Gleichberechtigung:Karriere mit Familie

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(Foto: Michael Holtschulte (Illustration))

Für viele Mütter ist das ein Wunschtraum. Ob kostenlose und zeitlich unbegrenzte Kinderbetreuung helfen würde, ihn zu erfüllen, darüber diskutieren SZ-Leser und -Leserinnen.

"Die Mutter aller Antworten" vom 7. Januar:

Care-Arbeit anerkennen

Dass Frauen bessere Berufsmöglichkeiten haben, wenn es eine gesicherte Kinderbetreuung gibt, ist unstrittig. Dass in der Kinderbetreuung vieles im Argen liegt, ist bekannt. Fragwürdig finde ich jedoch den Schluss, den die Autorin zur Behebung der Problematik zieht. Warum sollte die Kindererziehung bei Menschen, für die es "erfüllender (ist) als jeder Job, sich Vollzeit um die Kinder zu kümmern", ein privates Hobby sein (ähnlich wie Musik), wenn diese Kinder später genauso ihren Teil zum Generationenvertrag beitragen wie die, die in Kitas erzogen werden?

Um der Ungerechtigkeit der Gehälter und der Altersarmut von Frauen vorzubeugen, wäre die Gleichstellung von Erwerbstätigkeit und "Care-Arbeit" viel erfolgreicher. Denn was da im Privaten, als "Hobby", geleistet wird, kommt der Gesellschaft zugute. Außerdem gäbe es dann für Familien eine echte Wahlfreiheit, wie die Kinder erzogen und das Familienleben gestaltet werden sollen. Daher muss der Schluss lauten: Care-Arbeit anerkennen statt kostenloser Kinderbetreuung rund um die Uhr.

Antonia Güdde, Marburg

Auf Kosten der Allgemeinheit

Nele Pollatschek beklagt die Öffnungszeiten von Kitas und den Personalmangel. Ihr Vorschlag: Mitarbeiter sollen im Schichtdienst 24 Stunden für die Kinderbetreuung da sein. Sieben Tage die Woche selbstverständlich. Das wird vom Personal sicher frenetisch bejubelt und unzählige potenzielle Mitarbeiter in die Kitas treiben. Weil Mama abends um 22 Uhr mit New York telefonieren muss, Papa um 5 Uhr morgens am kreativsten ist oder beide gerne am Sonntagnachmittag gemeinsam arbeiten, soll das Kita-Personal für die lieben Kleinen jederzeit einsatzbereit sein. Wann sollen die Erzieherinnen ihre eigenen Familien sehen, ihre eigenen Kinder betreuen, ihre Freizeit planen? Und die Kinder: Möchten die das? Tut denen das gut? Wie eine Ware hin- und hergeschoben zu werden, ohne Rhythmus. Kinderbetreuung abgeben? Das Wort sagt alles. Abgeben!

Aus dem eigenen Familienkreis weiß ich, dass Erzieherinnen nicht in erster Linie wegen des Gehaltes aufgeben, sondern, weil sie es satthaben, mit Zwei- bis Sechsjährigen ihre Tage zu verbringen, die zu Hause verwöhnt, verhätschelt, frei erzogen sind. Die mit vier noch gewickelt werden müssen, weil sie den Gang zur Toilette verweigern. Die selbstbewusst mit fünf immer noch mit den Fingern essen, Tische beschmieren und kaum Sozialverhalten kennen. Und deren Eltern jeden Morgen dem Personal erklären, was es bitte pädagogisch noch wertvoller zu tun hat, um die Kinder, die oft keine Grenzen und Frustrationstoleranz kennen, zu verwöhnen. Erziehen darf man sie ja nicht. Ob aus dieser Generation mal steuerzahlende Ärzte, Informatiker, wie Sie es fordern, werden, oder von der Gesellschaft subventionierte Wohlfühler, bleibt abzuwarten.

Und alles kostenlos. Wer soll das bezahlen? Klar, Kinder zu bekommen ist zwar eine zutiefst persönliche Entscheidung, aber sie großzuziehen zum Teil eine gesellschaftliche Verantwortung. Ich gehe davon aus, dass Kinder in die Welt gesetzt werden, weil man sich diesen Wunsch erfüllen will. Das ist gut so. Aber doch nicht, weil man damit verantwortungsvoll zum Generationenvertrag beiträgt und die künftigen Rentenbeitragszahler schafft. Was die finanzielle Seite betrifft, sind es die Kinderlosen, meist Doppelverdiener, die die Kinder der anderen finanzieren. Sie leisten einen wesentlich höheren Beitrag zum Generationenvertrag. Im SZ-Essay "Heilige Steuerlast" vom 24. Dezember wird explizit aufgezeigt, wie Singles und Paare ohne Kinder finanziell diskriminiert werden.

