Letzte Generation:Kann Klimaschützen kriminell sein?

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(Foto: SZ-Zeichnung: Denis Metz)

Nach einer groß angelegten Razzia gegen die Klimaaktivisten "Letzte Generation" werden Fragen nach der Rechtmäßigkeit der staatlichen Aktion laut.

"Basta" vom 16. Juni, "Nicht legal, aber legitim" vom 2. Juni, "Da bleibt was kleben" und "Als wäre es die Mafia" vom 25. Mai und "Keine kriminelle Vereinigung" vom 23. Mai:

Verhaften Sie auch mich!

Ich bin 63 Jahre alt und bisher friedliebend und gesetzestreu. Aber heute habe ich an die "Letzte Generation" Geld gespendet. Wenn ich damit eine terroristische Gruppierung unterstützt haben sollte, bitte ich darum, mich zu verhaften, bevor ich mich aus Wut auf die Straße klebe.

Peter Neumann, Karlsfeld

Natur hat ihre eigenen Gesetze

Die Klimaänderung folgt den Gesetzen der Physik: Die Klimagase verstärken den Treibhauseffekt, die Temperaturdifferenz zwischen Pol und Äquator nimmt ab, der Jetstream in der oberen Troposphäre wird schwächer, die Westwindtrift kommt zum Erliegen und damit die Wanderungsbewegung der Hoch- und Tiefdruckgebiete. Infolgedessen bleiben die Hochs und Tiefs über immer längere Zeit ortsfest und führen zu lang andauernden Hitze- und Dürreperioden und lang andauernden heftigen Niederschlägen. Die Folgen: Überflutungen, Wald- und Artensterben, Krankheiten, Hitzetote, Ernteausfälle, Desertifikation, ganze Landstriche werden unbewohnbar, Flüchtlingsströme und so weiter.

Anders als die in den Parlamenten verabschiedeten Gesetze, lassen sich die Gesetze der Physik nicht manipulieren oder in bestimmte ideologische Richtungen lenken oder so ausgestalten, dass sie einzelnen Bevölkerungsgruppen Vorteile verschaffen oder friedlich demonstrierende Aktivisten in die Terroristenecke stellen. Die Gesetze der Physik sind unabdingbar. Wir können sie nicht unterlaufen oder nur den Anschein erwecken, als würden wir sie anerkennen.

Als Beispiel sei unser Klimaschutzgesetz genannt, noch aus der Regierung Merkel und gerügt vom Bundesverfassungsgericht. In diesem Gesetz werden zwar Ziele festgelegt, aber keine Mechanismen, mit denen die Ziele erreicht werden könnten: Es gibt kein Konzept, keine Pläne und keine Personen, die für die Erreichung der Ziele verantwortlich zeichnen.

Wenn die Exekutive nun derartige Geschütze auffährt gegen eine Gruppierung, die friedlich die Einhaltung der im Klimaschutzgesetz festgelegten Ziele einfordert, wenn also Bürger, die in unserem Land für die verfassungsmäßige Beachtung der Gesetze demonstrieren, von unseren Verfassungsorganen als staatsfeindliche Terroristen behandelt werden, ist das Vertrauen in unseren Rechtsstaat in hohem Maße gefährdet. Was wir derzeit erleben, ist beängstigend.

Prof. Dr.-Ing. Albert Staudt, Bruckmühl

Vorbildcharakter

Natürlich können Klima-Kleber nicht mit Mitgliedern von Drogenkartellen und Schleuserringen gleichgesetzt werden. Dennoch begehen sie Straftaten, zum Beispiel Nötigungen. Und weil die Aktivisten Vorbilder, also beispielgebend für Jugendliche werden können, die sich noch in der Persönlichkeitsentwicklung befinden, ist die Thematik sensibel.

Wenn zugelassen wird, dass die eigene Auffassung in gutem Glauben über das Recht gestellt werden darf, verliert der Rechtsstaat seine Glaubwürdigkeit. Ja, wer containert, ist nicht unsympathisch, aber er begeht Hausfriedensbruch. Und wer Metzgereien mit dem Wort "Mörder" beschmiert, erfüllt den Tatbestand der Sachbeschädigung. Und wer vielleicht glaubt, er müsse eine Flüchtlingsunterkunft mit rechtsextremen Sprüchen beschmieren, weil es sowieso schon zu wenig bezahlbare Wohnungen gibt, wird für diese Straftat zu Recht verfolgt und muss hart bestraft werden.

Die Politik ist dem Gemeinwohl verpflichtet. Deshalb sind Justizminister- und senatorinnen den Staatsanwaltschaften gegenüber auch weisungsbefugt und müssen gelegentlich davon auch Gebrauch machen. Und das ist gut so.

Hans Rentz, Waging am See

Klimaschutz hat Vorrang

Dem ganzen Schlussabsatz von Autorin Roßbachs Kommentar zu den Aktionen der "Letzten Generation" kann ich nicht zustimmen. Meiner Meinung nach muss es jetzt das Ziel sein, dass jeder versteht: Wenn wir den Klimawandel jetzt nicht stoppen, gibt es nichts mehr zu "wahren", auch keinen Wohlstand. Natürlich müssen dazu alle anderen "gesellschaftlichen Notwendigkeiten" zurückstehen.

Würde man auf all diese Notwendigkeiten Rücksicht nehmen, gäbe es sie dann bald gar nicht mehr. Auf einen Teil unseres heutigen Wohlstands zu verzichten, wird sich nicht vermeiden lassen, ist aber meiner Einschätzung nach ein geringer Preis, den alle bezahlen müssen, dafür dass es eine Natur gibt, die uns ein Leben ermöglicht.

