Leserbriefe:Auf gute Besserung hoffen

Lesezeit: 4 min

Über den Reformbedarf im Klinik- und Gesundheitswesen sind alle einig - über den Weg dorthin nicht. SZ-Leser hätten ein paar Vorschläge. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Bei der Frage, wie Krankenhäuser reformiert werden sollen, haben SZ-Leser unterschiedliche Ansprüche und Ideen.

"Mehr Patientendienlichkeit" vom 6. September sowie "Das durchsichtige Krankenhaus" vom 14. September:

Die Analyse trifft ins Schwarze

Ich bin als Chefarzt und Ärztlicher Direktor an einem kleinen kommunalen Krankenhaus in der sogenannten "wohnortnahen Grundversorgung" tätig. Wie Sie sich vorstellen können, ist der hohe Reformbedarf auf allen Ebenen unseres Gesundheitswesens eines der beherrschenden Themen vieler Gespräche im Kreis meiner leitenden Mitarbeiter, sowohl im ärztlichen als auch im pflegerischen Bereich. Ihr oben genannter Artikel beschreibt die von uns empfundene Misere unseres Systems, die Ursachen unserer zunehmenden Frustration und die Erwartungen und Forderungen an Veränderung vollumfänglich. Mehr - aber auch nicht weniger - gibt es dazu aus meiner Sicht nicht zu sagen.

Dr. Robert Koburg, Hildburghausen

Statistik und Ökonomie

Die deutsche Krankenhausgesellschaft empfiehlt Dickdarmkrebsoperationen nur in Kliniken mit jährlich mindestens 50 derartigen Operationen (OPs), stellt aber fest, dass die Mehrheit dieser Operationen in Kliniken mit weniger als 50 solcher OPs erfolgt. Nach der "Wiegering"-Studie (Uni-Klinik Würzburg), die 64000 derartige OPs erfasst, ist bei wenigen derartigen OPs pro Klinik die Sterblichkeit stark erhöht, reichlich verdoppelt. Wird wegen der unterschiedlichen Sterblichkeit den kleinen Kliniken - von primär der Volksgesundheit verbundenen Ministern - zukünftig die Zulässigkeit für viele ihrer Handlungen abgesprochen, müssten sie allein aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen werden.

Wolfgang Maucksch, Herrieden

Mehr Transparenz

Aus meiner persönlichen Sicht könnte der Forderungskatalog am Ende noch um Punkt 10 ergänzt werden: Das Schaffen rechtlicher Voraussetzungen zur verpflichtenden, für Therapeuten und Patienten einfach zugänglichen und verständlichen Information zu Nutzen und Risiken von medizinischen Maßnahmen.

Diese Daten müssen frei von Interessenkonflikten veröffentlicht werden und den aktuellen Stand der Wissenschaft widerspiegeln. Damit würde aus politischer Sicht auch Desinformationskampagnen vorgesorgt und verlorenes Vertrauen wieder hergestellt werden. Ärzte und Therapeuten hätten eine sichere Grundlage für die gesetzlich vorgeschriebenen Aufklärungsgespräche und die medizinische Wissenschaft einen Datensatz, der vor allem die großen Lücken in der patientenbezogenen Forschung aufdecken würde, die sicher bestehen.

Die Medien könnten im Rahmen einer Selbstverpflichtung dazu übergehen, Berichte über medizinische Fragen nicht mehr mit unverständlichen Prozentangaben über Wirkung (absolute oder relative Risikoreduktion) oder von Framing geprägten Begriffen wie "starke Wirksamkeit" und "bahnbrechender Fortschritt" zu schreiben, sondern - ähnlich wie es für einzelne Medikamente von dem Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin angeboten wird - in verständlichen Angaben wie Nutzen pro 100 Behandelten in zehn Jahren.

Dr. med. Peter Möller, Weimar

Mehr Eigenverantwortung

Die Analyse der Gesundheitsversorgung ist schlüssig und richtig. 15 Prozent unseres Bruttosozialprodukts werden für die medizinische Versorgung ausgegeben, und trotzdem sind viele, die daran beteiligt sind oder Leistungen empfangen, unzufrieden. Das ist ein schlechtes Preis-Leistungsverhältnis.

Richtig, die medizinische Versorgung muss wirkungsvoller und den Patienten dienlich organisiert und verteilt werden. Die Forderungen, die die hochdekorierten Verfasser erheben, sind aber zu unscharf und unvollständig. Es fehlen leider: Worte zur Eigenverantwortung der Versicherten und zur Gesundheitsvorsorge.

