Leserbriefe:Wie viel Antisemitismus steckt in "Fridays for Future" - und uns allen?

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Klimaikone - und neuerdings Ikone der Israel-Gegner? Aktivistin Greta Thunberg in London. (Foto: Imago)

Greta Thunberg solidarisiert sich im Nahost-Konflikt auf fragwürdige Art mit den Palästinensern. Unter SZ-Lesern wird diskutiert, was das über die Klimabewegung aussagt - und wo Kritik endet und Antisemitismus anfängt.

Gastbeitrag "Sehr verehrte Antisemiten" vom 21. Oktober und Essay "Du, Greta?" vom 23. Oktober:

Weltuntergangsdenken ohne Grauzonen

Vielen Dank für diesen Artikel. Er wirft einen kritischen Blick auf antisemitische Muster in Äußerungen von Greta Thunberg und die "historische Verirrung" dieser Ikone der Klimaschutzbewegung. Dem erstaunten Titel "Du, Greta?" möchte ich ein nicht überraschtes "Na klar, Greta!" beigesellen. Denn so verdienstvoll ihr Engagement für den Klimaschutz gewesen sein mag - leicht erkennbar war seit Langem auch Thunbergs Kompromisslosigkeit, ihr manichäischer Duktus und ihre Endzeit- und Erlösungsrhetorik. Nun hat sie sich auf fremdes Terrain "verirrt" und wohl einige dieser Muster auf den Nahostkonflikt übertragen, was Millionen Follower lesen mussten.

Die Logik ihrer Weltsicht - und erschreckenderweise auch von den Teilen der Klimaschutzbewegung - besteht in einer Zuspitzung auf "Untergang oder Rettung", was sich schnell mit "richtigem" oder "falschem Bewusstsein" und mit "Wahrheit oder Lüge" verbindet. Diese naive Wahrheitsgewissheit hat Thunberg vielfach bekundet. Darin liegt eine Ursache für Thunbergs aktuelle "Verirrung". Das "Konzept Weltuntergang" ist für jeden Diskurs eine Nummer zu groß. Andere Positionen und berechtigte Ansprüche erscheinen als "schlafend", als irrend oder boshaft.

Thunberg ignoriert die Grauzonen bei der Umsetzung des Klimaschutzes, und nun kann sie nicht zwischen Solidarität mit der terroristischen Hamas oder mit der leidenden Zivilbevölkerung unterscheiden. Sie sieht die Ambivalenzen nicht. Psychologen würden von geringer Ambiguitätstoleranz sprechen, die Politikwissenschaft von Populismus. Aber nun ignoriert sie einen Massenmord. Ihre Follower sollten ihr sagen: Greta, how dare you!

Martin Böckler, Berlin

Beifang einer Ein-Punkt-Bewegung

Sie haben recht, es ist eine ziemlich trübe Brühe, was da inzwischen in der Öffentlichkeit alles als irgendwie "links" gehandelt wird. Dass man sich bei solchen Ein-Punkt-Bewegungen manchmal politischen Beifang mit ganz unverträglichen Haltungen einfängt, konnte man hübsch in der Gründungszeit der Grünen beobachten, die solche Strömungen im Zuge der Parlamentarisierung zum Glück schnell abgestoßen haben. Jetzt bei der Klimabewegung sieht man das wieder. Aber deswegen darf man nicht den Kurzschluss ziehen, die Linke habe ein Antisemitismusproblem.

Hans-Ronald Niehus, Hamburg

Kritik als Antisemitismus verunglimpft

Philipp Bovermann schreibt, dass Greta Thunberg sich "verirrt" habe, außerdem unterstellt er ihr auch Antisemitismus, wenn sie ein freies Palästina fordert und Mitgefühl mit den palästinensischen Opfern äußert. Der Schriftsteller Alexander Estis hat in seinem Gastbeitrag nur noch Antisemiten erkannt, sodass ihn die Kritik an Israels Reaktion auf den Terror der Hamas gar nicht verwundern kann. Die beiden Beiträge stehen exemplarisch für eine Auseinandersetzung mit Meinungsäußerungen, die Mitgefühl auch mit den palästinensischen Opfern zeigen.

Noch vor wenigen Wochen haben Menschen, die sich jetzt jegliche Kritik am israelischen Vorgehen verbitten, heftig Kritik an Netanjahus Politik geäußert und seinen Versuchen, die Demokratie abzubauen, im Übrigen im Einklang mit Abertausenden israelischer Bürger. Sogar Kritik an Israels Siedlungspolitik durfte geäußert werden. Wir in Deutschland haben eine große Verantwortung für Israel und besonders für die jüdischen Menschen, und es ist absolut unerträglich, dass jüdische Menschen hier wieder Angst haben müssen, das Haus zu verlassen oder ihre Kinder in die Schule zu schicken. Das verbietet uns aber nicht, Mitgefühl auch mit Opfern in Gaza zu haben und darüber nachzudenken, dass ein freies Leben in einem freien Palästina vielleicht doch eine bessere Lösung sein könnte.

Bernhard Kessen, Gladbeck

Danke für die Zumutung

Danke, lieber Alexander Estis, dass Sie uns, die "verehrten Antisemiten", ernst nehmen! Dass Sie bereit sind, uns zum x-ten Mal geduldig zu erklären, wie es ist, mit Vorurteilen, Diskriminierung, Anfeindung und Angst leben zu müssen - weil man Jude ist. Danke für die Zumutung. Ich hoffe, wir wissen das zu schätzen.

In Ihrer Typologie des Antisemitismus habe ich mich mehrfach wiedererkannt - zu meiner eigenen Überraschung! Wenn wir akzeptieren, dass mit Antisemitismus überall zu rechnen ist - schon gar im eigenen Kopf -, was machen wir aus dieser Erkenntnis? Ist die Einsicht schon genug? Oder könnte Antisemitismus, dadurch seinen "No-go-Charakter" verlieren? Ist es überhaupt ratsam, "Antisemitismus" als Streitbegriff zu gebrauchen? Sollte anstelle des Vorwurfs nicht öfter eine Erklärung stehen, inwiefern eine Äußerung als pauschalisierend, abwertend, judenfeindlich oder menschenverachtend aufgefasst werden kann (verbunden mit der Rückfrage, ob dies so intendiert war)?

Diese Überlegungen vermögen wenig bis nichts gegen Friedhofschänder, Molotow-Cocktail-Werfer und Hamas-Anhänger. Aber für die hatten Sie Ihren Text wohl auch nicht geschrieben, sondern eher für Allerwelts-Antisemiten wie mich. Und als solcher möchte ich antworten: Ja, ich bin bereit, mir an die eigene Nase zu fassen. Ich bin bereit, mich bei dummen Gedanken ertappen zu lassen. Am leichtesten fällt mir das, wenn wir im Gespräch miteinander auf Ismen aller Art verzichten. Ich möchte keinem Lager zugehören, außer dem der Menschen guten Willens.

Ulf Grebe, Graz (Österreich)

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