Rainer Rottke, Herrenberg

Wenn Öl- und Gas-Lobby trommeln

Monatelang trommeln CDU/CSU und FDP gegen die Grünen und deren ökologische Vorhaben gegen die Klimaveränderungen. Sie treten dabei vereint mit allen mächtigen Lobbygruppen der Öl- und Gas-Industrie auf. Also im Verein mit all jenen, die gegen ökologische Maßnahmen sind. Übrigens mit einem ungeheuren Finanzpolster im Hintergrund. Alles, was mit erneuerbarer Energie zu tun hat, wird systematisch verteufelt, denn schließlich wird man entscheidende Marktanteile verlieren. Diese Trommelei gegen alle Maßnahmen, die der Klimaveränderung entgegentreten, hat aber jetzt einen gemeingefährlichen Höhepunkt erreicht.

Die Befürworter von Maßnahmen gegen die Temperaturzunahme werden jetzt als terroristische Radikale verunglimpft; mit Razzien glaubt man, ihnen den Ludergeruch von Verbrechern anzuhängen. Wäre es nicht besser, man zöge gegen die Leugner einer Klimaveränderung zu Felde? Müssen wir nicht der "Letzten Generation" dankbar sein, dass sie der dumpfen Masse der "Nur immer weiter so"-Vertreter endlich die Augen öffnet? Leider fehlen der "Letzten Generation" jene Mittel, die die Lobbyisten den hörigen Parteien zustecken können!

Marcus Schlüter, Weil im Schönbuch

Die Aktionen müssen wehtun

Wer etwas gegen Aktionen der "Letzten Generation" oder anderer Klimaschützer hat, denkt nur an sein Geld und nicht an seine Nachfahren. Wo sollen sie sich festkleben, etwa im Englischen Garten, wo kein Hauptverkehr behindert wird? Solche Aktionen müssen wehtun. Wer etwas gegen die "Letzte Generation" hat, darf auch nicht streiken. Oder hat der letzte Bahnstreik nicht auch wehgetan.

Und wer sich darüber aufregt, dass Rettungswagen nicht durchkommen, sollte sich mal die Bilder von den Klebeaktionen anschauen. Wenn man in einen Stau kommt, ist immer eine Rettungsgasse freizuhalten. Aber die Fahrer sind aus ihren Autos gesprungen und haben versucht, die Klimaaktivisten von der Straße zu ziehen, und mit ihren Autos die Straßen blockiert, ohne eine Rettungsgasse freizulassen.

Uwe Mertsch, Starnberg

Sollte uns zu denken geben

Politisch wohltuend, dass hier der Finger auf eine Wunde gelegt wird, die schnell zu einer schwer heilbaren Verletzung werden kann. Der Charakter von Aktionen im öffentlichen Raum ist es, den ordentlichen Ablauf des täglichen Lebens zu irritieren, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Jede Demonstration führt zu einer Störung, führt zu Behinderungen, führt zu Umständen und notwendigen Umgehungen. Und zwar zum Zweck eines übergeordneten demokratischen Rechts.

Anders als Verkehrsbehinderungen wegen Gaffens und Fotografierens bei schweren Unfällen oder Weigerungen, wie zum Beispiel Rettungsgassen frei zu machen. In beiden Fällen ist mögliche Lebensbedrohung von Betroffenen sogar Absicht oder wird in Kauf genommen.

Sind deshalb die Gefängnisse voll mit Verursachern dieser Taten, in schwereren Fällen sogar ohne Bewährung? Oder mit Menschen, die Selbstjustiz üben, indem sie Demonstrant*innen losreißen und von der Straße schleifen? Sie sind keine Aktivisten, die mit persönlichen Risiken auf menschenfeindliche Entwicklungen hinweisen wollen. Und der Grad der verzweifelten Aktionen sollte uns zu denken geben, statt blindwütig zu reagieren.

Blindheit hat in unserer Republik schon die Verurteilung von Tätern vor 1945 verhindert, hat zu, später bereuter, Kriminalisierung von Teilen der 68er-Bewegung geführt und hat lange die gefährliche Entwicklung des Rechtsextremismus ignoriert. Und jetzt wird mit härtesten Mitteln auf eine Generation eingeschlagen, die Angst um ihre Zukunft hat?

Michael Filzen-Salinas, Weinstadt

Wer blockiert wirklich?

Seit der Genfer Uno-Klimakonferenz 1979 ist der Klimawandel allgemein bekannt. Unsere ach so fürsorglichen Politiker bewahrten uns jahrzehntelang vor Veränderungen, die durch den Klimawandel erforderlich geworden wären. Erst Greta und Rezo bewirkten 2018/19 einen Bewusstseinswandel, der jedoch viele Konservative, erst recht unsere Bundesverkehrsminister nicht erreichte.

Die "Letzte Generation" (LG) blockiert den Verkehr, unser Bundesverkehrsminister den Klimaschutz. Die Handlungen der LG sind mehr oder weniger kriminell, die unseres Verkehrsministers nicht, außer man sieht seine Handlungen als im Widerspruch zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 24. März 2021 stehend an. LG denkt an die nächsten Jahrzehnte, unser Verkehrsminister an die nächsten Wahlen, und somit nicht an die verfassungsgerichtlich vorgeschriebene Generationengerechtigkeit. Wenn man in 30 Jahren zurückschaut: Wer liegt dann heute richtiger?

Wolfgang Maucksch, Herrieden

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