Die Gesundheitsvorsorge ist jedem gesetzlich Krankenversicherten als Pflicht zuzumuten und sie ist endlich an die Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu koppeln. Übergewicht, Fehlerernährung, Bewegungsmangel, Alkohol, Nikotin und andere Drogen liegen in der Verantwortung jedes einzelnen Patienten der GKV. Es ist aus der Sicht der sozialen Gerechtigkeit für die GKV zu fordern und einzurichten, endlich Patienten für ihre erfolgreiche Teilnahme an der Vorsorge gegen Erkrankungen aus solchem Fehlverhalten zu belohnen. Das ist ethisch vertretbar.

Leider auch kein Wort zur Risikoversicherung für Risikoverhalten in der Freizeit wie Motorradfahren und andere Risikosportarten. Bei jedem Kauf eines Motorrades und - ja, auch! - Fahrrades sollte eine Unfallversicherung abgeschlossen werden. Ein Beitrag von 10 Euro pro Jahr und Motorrad, und analog für Radfahrer, Bergsteiger und so weiter, der keinem einzelnen weh tut, ergäbe jedes Jahr eine hübsche Summe, die die GKV entlasten würde. In den Betrieben ist der Unfall- und Arbeitsschutz durch die Berufsgenossenschaften ja auch mit finanziellen Mitteln sanktioniert.

Dr. med. Martin Wöhrle, Aidlingen

Es wird sich nichts ändern

Der Artikel "Mehr Patientendienlichkeit" ist eine auf den Punkt gebrachte, kurze, verständliche und inhaltlich nicht zu widerlegende konstruktive Analyse des Zustandes unseres Gesundheitswesens mit düsterer Zukunftsaussicht. Sie wird trotzdem wirkungslos bleiben.

Die an der Struktur unserer Patientenversorgung Beteiligten werden zwar zustimmend nicken, aber nichts für die dringend notwendige Verbesserung tun; es wird sich nichts grundlegend ändern. Die Ursache dafür liegt in der Architektur des Medizinsystems in Deutschland.

Die allgemeinen Inhalte der Medizin bestimmt weitgehend der Gemeinsame Bundesausschuss, und dieser besteht aus Lobbyisten: Stimmberechtigt sitzen darin Vertreter der Krankenkassen, der niedergelassenen Ärzte und der Krankenhäuser, und sie machen das, wofür sie von ihren Organisationen in diesen Ausschuss geschickt wurden, sie vertreten primär die Interessen dieser Organisationen. Und wenn sie dies nicht tun, werden sie von den sie entsendenden Stellen abberufen.

Nichts fürchten diese Organisationen mehr als eine echte patientenorientierte Analyse der Ergebnisqualität ihrer Arbeit. Daher werden sie auf jeden Fall verhindern, dass eine stringente Erhebung der Ergebnisse von stationären und ambulanten Patientenbehandlungen umgesetzt wird. Und vor allem, dass diese Erhebung von ihnen unabhängig durchgeführt wird, was eine Voraussetzung für Objektivität ist.

Der Gemeinsame Bundesausschuss legt weitgehend fest, was und wie in unserem Gesundheitswesen passiert, ohne dafür demokratisch legitimiert zu sein. Wenn sich wirklich etwas ändern soll, wenn die im deutschen Gesundheitswesen ausgegebenen hunderten Milliarden Euro vor allem den Patienten zu Gute kommen sollen, ist es höchste Zeit, dass der Gesetzgeber eine Struktur im Gesundheitswesen schafft, die primär patientendienlich ist.

Prof. Dr. med. Peter T. Sawicki, Köln

Gemeinwohlorientiert

Was wir notwendig brauchen - auch im Bereich der sich aktuell krakenartig ausbreitenden kommerziellen medizinischen Versorgungszentren (MVZ) -, ist ein rechtlich und ökonomisch konsequent gemeinwohlorientiertes Gesundheitswesen. Das senkt erst mal keine Kosten, macht aber erst Patienten- und diagnosegesteuerte Entscheidungen möglich, und wenn man die von den profitorientierten Klinik- und MVZ-Betreibern abgezogenen Millionengewinne wieder im Medizinsystem zur Verfügung hat, sieht auch die Finanzierung völlig anders aus.

Dr. Gerhard Herz, Gröbenzell

Hinweis

Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion, sie dürfen gekürzt und in allen Ausgaben und Kanälen der Süddeutschen Zeitung , gedruckt wie digital, veröffentlicht werden, stets unter Angabe von Vor- und Nachname und dem Wohnort. Schreiben Sie Ihre Beiträge unter Bezugnahme auf die jeweiligen SZ-Artikel an forum@sz.de . Bitte geben Sie für Rückfragen Ihre Adresse und Telefonnummer an. Postalisch erreichen Sie uns unter Süddeutsche Zeitung, Forum & Leserdialog, Hultschiner Str. 8, 81677 München, per Fax unter 089/2183-8530.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: