Sprache:Richtig gendern oder richtig nervig

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Wahrscheinlich hätte das generische Maskulinum in dem Fall gereicht: Menschen demonstrieren in München gegen das Genderverbot in Schulen und Behörden in Bayern. (Foto: Florian Peljak/Florian Peljak)

Ein SZ-Autor schlägt vor: Statt mit Sonderzeichen sollte man pragmatisch gendern - etwa durch Partizipformen. Unter den Lesenden stößt die Idee auf Zustimmung und Widerspruch.

Kommentar "Gendern, aber anders" vom 28. März:

Abstruse Vorschläge

Bei allem Respekt vor dem Journalisten Detlef Esslinger, aber er hat schon bessere Artikel geschrieben. Seine Vorschläge für gendergerechte Sprache sind zum Teil abstrus. Noch nie habe ich erlebt, dass sich eine Frau belästigt oder beleidigt fühlte, wenn ihr gesagt wurde, dass das Rednerpult für sie frei sei. Soll Esslingers Vorschlag, künftig vom Redepult zu sprechen, ein Scherz sein?

Im Übrigen sei Herr Esslinger daran erinnert, dass sich Frauen bisher anscheinend nicht daran stören, dass ihre Briefe an die Süddeutsche Zeitung als "Leserbriefe" abgedruckt werden, obwohl Frauen doch keine "Leser" sind.

Dr. Jürgen Harbich, Feldkirchen-Westerham

Kreativ werden

Sprache formt Realität. Ich: Frau. Feministen seit den 70er-Jahren. Gleichgeschlechtlich verheiratet. Beruflich schreibend unterwegs. In der Summe folgt daraus die Erfahrung: Sprache formt Realität, weswegen das generische Maskulinum keine Option ist. Wie also weiter? Der Vorschlag, statt Rednerpult nicht Redner:innenpult, sondern Redepult zu sagen, ist ein Ansatz, lässt aber eine Chance ungenutzt.

Wenn wir merken, dass Sprache nicht den Wesenskern abbildet, sind wir aufgefordert, kreativ zu werden. Unsere Konditionierung werden wir nicht vom Redepult aus überwinden; da braucht es Stuhlkreise und die Bereitschaft, mittels geschlechtsneutraler Sprache zu reflektieren, was für die Aussage zentral ist: manchmal Geschlecht, meistens Menschsein.

Ilse Baumgarten, Uttingen am Ammersee

Zu viel Toleranz

Wir sind nicht so ganz einverstanden, was der Geschriebenhabende da schreibt. Wir kommen beim besten Willen nicht darauf, wie sich aus Formen wie Bürger:innen ableitet, dass auch Menschen inkludiert sind, die sich nicht als Mann oder Frau verstehen. Leider ist es Usus geworden, dass die kleinsten Minderheiten gegenüber der überwiegenden Mehrheit Gehör bekommen, wenn sie nur laut genug schreien. Sie verlangen Toleranz, aber kann die Mehrheit nicht auch ihrerseits erwarten, dass kleine Minderheiten ihre Interessen etwas zurückstecken?

Die laufenden Verdopplung von Wörtern wie bei "Zuschauerinnen und Zuschauern" hört sich bereits potthässlich an. Man könnte, wie der Autor vorschlägt, Relativsätze bilden und zum Beispiel statt "Vermieter" schreiben: "Alle, die vermieten". Aber dann wird es richtig holprig. Das erwähnte Partizip ist auch keine Alternative, weil es bedeutet, dass gerade etwas getan wird, und führt deswegen als geschlechtergerechte Form auch oft in die Irre: "Die Laufenden stehen am Startplatz." Aber leider steht die SZ dem Gedankengut von Herrn Esslinger sehr nahe, womit sie uns auch in ihren Texten häufig nervt.

