Alles nur noch online?:Wider die digitale Ausgrenzung

Alles nur noch online?: SZ-Zeichnung: Karin Mihm

SZ-Zeichnung: Karin Mihm

Wer kein Handy hat, wird von Teilen des gesellschaftlichen Alltags ausgeschlossen. Braucht es ein Recht auf ein analoges Leben?

"Raus bist du" vom 6./7. Mai:

"Ganz bequem online..."

Ein warmes Dankeschön an Heribert Prantl für sein Plädoyer zugunsten einer Wahlfreiheit zwischen digital und analog! Dabei geht es ja nicht nur um diejenigen, die kein Smartphone und keinen Zugang zum Internet haben - sondern auch um diejenigen, die durchaus die unbestrittenen Vorzüge der Handy- und Computer-Benutzung kennen und anwenden, sich aber angesichts des zunehmenden Zwangs zur digitalen Erledigung von Bank- und Behördenangelegenheiten verunsichert fühlen und verstohlen die Hilfe bei jüngeren Verwandten oder Freunden suchen.

Zu denen zähle ich mich, und ähnliche Reaktionen höre ich aus meinem Bekanntenkreis, der naturgemäß ebenfalls zu den "gesetzteren" Jahrgängen zählt. Zugeben mögen sie es lieber nur in kleiner Runde. Vor allem, wenn sie auf ein Leben in qualifizierten Berufen zurückblicken - als Lehrer, Journalistin, Politiker/-in oder was auch immer, also etwas für diese Gesellschaft geleistet haben. Mich fasst leichter Ingrimm, wenn mir immer öfter mitgeteilt wird, dass ich etwas "ganz bequem online" erledigen solle... Also der Appell an die Zuständigen: Lasst die Dualität des Digitalen und Analogen zu!

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Hamburg

Lost Generation

Heribert Prantl hat in seiner ausgezeichneten Analyse den Nagel auf den Kopf getroffen. Hier geht es nicht um fehlende Digitalisierung, sondern um Digitalisierung an falscher Stelle. Aktuelles Beispiel aus meiner Sicht: Kauf des 49-Euro-Tickets. Dämlicher kann es nicht laufen. Nach dem Motto: Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht! Wer nicht über Laptop, Smartphone oder Ähnliches verfügt oder damit nicht umgehen kann, landet im Off. Gleich, ob es sich um Behörden, Banken oder sonstige abgehobene Einrichtungen handelt, es wird digitalisiert auf Teufel komm raus. In Spanien hat ein 78-jähriger Mann aus Valencia mit einer Unterschriftenaktion "Ich bin zwar alt, aber nicht blöd" den Stein ins Rollen gebracht und Wolkenschieber zum Umdenken gebracht. Wann ist Deutschland so weit? Leute, wehrt euch! Und zwar sofort.

Norbert Kemp, Regenstauf

Zukunftsvergessene Senioren

Die heutige Generation der Alten hätte zwanzig Jahre Zeit gehabt, mit frischem Geist den Anschluss an die digitale Entwicklung zu finden. Sie hat das aber, geprägt von Bedenkenträgertum, Angst und Faulheit, häufig unterlassen. An den Versäumnissen der heutigen Rentnergeneration hinsichtlich der Digitalisierung von Verwaltung und Wirtschaft krankt das ganze Land. Wer jetzt im Alter nicht mehr in der Lage ist, ins digitale Leben zu finden, trägt die Folgen seiner jahrzehntelangen Trägheit und Zukunftsvergessenheit. Auf den Ruf, das Rad doch bitte zurückzudrehen, sollte die Gesellschaft nicht reagieren.

Christian Keller, Essen

Teilnahme am öffentlichen Leben

Danke, Herr Prantl, Ihr Aufruf an die Hüter der Demokratie hat vielen älteren und auch noch jüngeren Menschen aus dem Herzen gesprochen. Wir deutschen Alten sind ebenso wenig Idioten wie unsere spanischen Mitmenschen. Wir wundern uns nur über die ungebremste Diktatur der Digitalwelt.

Und das in einem Land, das sich die Demokratie groß auf die Fahne geschrieben hat und ständig darüber redet. Wenn ich theoretisch zwischen zwei Möglichkeiten - analog und digital - wählen kann, möchte ich das auch praktisch tun können. Wir Alten können sprechend, schreibend, lesend kommunizieren, ganz ohne Hilfe von Tablets und "Wischkästchen".

Ich wünsche Herrn Prantl und dem Verein Digitalcourage Erfolg und anhaltende Wachsamkeit, damit der nicht unbeträchtliche ältere Teil der deutschen Bevölkerung wieder uneingeschränkt am öffentlichen und kulturellen Leben teilnehmen kann.

Gertrud Nüßler, München

Digitale Vorteile

Ja, es ist richtig, dass mittlerweile viele Zugänge zu Behörden, Medien, Fahrkarten oder weiteren Dienstleistungen fast nur noch digital möglich sind. Das ist eine gute Entwicklung, denn das macht es für den Großteil der Bevölkerung einfacher und effizienter. Zudem spart es enorme Kosten ein. Das Leben ist ein ständiger Wandel, und der Fortschritt tut uns gut. Denn sonst würden wir immer noch mit Postkutschen unterwegs sein oder via Telegramm kommunizieren.

