Frank-Walter Steinmeier:Rede ohne Überzeugungskraft

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Viele SZ-Leser legen dem Bundespräsidenten zur Last, dass er mitschuldig sei an der derzeitigen Lage, dieses jedoch nicht eingestehen wolle. Einer fordert sogar offen den Rücktritt des SPD-Politikers.

"Passt schon" und "Steinmeier fordert 'Widerstandskraft'" vom 29./30. Oktober:

Man nimmt es ihm nicht ab

Frank-Walter Steinmeiers Rede zur Lage der Nation war längst überfällig. Zuvor reiste der Bundespräsident doch noch in die Ukraine, im dritten Anlauf hat es endlich geklappt, nachdem er von den erbosten Ukrainern erst einmal ausgeladen worden war wegen seiner Nähe zu Russland. Über weite Strecken seiner Rede beklagte Steinmeier die Folgen der Politik, die er als Kanzleramtschef und Außenminister so vehement vertreten hatte. Noch 2016 hatte Steinmeier Nord Stream 2 als eine der letzten Brücken zu Russland bezeichnet. Kurz vor Putins Angriff auf die Ukraine hatte er Nato-Manöver als provokantes Säbelrasseln und Missachtung des Sicherheitsbedürfnisses Russlands angeprangert. Wer nach der Krim-Annexion 2014 noch als überzeugter Putin-Versteher aufgetreten ist, kann als Bundespräsident nicht glaubwürdig zur Lage der Nation sprechen und Bürgern als Folge der Fehleinschätzungen seiner Politik "raue Jahre" prognostizieren sowie "aktive, widerstandsfähige Bürgerinnen und Bürger" einfordern, die nun die Konsequenzen auch seiner politischen Fehler auszubaden haben.

Der Bürger erwartet vom Staatsoberhaupt in der Krise Zuspruch, Hoffnung und auch Identität. Zwar lieferte Steinmeier eine ehrliche und harte Situationsbeschreibung, seiner Rede fehlte es aber an Selbstkritik und auch an Pathos. Die immer gleiche Satzmelodie war eintönig. Eine große Rede, wie sie seine Vorgänger Roman Herzog, Joachim Gauck oder Richard von Weizsäcker gehalten hatten, war Steinmeiers Vortrag nicht, weder inhaltlich, noch was die Empathie anging. "Es wird nicht einfach sein, und es wird anstrengend." "Vertrauen wir einander - und vertrauen wir uns selbst." Derartig beliebige Allgemeinplätze aus dem Mund eines Bundespräsidenten, der ohne jedes Charisma auskommen muss, sind nicht geeignet, den Menschen in der Krise Halt, Zuversicht und Mut zu geben.

Die größte Schwäche Steinmeiers ist aber die fehlende Glaubwürdigkeit, die aus seiner Weigerung resultiert, seine jahrelang gepflegte Russlandfreundlichkeit überzeugend aufzuarbeiten, mit der er auch zur gegenwärtigen Krise beigetragen hat. Man nimmt ihm seine Betroffenheit nicht so recht ab, wenn er in Anzug und Krawatte mit glänzenden Schuhen durch die Trümmer ausgebombter Häuser in Kiew stapft.

Jetzt rächt es sich, dass er sich selbst für eine zweite Amtszeit empfohlen hatte. Eine unbelastete Kandidatin oder Kandidat könnte der Aufgabe sehr viel besser gerecht werden als Steinmeier, dem immer der Geruch des Putin-Verstehers anhaften wird.

Josef Geier, Eging am See

Vor dem Abgrund

Steinmeier drückt sich in seiner Ansprache sehr diplomatisch gegenüber dem aus, was uns allen noch bevorsteht. In Anbetracht der wohl schlechtesten Bundesregierung seit Bestehen der Bundesrepublik, welche aktuell unsere Wirtschaft mit Fehlentscheidungen ruiniert, Umweltzerstörung weiter vorantreibt, Milliardenpakete schnürt, die wir uns nicht leisten können, und Transferleistungsempfang durch das sogenannte "Bürgergeld" erst richtig attraktiv macht, wäre ein "Wir steuern gerade auf einen Abgrund zu" wohl ehrlicher.

Jörg Rappold, Unterschleißheim

Soziale Schieflage

Ob eine Rede groß oder bedeutend war, erfährt man immer erst später. Das Klappern vorab ist reine PR, mehr nicht. Der Bundespräsident springt zu kurz in seiner Durchhalterede: Während sich die einen jeden Euro vom Munde absparen, sparen sich die anderen einfach die Steuern. Unser Land hat nicht nur sozial eine Schieflage, sondern vor allem in Sachen Verteilungsgerechtigkeit. Die Steueroasen werden geschont, die Zahl der Millionäre wächst, auch während der Pandemie, in der sich nicht nur CSU-Politiker (Maskenkauf!) die Taschen vollstopften. Vermögensteuer scheint ein Tabuthema zu bleiben. Glücklicherweise wird die SZ nicht müde, auf die Probleme der Geldwäsche und den zögerlichen Finanzminister hinzuweisen. Hat jedoch der ehemalige Architekt der Hartz-Gesetze noch seine Hand am Puls der Gesellschaft, trotz vieler Kontakte mit der Bevölkerung?