Johanna Piller, Dachau

Geschenk für die Gesellschaft

Der Artikel bringt ein gesellschaftliches Problem auf den Punkt: Kinder sind keine Privatsache, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe. Warum ist das so schwer zu verstehen? Einerseits, weil das Patriarchat die Arbeit von Frauen unsichtbar macht, andererseits, weil Kinder etwas Heiliges sind, ein Geschenk, das den Eltern gemacht wird. Dieses Geschenk auch als Geschenk an die Gesellschaft zu verstehen, ist die politische Aufgabe.

Prof. Dr. Heike Jacobsen, Berlin

Was der Wirtschaft gefällt

Vor gut 40 Jahren habe ich in einer Seminararbeit untersucht, wie wirtschaftliche Konjunktur und Aussagen zur kindlichen Fremdbetreuung korrelieren. Das Ergebnis war schockierend: Immer wenn Frauen auf dem Arbeitsmarkt gebraucht wurden, wurde frühe Fremdbetreuung als Selbständigkeit fördernd dargestellt. Immer wenn Frauen vom Arbeitsmarkt verschwinden sollten, ergaben die Erhebungen Probleme bei fremdbetreuten Kindern wie zum Beispiel mangelnde Bindungsfähigkeit. So ist dieser Artikel höchst durchsichtig motiviert. Wir brauchen umfangreich zur Verfügung stehende Arbeitskräfte. Und deshalb gilt eine 24:7-Fremdbetreuung als modernes Ideal. Der Wirtschaft gefällt das, Kindern nicht unbedingt.

Monika Heilmeier-Schmittner, Kirchberg, Diplompädagogin

Gleiche Verpflichtungen

Meines Erachtens wird in der Debatte die Frage der Pflichtenverteilung zwischen Vätern und Müttern vernachlässigt. In einem Haushalt mit Kindern (ich habe drei) fallen so unfassbar viele Pflichten an, dass ich als Mutter meine beruflichen Rechte (auf Beförderung, Vorstandsposten) selbst dann nicht in gleichem Maße wie Männer wahrnehmen könnte, wenn ich die gleichen Möglichkeiten hätte. Was nützt mir die schönste Gleichberechtigung, wenn mich häusliche Pflichten lähmen? Mit dem Abwerfen der Kinder in Kita oder Schule ist es nicht getan. Der eigentliche Wahnsinn spielt sich im Verborgenen ab. Die Verantwortung für das Gesamtgebilde - das ständige Organisieren, Koordinieren, In-Eventualitäten-Denken, Sich-bereit-Halten, Planen, Abfangen - schränkt Mütter dermaßen ein, dass sie sich beruflich gar nicht frei bewegen können, schon gar nicht nach oben. Väter übernehmen in der Regel eher punktuelle Haushaltspflichten und agieren im wohligen Bewusstsein, dass zu Hause alles geregelt ist und sie in der Karriere frei disponieren können.

Wenn wir Gleichberechtigung erreichen möchten, müssen wir bei der Gleichverpflichtung ansetzen. Wären Männer im selben Maße von häuslichen Pflichten betroffen, würde sich so mancher Schiefstand wie mangelnde Bezahlung für Betreuer/-innen oder fehlende Kitaplätze schnell auflösen. Denn hätten Männer die Angst um das eigene berufliche Wohl im Nacken, wäre der Handlungsdruck der (zum Großteil männlichen) politischen Entscheidungsträger sicher ungleich größer.

Dr. Gabriele Scherer, Berlin

Gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Das Thema betrifft auch die Schulen. Es ist unglaublich, in welch desolatem Zustand unsere Schulen sind und was alles auf das Elternhaus abgeschoben wird. Beim Elternabend sagte die Deutschlehrerin, dass sie nur sechs Stunden Deutsch in der Woche mit den Kindern hat. Damit die Kinder gute Noten schreiben und nicht auf der Strecke bleiben, müssen wir zu Hause mit ihnen üben - und nicht nur Deutsch. Ich war perplex. Ich arbeite 35 Stunden pro Woche, wann soll ich das tun? Ist eine adäquate Schulbildung nicht die Aufgabe des Staates? Hat der Staat keinen Bildungsauftrag mehr? Müssen wir unser Kind auf eine Privatschule schicken, weil die staatlichen Schulen versagen? Das müssten wir uns aber auch leisten können, falls wir überhaupt einen Platz ergattern. Was, wenn wir das mit Betreuung und Bildung von der Krippe bis zum Schulabschluss nicht hinbekommen? Brauchen Mädchen dann keine Bildung mehr, weil sie Kinder bekommen und lange zu Hause bleiben? Sie haben recht, Kinder sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Carmen Ebenhoch, München

Welch ein Eigentor!