Bärbel und Dieter Lehmann, Karlsfeld

Macht die Firma weiblich

Einige gute Vorschläge, lieber Herr Esslinger. Aber warum gibt es Substantive, die man so wie bisher lassen kann, weil man sonst eilfertig wäre, insbesondere bei juristischen Personen? Warum nicht "die Arbeitgeberin"? Im Arbeitsgerichtsprozess ist eine juristische Person regelmäßig "die Beklagte". Das ist seit Jahrzehnten Standard und keine neumodische Erfindung. Alle arbeitsgerichtlichen Veröffentlichungen arbeiten mit dieser sprachlichen Form. Im Streik der Lokführergewerkschaft war vor dem Arbeitsgericht Frankfurt/Main "die Bahn" Antragstellerin gegen die GDL als Antragsgegnerin. Es geht doch, alles nur eine Frage der Gewöhnung. Warum also nicht "die Arbeitgeberin"?

Monika Guder, Krefeld

Aufgeblähte Substantive

Einspruch! Mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Sprache durch Partizipformen wie Reisende oder Beschäftigte: bitte nicht! Ich stolpere über diese unnötige zusätzliche Silbe mindestens genauso wie über ein Sternchen oder Doppelpunkt mitten im Wort. "Studierendenwerk München" - das klingt doch grausam. "Was Radfahrende im Autoverkehr beachten sollten" - auf den ersten Blick sieht das aus wie normales Deutsch, ist es aber nicht. Das sind künstlich aufgeblähte Subjekte. Dann lieber gleich ein ehrliches Binnen-I.

Gottfried Silberhorn, München

Wachsam nicht nur beim Gendern

Im Artikel "Gendern, aber anders" zeigt der Autor, wie man beim Gendern die Möglichkeiten der deutschen Sprache besser nutzen kann statt mit Sternchen und Doppelpunkt: Man kann es zum Beispiel mit dem Partizip versuchen. So werden aus Mitarbeiter:innen Beschäftigte. Flexibilität in der Sprache kann also genutzt werden, um gesellschaftlichem Wandel Rechnung zu tragen und das richtige Wort zu geben, statt von Sonderzeichen unterbrochene schwierig lesbare Texte zu produzieren.

Das bringt mich zu einem anderen Thema, bei dem mehr sprachliche Sensibilität nötig wäre. In derselben Ausgabe fand sich der Artikel "Die Überlebenden" über das Massaker auf der norwegischen Ferieninsel Utøya von 2011. Man kann darin nicht nur nachlesen, wie Jugendliche das Morden wie durch ein Wunder überlebt haben, sondern liest auch den Namen des Amokschützen, und zwar neunzehnmal. Im Artikel der Autorin erfährt man, dass ein wichtiges Ziel des Attentäters war, mit seiner Tat berühmt zu werden. Dieses Ziel hat er vorerst erreicht, und damit erwächst für die Gesellschaft die Gefahr, dass Nachahmer versuchen, noch höhere Opferzahlen zu erzielen. Wenigstens drei Täter haben sich durch den Mörder von der Ferieninsel inspirieren lassen.

Flexibilität in der Sprache tut also auch hier Not, um die Ziele von politisch motivierten Massenmördern zu durchkreuzen und gleichzeitig das legitime Interesse von Medien an detaillierter Berichterstattung zu stützen. Man hätte den Täter nicht durch Namensnennung in die Hall of Fame der ultimativen Attentäter aufnehmen müssen, gebe es doch auch hier sprachliche Alternativen. Wie wäre es denn mit der Zuordnung des Täters zum Tatort, man könnte einfach vom Utøya-Attentäter sprechen. Die Art der Waffe oder wie getötet wurde, kann ebenfalls eine beschreibende Rolle spielen. Beim Attentäter auf der Ferieninsel wäre der Rechtsradikale also der Schütze, der durch dreimaligen Kopfschuss tötete. Es wäre schon ein Anfang, wenn man den Täter-Namen nachrangig und nur noch einmal pro Artikel lesen müsste.

Dr. Stefan Fischer, Göttingen

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