Experiment Kolumbusstraße:Verkehr beruhigt, Anwohner erregt

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Forschungsprojekt - und Streitobjekt: Die für ein paar Monate verkehrsberuhigt umgebaute Münchner Kolumbusstraße. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Eine Münchner Straße hat für ein paar Monate Rollrasen statt Asphalt - aber das macht nicht alle glücklich, wie eine kontroverse Leserdebatte zeigt.

"Und dann flogen die Eier" vom 12./13. August:

Ein schönes Projekt

Ich finde es so traurig, welcher Streit über dieses schöne sympathische Projekt in der Kolumbusstraße ausgebrochen ist. Für mich ist es zukunftsweisend. Ich selbst wohne ums Eck und finde es eine Bereicherung. Bald nach der Eröffnung war ich mit meinen kleinen Großnichten am Sandkasten und bei den Gemüsepflanzen. Die Kleinen fanden wunderbar, auf die Straße zu dürfen. Seltsam, nur dass wir gleich von der älteren Dame am Balkon oberhalb beschimpft wurden, obwohl alle Kinder ruhig vor sich hin gespielt hatten. Immerhin traut sie sich mit dem Namen in die Zeitung.

Seitdem lese ich immer wieder von der Aufregung über die weggefallenen Parkplätze und den Kinderlärm. Sicher, es ist nicht alles optimal gelaufen. Die Informationen hätte man vielleicht längerfristig oder besser geben können. Man hätte noch ein paar Parkalternativen anbieten können und vielleicht Freifahrten im ÖPNV (49-Euro-Ticket). Aber warum sollte man nicht mal etwas ausprobieren? Mit den Erfahrungen kann man Verbesserungen anbieten und diese zukünftig einplanen.

Allerdings frage ich mich: Muss man in dieser zentralen Lage, mit zwei U-Bahnlinien und zwei Buslinien, wirklich ein Auto haben? Reicht nicht auch Carsharing, um mobil zu sein? Auch die Lebensmittelversorgung ist ohne Auto möglich, weil einige Läden in der Nähe sind. Jede und jeder findet immer eine Ausrede, warum doch ein Auto notwendig ist. Ich selbst habe schon lange kein Auto mehr, weil mich letztlich die Parkplatzsuche so genervt hatte. Für das Transportargument genügend andere Alternativen - vom (Lasten-)Rad bis zu Einkaufswagen und Lieferdiensten.

Zum "Kinderlärm": Es ist schön, dass es überhaupt noch kleine Kinder in der Stadt gibt. Kinderlärm ist zwar manchmal sehr nervig, aber es ist Leben. Warum wird darüber oft mehr geklagt als über Autolärm? Wir sind in diesem Viertel tatsächlich gut versorgt mit Spielmöglichkeiten durch die Nähe zu den Isarauen. Aber gerade für Kleinkinder ist der Weg trotzdem weit . Ältere Menschen, die nicht mehr so gut zu Fuß sind, finden hier eine Bank vor der Haustüre und können mit Nachbarn ins Gespräch kommen.

Gehört der öffentliche Raum nur den Autofahrenden, den Autoparkenden? Als jemand, die angewiesen ist auf öffentliche Verkehrsmittel, ist es auch nicht lustig, wenn im Sommer Bahnlinien einfach gesperrt sind. Da fragt keiner nach. Aber wenn Autofahrende nicht parken können, wird es ein Drama. Die Kolumbusstraße wird zur Kampfzone wegen 40 weggefallene Parkplätze durch das Projekt? Dass es tatsächlich mehr sind stimmt, liegt allerdings auch daran, dass in der Edlinger Straße und weiteren mindestens genauso viele Parkplätze wegfallen, weil dort Baustellen sind. Da beschwert sich keiner, das wird hingenommen. Aber etwas Schönes mit Rollrasen und Hochbeeten soll weg?

Angelika Sterr, München

Mehr Respekt, dann funktioniert's

Interessant, Ihre Reportage. Beeindruckt hat mich Ihr letzter Satz: "Irgendwie sieht jeder auch das, was er sehen will." Da stimme ich Ihnen voll zu. Und das gilt selbstverständlich auch für Journalisten. Daran sollte man sich selbst immer erinnern. Zu kurz geraten ist in Ihrem Beitrag die Tatsache, dass der respektvolle Umgang miteinander immer mehr abnimmt, und dazu gehört auch, dass immer mehr Menschen kein Gefühl dafür haben, was laut und leise ist und was andere einfach nervt.

Kurt Fuchs, Salzburg

Gegner lächerlich gemacht

Schade. Dieses Thema hätte es verdient, dass man sich den Menschen, die mit der neuen Situation nicht zurechtkommen, auf Augenhöhe nähert. Die glückliche Mutter, die ihre Kinder im Blick hat und Gemüse erntet - das ist schön anzusehen, das liest man gerne und freut sich mit ihr. Der Möchtegern-Jurist, die beiden Damen, ausgestattet mit Wasserpistole und Dezibel-App - da grinst man über diejenigen, die sich beschweren. Was ist mit der Lehrerin, die ihren Beruf nicht mehr ausüben kann, weil sie den Krach nicht mehr aushält? Was ist mit den Schwerkranken, die ihre Medikamente jetzt in der Packstation abholen müssen, weil der Lieferdienst nicht mehr halten darf und der scharfe Kontrolleur ihn anfaucht, nicht eine Sekunde stehen bleiben zu dürfen? Was ist mit der Künstlerin, die die Straße mit bunten Botschaften, aufeinander Rücksicht zu nehmen, verschönert, Ruheräume am Sandkasten zu schaffen versucht und jeden Abend den Sand vom Gehweg fegt? Hier wurde eine Chance vertan, über das Thema differenziert und objektiv zu berichten. Statt dessen zeigen die Autoren eine tendenziöse und herablassende Haltung gegenüber den Contra-Anwohnern, die der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Die wirklichen Probleme in der Kolumbusstraße werden dadurch nicht widergespiegelt. Schade.

Susanne Mekhail, München

Kurswechsel nötig für München

Es geht ja bei solchen Projekten nicht um Klimaschutz oder "Autos raus", sondern darum, in was für einer Welt wir leben wollen und wie wir sie aufbauen. München ist bizarr autofreundlich - soll das so bleiben, oder geht es auch anders? Klar ist natürlich, dass die üblichen Regeln gelten sollten, wie Nachtruhe und gegenseitige Rücksichtnahme.

Dr. Florian Allwein, Berlin

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