Die Lösung für eine Vielzahl sozialer Ungerechtigkeiten wird allein in der zeitlich unbegrenzten, kostenfreien Kinderbetreuung gesehen. Es fehlt an Empathie oder Verständnis für die Bedürfnisse der Kleinsten. Je jünger sie sind, desto mehr brauchen sie Mama und damit eine sichere Bindung und kein ganzes Dorf, denn ohne die sichere Bindung wird Bildung nicht stattfinden, sondern Traumatisierung, das heißt angepasstes, erlerntes, stereotypes Verhalten. Zu DDR-Zeiten wurden ganze Generationen traumatisiert, weil das ein angepasstes Verhalten hervorbringt. Für die Behauptung, Betreuung würde den Kindern helfen, werden Studien ohne Quellenangaben benannt, die Jahrzehnte zurückzuliegen scheinen.

Das Gender-Pay-Gap wird mit Muttersein in Verbindung gebracht. Frauen werden aber - egal, ob Mutter oder nicht - in allen Berufen und Branchen schlechter bezahlt. Frauen sollen unterstützt werden, indem sie die Care-Arbeit abgeben an Frauen, die besonders stark unterbezahlt werden. Welch ein Eigentor! Ich bin Erzieherin und träume von einem Jahresgehalt von 40 000 Euro - Realität ist die Hälfte davon, da die Rahmenbedingungen in den Kitas so schlecht sind, dass viele aus gesundheitlichen und familiären Gründen nur Teilzeit arbeiten können oder wie in der Altenpflege ganz das Handtuch werfen.

Es geht nur darum, problemlos funktionierende Arbeiter und Arbeiterinnen für den Staat zu produzieren und sich als Mutter ins Hamsterrad einspannen zu lassen, ohne dass die gesellschaftliche Leistung des Kindergroßziehens vom Staat gewürdigt wird. Emanzipation hat nichts mit Gleichmacherei zu tun!

Friederike Kress, Augsburg

Philosophie und Freiheit

"70 Prozent der deutschen Mütter arbeiten gar nicht oder in Teilzeit", schreibt Nele Pollatschek. Selten ist die Familienarbeit vieler Frauen so diskriminiert worden. "Bei Sokrates zeichnet sich der gerechte Staat vor allem dadurch aus, dass er die Care-Arbeit übernimmt." Weiß die Autorin, worüber sie da fabuliert? Platon räumt im fünften Buch seiner "Politeia" den im Krieg tüchtigen jungen Männern das Recht auf Zeugung ein. Diese "guten" Kinder kommen in das Zeugehaus zu Wärterinnen, die im besonderen Teil der Stadt wohnen. Die "Schlechteren werden, wie es sich ziemt, in einem unzugänglichen und unbekannten Ort verborgen". Individuelle familiäre Beziehungen sind in Platons "Weiber- und Kindergemeinschaft" nicht vorgesehen.

Beim "Betreuungsmangel durch Arbeitsreduktion" ist zum Teil noch "der alte NS-Mutterkult am Werk". Von den weitreichenden Plänen der Nationalsozialisten zum sogenannten Lebensborn hat die Autorin wohl nichts gehört. Danach sollten möglichst viele gesunde, arisch reine Kinder erzogen werden, die fanatisch ihrem Staat dienen sollten. Totalitarismus pur!

Kinderbetreuung soll "24 Stunden am Tag, umsonst, für alle" vorgesehen sein. Leuchtet da nicht der alte kommunistische totalitäre Ansatz auf, der die "Betreuung" des Menschen von der Wiege bis zur Bahre postulierte? Dieser Totalitarismus gipfelt in der Aussage, "nur eine Gesellschaft, in der jeder Kinderbetreuung abgeben kann, ist eine freie Gesellschaft". Gottseidank sind wir so frei, uns durch derartige Botschaften nicht knechten zu lassen.

Dr. Ludwig Fink, Stadtbergen

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