Dieter Pienkny, Berlin

Treten Sie zurück!

Frank-Walter Steinmeiers Rede ärgert mich immer noch gewaltig. Für einen Politiker oder eine Politikerin mag sie ein intellektuelles Glanzstück sein. Für mich ist sie immer noch eine warme Sonntagsrede, gehalten im wohltemperierten Prunkbau des Schlosses Bellevue, an Bürgerinnen und Bürger, von denen sich immer mehr überlegen müssen, ob sie in den kommenden Wintern lieber frieren wollen - oder etwas zu essen haben. Da sie sich an immer mehr Orten auch nichts mehr von den Lebensmitteltafeln holen können, weil deren Angebot nicht mehr für alle Hilfsbedürftigen reicht. Eine Tatsache, die ohnmächtige Wut in mir auslöst. Weil Frank-Walter Steinmeier, der immer noch Bundespräsident sein darf, uns in der "Epoche des Rückenwindes" als Außenminister und Kanzleramtschef mit vollstem Rückenwind in die jetzige, für immer mehr Mitbürger prekäre Lage getrieben hat. Als er nach Russlands völkerrechtswidriger Annexion der Krim 2014 Putin hofierte. Und zusammen mit dem damaligen Außenminister Sigmar Gabriel darauf drängte, die versorgungsrelevanten deutschen Gasspeicher an die russische Gazprom-Tochter Astora zu verkaufen. Er ist einer der Hauptverantwortlichen für das, was wir nun mit vollem Wind ertragen müssen. Dafür reicht als Entschuldigung keine Rede, vollgepackt mit Floskeln, sondern nur die Übernahme von Verantwortung. Für falsche Züge auf einem Schachbrett, die Gegner Putin ein Schachmatt ermöglichen. Daher: Treten Sie doch zurück, Herr Steinmeier. Sie haben unserem Land sehr geschadet.

Josef Gegenfurtner, Schwabmünchen

Düsteres Zukunftsszenario

Die Übung im Luftschutzkeller zu Kiew scheint Frank-Walter Steinmeier einigermaßen zufriedenstellend gemeistert zu haben. Kaum ist er nach Deutschland zurückgekehrt, belehrt er uns, wie wir uns benehmen sollen, und gleichzeitig malt er ein düsteres Zukunftsszenario. Solche exzellenten Mutmacher an vorderster Front braucht unser Land; die brauchen wir, sonst sind wir alle auf der Stelle verloren.

Klaus P. Jaworek, Büchenbach

Wurzeln wiederentdecken

Woher soll die Kraft kommen, die der Bundespräsident beschwört, um die nach dem Zweiten Weltkrieg einzigartig schwierige Zeit gemeinsam zu bewältigen? Was sind die geistigen Quellen, um uns daraus und in dem zu stärken, was uns verbindet? Unsere individualisierte, pluralisierte, säkularisierte und zunehmend digitalisierte Gesellschaft ist in hohem Maße orientierungs- und perspektivlos. Die Eltern des Grundgesetzes sahen das Deutsche Volk (sich!) in der "Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen", wie es in der Präambel heißt. Was würde wohl heute in eine Präambel aufgenommen werden, in der vor über 70 Jahren noch ein klares Bekenntnis zur Orientierung an einer transzendenten Wirklichkeit und am Humanum als notwendige Voraussetzung für weltoffenen Patriotismus im europäischen Wertekontext abgelegt wurde?

Nur auf dieser Grundlage sind Menschenwürde sowie Grund- und Menschenrechte nachhaltig legitimierbar, wenn sie nicht digitalisierter, globalisierter und individualisierter Beliebigkeit ausgesetzt sein sollen. Auf diesem geistig-ethischen Fundament war nach der einzigartigen und unfassbaren Katastrophe in der deutschen Geschichte eine beeindruckende gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Erfolgsgeschichte möglich. Ohne Wiederentdeckung dieser Wurzeln wird das Deutsche Volk die gewaltigen Herausforderungen, die sich uns stellen, nicht bewältigen, sondern immer nur von Partikularinteressen motiviert, konzeptionell kurzatmig und perspektivenlos, im Horizont der Endlichkeit und Selbstüberschätzung agieren.

Thomas Gottfried, Freising

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