Altkanzler:Freund Putin, Feind Kevin

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Der Ex-Kanzler und Gaslobbyist in seiner Kanzlei in Hannover: Bleibt er unbelehrbar? Oder deuten sich in Schröders jüngsten Äußerungen Zwischentöne an? (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Gerhard Schröder ist 80 geworden - und bleibt bei seiner Freundschaft zu Putin. Ist der Altkanzler unbelehrbar? Und wie ist sein Lebenswerk zu beurteilen? Das denken SZ-Leser.

Porträt "'Mea culpa ist nicht mein Satz'", Artikel "Elder Müsliman" vom 6. April und Fernsehkritik "Bleib so, wie du bist" vom 4. April:

Er hat recht

Der Bundeskanzler a. D. Gerhard Schröder ist 80 Jahre alt geworden. Er hat sich um die Bundesrepublik Deutschland verdient gemacht. Dass der amtierende SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert ihm nicht zum Geburtstag gratulieren will, zeugt von schlechtem Benehmen. Dass Schröder ihn umgekehrt als "armen Wicht" bezeichnet, ist bezeichnend dafür, dass die SPD den Kompass verloren hat.

Schröder hat recht: Wäre er noch im Amt und müsste ein Wahlergebnis von 15 Prozent verantworten, dann hätte er ohne Wenn und Aber den Hut genommen und wäre mit Scham aus der Politik ausgeschieden. Wie konnte es so weit mit der SPD kommen? Der Sturz in der Wählergunst, der bei den drei Landtagswahlen und im September nächsten Jahres bei der Bundestagswahl unausweichlich bevorsteht, hat viele Gründe. Die Fehler begannen mit einer SPD-Parteichefin, die das Ätschi-Bätschi-Image nicht loswurde, setzen sich dann unter Norbert Walter-Borjans und dem "Politprofi" Saskia Esken fort. Lars Klingbeil ist nicht hart genug in der Parteiführung. Er führt primär die Kanzlerpartei und erst an zweiter Stelle eine Koalitionspartei. Mit diesem geistigen Spagat scheint er ein Problem zu haben. Dass Gerhard Schröder die gegenwärtige SPD-Führung in Partei und Regierung eher als temporär betrachtet, ist daher sicher richtig. Er hat dagegen seinen Platz in der Geschichte.

Dr. Detlef Rilling, Wesseln

Politiker von Format

So schwer es fällt, man muss dem Altkanzler einiges zugutehalten: Die SPD war früher eine stolze Partei, von der sich die Arbeiterschaft gut vertreten fühlte. Und wer noch Helmut Schmidt kannte, erlebte einen Kanzler, der führen konnte und auch in Fragen der Landesverteidigung für Klarheit sorgte. Nur mit versierteren Spitzenpolitikerinnen und -politikern wird die Akzeptanz dieser Traditionspartei wieder steigen.

Hans Rentz, Waging am See

Schröders Ungeduld

Mangelnde Selbstreflexion scheint eine Berufskrankheit von Politikern zu sein, und da ist Schröder keine Ausnahme. Dabei hatte er eigentlich alles richtig gemacht. Er hat Deutschland aus dem Irakkrieg herausgehalten und mit der Agenda 2010 weitreichende Sozialreformen angepackt. Aber statt mit Geduld die Ergebnisse der Agendapolitik abzuwarten, stellte er überflüssigerweise im Bundestag die Vertrauensfrage und setzte so Neuwahlen an. Mit der anschließenden großen Koalition begann der Niedergang der SPD. Die Sozialdemokraten waren zurückgestuft zum Juniorpartner, während Angela Merkel die wirtschaftlichen Erfolge der Agendapolitik einheimste und so bekannterweise für 16 Jahre ihre Macht zementierte.

Und was Schröders Freundschaft mit Putin angeht? Es kann keine Freundschaft mit einem Mann vom Geheimdienst geben. Das ist ein absolutes No-Go. Und das sollte man als Politiker und erst recht als (ehemaliger) Bundeskanzler wissen. Es gebe freie Wahlen in Russland, wie Schröder nun in einer Fernsehdokumentation zu seinem Geburtstag meint? Sorry, mit einer solchen Äußerung begibt er sich auf das Niveau von Trump.