Ich bin kein Freund davon, alle analogen Wege auf Zwang aufrechtzuerhalten. Viel mehr ist es vonnöten, dass diejenigen, die heute keinen Zugang haben oder wollen, Unterstützung in Form von Angeboten bekommen. Mit einem Smartphone ist es dann im Vergleich auch leichter, ein Ticket zu buchen, als den umständlichen Weg zur Verkaufsstelle zu gehen. Durch Nutzung wird das jeder merken und damit auch Freude verspüren. Zur Erleichterung sollte es mehr Angebote in Volkshochschulen oder auch Seniorenheimen geben - mit gemeinsamem Lernen setzt dann auch die Freude ein. Und unsere Gesellschaft ist wieder ein Stück fortschrittlicher.

Tino Bräske, Erfurt

Ein Dickicht

Raus bist du... nicht nur, wenn du ohne Smartphone und Internetzugang anstrebst, umständlich, aber mit überschaubarem Risiko, den alltäglichen Anforderungen gerecht zu werden, da der unentwegte Zwang zur Aktualisierung auch Nutzer des digitalen Angebots schnell ins Abseits drängt.

Der Markt an Digitalgeräten ist übersättigt, und zwecks Gewinnmaximierung erfolgt der Wechsel von Modellen und Betriebssystemen in immer kürzeren Abständen. Wertvolle funktionierende Hardware endet daher durch fehlende Updates und explodierende technische Anforderungen vorzeitig als Elektronikschrott. Gleichzeitig wird der ebenfalls kostspielige Austausch von peripheren Geräten und Software durch Kompatibilitätsprobleme erzwungen.

Viele User reagieren verärgert, da sie sich vom zeitraubenden und teuren Umstieg auf ständig wechselnde Systeme überfordert fühlen und überdies die damit verbundene Verschwendung von Energie und Ressourcen ablehnen. So werden trotz aller Warnungen zahllose digitale Geräte und Systeme jenseits des Verfallsdatums als leichte Beute für kriminelle Hacker weiterbetrieben. Wer sich auskennt, verzichtet in diesem ungesicherten Status auf Internet-Banking und -Shopping und andere Vorgänge, die die Eingabe sensibler persönlicher Daten erfordern. Damit ist er genauso aus dem Spiel wie ein Internet-Verweigerer.

Mehr Toleranz und Transparenz der Systeme könnten dazu beitragen, dass sich die digitale Welt nicht ungebremst in ein unübersichtliches, unbezahlbares und gefährliches Dickicht verwandelt.

Petra Jakob, Icking

Google ausgeliefert

Auch für Smartphone-affine Menschen ist die zunehmende "App-isierung" unerfreulich. So kann man die Mehrzahl der Apps, die man von Banken, Verkehrsunternehmen und so weiter "aufgedrückt" bekommt, nur aus dem Google-Play-Store beziehen. Man ist somit gezwungen, ein Google-Konto zu eröffnen und sich damit einem Privatunternehmen gegenüber zu öffnen, mit dem man es lieber nicht zu tun hätte. Alternative Download-Plattformen mit anonymem Zugriff werden von den Anbietern ignoriert. Zudem funktionieren viele Apps nur, wenn man auf seinem Gerät die Google-Play-Dienste aktiviert - eine proprietäre, nicht-quelloffene und daher nicht überprüfbare Software.

Prof. Dr. Carsten Vogt, Bergisch Gladbach

Recht auf analoges Leben

Danke, dass endlich mal jemand das Wort für die analogen Nutzer ergreift und dies auch noch publiziert. Ich gehöre zur schweigenden Mehrheit, aber ich leide und habe Angst, dass immer mehr Dienstleistungen und Terminbuchungen nur noch online angeboten werden. Noch nie in meinem 80-jährigen Leben fühlte ich mich so an den Rand gestellt. Was mich ärgert. Es wird als Selbstverständlichkeit von der Politik, aber auch von den Medien angenommen, dass jeder - ob jung oder alt - diese rasante Entwicklung mitmachen kann. Gesellschaftliche Teilhabe ist unter diesen Umständen nicht mehr gewährleistet. Ich bezweifle, ob es ein Recht auf ein analoges Leben gibt, wie Sie, Herr Prantl, in Ihrer Überschrift behaupten. Wer dieses Recht einfordern will, geht leer aus. Denn das Recht ist auf Seiten der Stärkeren.

Ingrid Hauzeneder, München

Lasst uns drüber sprechen

Betrachte ich die Menschen in meiner Umgebung, so bekomme ich nicht den Eindruck, sie würden aufgrund der Smartphone-Nutzung mehr erledigen oder zufriedener sein. Und in Zukunft - und Sie haben erschreckende Beispiele genannt - wird der Vorteil des Smartphones darin liegen, keinen Nachteil zu haben, weil man keins verwendet. Ich möchte Sie bestärken, dieses Thema weiterhin energisch in die öffentliche Diskussion zu bringen.

Philipp Groß, Hamburg

Bedienungsfreundliche Gestaltung

Seit 35 Jahren arbeite ich beruflich mit Computern. Trotzdem bin ich mit einer monatlichen Spende Mitglied im genannten Verein Digitalcourage, und zwar nicht nur wegen des zu Recht angeprangerten Handyzwangs und Datenklaus. Auch sämtliche weiteren digitalen Produkte, Hard- wie Software, zu deren Gebrauch wir ja oft genug gezwungen sind, werden mit jedem Update komplexer und komplizierter statt einfacher. Es wird zunehmend zum Zeit- und Verständnisproblem, sich auf den unfunktionalen und oft unlogischen Benutzer-Oberflächen zurechtzufinden. Und kaum hat man sich hindurchgearbeitet, werden sie schon wieder erneuert.

Technisch wäre eine bedienungsfreundliche Gestaltung kein Problem, aber was dem im Wege steht, ist der finanzielle Nutzen, den die Hersteller davon haben, wenn wir ständig technisch nachrüsten müssen.

Jan Rieckhoff, Langwedel

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