwirtschaftsgesetz aus dem Jahr 2012 im Jahr 2019 entsprechend verschärft. Doch nirgendwo führt das Gesetz so weit wie in Frankreich. In 130 Artikeln formuliert das "Projet de loi relatif à la lutte contre le gaspillage et à l'économie circulaire" minutiös Ziele, Vorgaben und Empfehlungen dieser Kreislaufwirtschaft. Bei Verstößen drohen den Herstellern Geldstrafen.

Bis 2040 will Frankreich Einwegplastik verbieten

Ziel ist es, die übermäßige Verschwendung von Rohstoffen zu beenden und die Wiederverwertung von Materialien zu fördern. Klima und Umwelt profitieren, weil durch die gedrosselte Produktion sowohl CO₂-Emissionen eingespart als auch weniger Chemikalien und Wasser für neue Textilfasern benötigt werden. Es ist Frankreichs Beitrag zum Erreichen einer klimaneutralen EU bis 2050. "Dieses Gesetz zieht eine Menge Veränderungen in verschiedenen Industrien nach sich. Die Strategie der Extended Producer Responsibility, die die Umweltschäden bei der Produktion einer Ware im Marktpreis widerspiegeln soll, wird auf breiter Fläche gefördert", sagt Marie Plancke vom französischen Arm der Vereinigung European Bioplastics mit Sitz in Berlin .

Einige Firmen recyceln unverkäufliche oder entsorgte Ware, wie etwa hier in Bordeaux. (Foto: Georges Gobet/AFP)

Explizit richtet sich das Gesetz auch gegen die wachsende Menge an Plastikmüll. Bis 2040 will Frankreich Einwegplastik komplett verbieten. Ab 2023 dürfen Schnellrestaurants Einwegverpackungen nur noch benutzen, wenn die Gäste "zum Mitnehmen" bestellen. Für den Im-Haus-Konsum sind sie dann verboten. Schon ein Jahr zuvor dürfen Werbeprospekte oder Magazine nicht mehr in Plastik verpackt werden. Darüberhinaus werden Müllproduzenten dazu verdonnert, die Beseitigung des Abfalls, den ihre Waren hinterlassen, selbst zu finanzieren. Die Tabakindustrie beispielsweise zahlt für die Entsorgung von Zigarettenstummeln inzwischen selbst.

Für die Textilhersteller könnte das Gesetz lediglich den Anfang einer Reihe drastischer Veränderungen bedeuten. Das französische Umweltministerium zieht für Dutzende globale Produzenten die bindende Einführung eines Punktesystems in Erwägung. Schon 2022 könnten die Unternehmen verpflichtet sein, die Umweltfreundlichkeit ihrer Produktion jedes einzelnen Kleidungsstücks mit einer Bewertung von einem positiven A bis zu einem negativen E zu kennzeichnen, ähnlich dem deutschen Nutri-Score, der den Nährwert von Lebensmitteln in Deutschland anzeigt. Hierzulande geschieht das allerdings noch freiwillig.

Die Dringlichkeit einer Regulierung rückt derweil auch in der Europäischen Kommission zunehmend in den Blickpunkt. Der Textilienberg wächst so enorm, dass Auswege aus dem Einbahnstraßenkonsum gesucht werden müssen. Für das Jahr 2017 ermittelten Forscher in einem Beitrag im Journal of Industrial Ecology eine Textilmenge von 13 Millionen Tonnen, die in der EU plus Norwegen, der Schweiz und der Türkei eingekauft wurden. Ihr Marktwert: 445 Milliarden Euro. Das Problem dabei: "Die Textilindustrie hinterlässt über ihre gesamte Wertschöpfungskette einen signifikanten Fußabdruck in der Umwelt", mahnt die European Environment Agency (EEA) in einer Studie zur Kreislaufwirtschaft aus dem November 2019.

Baumwollernte in Brasilien. Gerade am Beginn der Lieferketten sind die Arbeitsbedingungen und Umweltstandards häufig schlecht. (Foto: Sebastiao Moreira/dpa)

Die Sündenliste der Branche ist lang: Der Anbau von Naturfasern wie Wolle oder Baumwolle benötigt riesige Bodenflächen und große Mengen Wasser, Energie und Pestizide. Für die Produktion von synthetischen Chemiefasern wird Erdöl verwendet. Statt 50 Liter Benzin zum Autofahren zu nutzen, können davon auch 80 Polyesterblusen produziert werden. Die chemische Faser benötigt zudem etwa 40 Prozent mehr Energie in ihrem Produktionsprozess als Baumwolle. "Der Sektor ist wegen seines Energieverbrauchs und seines Abfall-Managements ein Hauptverursacher des Klimawandels", bilanziert die EEA. Und der Trend zur sogenannten Fast Fashion, die noch schnellere Zyklen des Hip-Seins kreiert, wird die Menge an Textilfasern in den kommenden zehn bis 20 Jahren noch einmal dramatisch erhöhen.

Die Europäische Union sieht sich von der französischen Initiative offenbar inspiriert, Tempo aufzunehmen. Kurz nach Inkrafttreten des Gesetzes in Frankreich formulierte Brüssel seine eigenen Vorhaben. Bis 2030 will die EU-Kommission ihren Müllberg um die Hälfte reduzieren. Auch im EU-Regelwerk würde auf die Textilindustrie ein besonderes Augenmerk fallen. In den Mittelpunkt rückt dafür der Baumwoll-Anbau in Griechenland, das für etwa 80 Prozent der gesamten Produktion des Rohstoffs innerhalb der EU verantwortlich zeichnet. Die Kommission möchte "neue Müllkennziffern und -standards" für die Branche entwickeln, "die helfen, eine Kreislaufwirtschaft in Griechenland aufzubauen."

Ziel dabei ist es auch, die europäische und speziell die griechische Textilindustrie von Mitbewerbern, die vornehmlich aus Südostasien stammen, abzugrenzen. Über einen Preiskampf ist das kaum möglich. Die EU importiert große Mengen Textilien aus Asien, weil dort die Produktionskosten deutlich unter denen in Europa liegen. Ein möglicher Verzicht auf umstrittene Baumwolle aus der chinesischen Region Xinjiang, wo offenbar uigurische Zwangsarbeiter eingesetzt werden, könnte den Bedarf nach europäischen Fasern weiter erhöhen.

Integriert ist der europäische Vorstoß im LIFE Integrated Project, das mit 101 Millionen Euro angeschoben wird und "großangelegte Projekte", wie es heißt, in insgesamt neun EU-Ländern finanzieren soll. Die Kommission möchte dort "Müllvermeidung und -wiederverwertung durch eine Reihe von Maßnahmen fördern". Die Lebensdauern von Konsumgütern sollen verlängert und Verbraucher dazu ermutigt werden, defekte oder kaputte Produkte zu reparieren.

Die guten Absichten sind nicht neu. Schon im Jahr 2003 widmete sich die EU-Kommission in ihrem ersten Best Available Technology Reference Document, einem Papier, das seitdem regelmäßig die besten verfügbaren Techniken (BVT) zum Umweltschutz vorstellt, den Möglichkeiten zur Verkleinerung des Umwelt-Fußabdrucks der Textilhersteller und ihrer Zulieferer. 20 Jahre später sind es nicht Technologien sondern Verbote, die der Verschwendung Einhalt gebieten sollen.

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