Burkhard Colditz, Sindelsdorf

Bemerkenswerte Zwischentöne

Der ARD-Film zum 80. Geburtstag von Altkanzler Gerhard Schröder war bemerkenswert. Er war um Sachlichkeit bemüht, zeigte die Licht- und Schattenseiten seiner Kanzlerschaft und seine zwiespältige Rolle in der Russland-Ukraine-Frage. Seine Vermittlungsbemühungen im Krieg, den er für einen historischen Fehler hält, waren bisher ohne Erfolg geblieben, trotz der Freundschaft zu Putin, an der er festhält.

In der öffentlichen Debatte scheint mir dabei ein interessanter Satz Schröders aus der Doku etwas untergegangen zu sein, nämlich dass es keine militärische Lösung geben könne, "für beide Seiten nicht". Das dürfte Putins Ansicht widersprechen. Auch hat Schröder seine frühere Auffassung über eine "lupenreine Demokratie" in Russland offenbar relativiert. Er sei damals überzeugt gewesen, dass Putin das Land zu einer "ordentlichen Demokratie" machen wolle. "Das hat sich so nicht bewahrheitet", sagt er nun, auch wenn es seiner Meinung nach freie Wahlen im Land gebe, wenn auch offenbar keine freie Opposition.

Wilfried Mommert, Berlin

Nur eine Frage

Ein Vergleich kann hinken. Dennoch kann er ein Problem bewusst machen. Putin ist ein Kriegsverbrecher, der für Tod und Leid zahlreicher Menschen verantwortlich ist. Dieser Verbrecher ist ein unverbrüchlicher Freund Gerhard Schröders. Ich würde Herrn Schröder gern folgende Frage stellen: Herr Schröder, wenn Sie 1930 mit Adolf Hitler Freundschaft geschlossen hätten, wäre er 1944 immer noch Ihr Freund gewesen? Alternativ könnte man die Frage auch in Varianten mit Josef Stalin, Pol Pot oder Mao Zedong stellen.

Werner Mischke, Hamburg

Übermäßig obszön

Dass Sie einem Ex-Bundeskanzler, der kurz nach seiner Abwahl auf der Gehaltsliste eines russischen Konzerns auftauchte, der durch unsäglich-reaktionäre Schwurbeleien auffällig ist, fast zwei Seiten Ihrer Print-Ausgabe widmen, ist bizarr und obszön. Das hätte ich von Ihnen nicht erwartet!

Helmut Wille, Berlin

Deplatziert in der SZ

Der Artikel von Ulrike Posche über Gerhard Schröders Fitness im Gesellschaftsteil ist gut geschrieben. Trotzdem: Ungeachtet des mehr pflichtschuldigen Hinweises auf seine unerträgliche politische Haltung ist der Artikel in meinem Erleben aber komplett deplatziert in der SZ, passt besser in die Prawda. Wir sollten über diesen Verirrten schweigen, nicht schreiben.

Prof. Dr. Peter Henningsen, Pöcking

Bashing der Ehefrauen

Ich habe Ulrike Posche als Stern-Redakteurin immer geschätzt. Und ich mag Gerhard Schröder nach seinem ruhmlosen Ausscheiden aus der Politik genauso wenig wie sie. Schröder-Bashing ist bei mir also absolut erwünscht. Aber mit diesem Artikel in der SZ hat Frau Posche die Falschen getroffen: nämlich Schröders Frauen! Das wollten Sie doch nicht, oder, Frau Posche? Während Sie Schröder, zu Recht, verächtlich machen und durch den Kakao zu ziehen versuchen, treffen Sie, zu Unrecht, ständig seine Frauen. Schröder mutiert plötzlich zum Opfer seiner Gattinnen. Schade.

Janni v. Westphalen, München

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