Lieferkettengesetz:Was die FDP abliefert

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Eine Frau in einer Textilfabrik in Bangladesch: Welche Verantwortung tragen Unternehmen für die Arbeit ihrer Zulieferer? (Foto: K M Asad/dpa)

Ein EU-Gesetz, das Unternehmen stärker für Menschenrechtsverletzungen und Umweltstandards bei Zulieferern haftbar machen soll, droht am Widerstand der Liberalen zu scheitern. Richtig so? Die Meinungen der SZ-Leser gehen auseinander.

Kommentar "Wieder einmal: die FDP" vom 3. Februar und "Endgültiges Aus bei Lieferketten" vom 7. Februar:

Übergriffig

Ich bin froh, dass die FDP das Lieferkettengesetz stoppen will. Ich halte es für ein Gesetz, das an Neokolonialismus grenzt: Wir setzen die Standards und zwingen die Staaten, diese einzuhalten? Wir verlangen von anderen Staaten mehr Effizienz, wenn dort vor Ort geltende Gesetze etwa gegen Kinderarbeit nicht durchgesetzt werden? Natürlich nicht direkt, durch das Lieferkettengesetz aber indirekt. Auch bei uns gibt es Gesetze, die nicht konsequent durchgesetzt werden. Was würden wir sagen, wenn andere Staaten hier Verbesserungen verlangen, bevor sie mit uns einen Handelsvertrag schließen?

Ich sehe aber noch ein weiteres Problem. Die international handelnden Unternehmen werden sich Zulieferer suchen, die in der Lage sind, sich zertifizieren zu lassen. Kleinunternehmen in den betroffenen Ländern werden das nicht leisten können, und damit werden sie aus der Lieferkette ausgeschlossen. Dieses Gesetz ist übergriffig gegenüber den weniger weit entwickelten Staaten. Es ist kaum 100 Jahre her, da arbeiteten auch in unseren Fabriken Kinder. In der Landwirtschaft gab es noch im 20. Jahrhundert "Kartoffelferien", damit die Kinder bei der Ernte helfen konnten. Wir sind diesen Weg gegangen. Andere Staaten werden das auch tun. Wir sollten uns hier nicht als Richter aufspielen.

Sabine Paehr, Wedemark

Menschenverachtende Ausbeutung

Trotz aller Widrigkeiten genießen wir noch immer einen großen Wohlstand in Deutschland und Europa. Wir alle wissen, dass dieser Wohlstand entlang der Lieferketten europäischer Firmen oft durch menschenverachtende Ausbeutung von Arbeitskräften und Ressourcen in den Zulieferländern erkauft wird. Da hat die EU nun mit großem Aufwand ein Gesetz ausgehandelt, das dieses Elend in seinen schlimmsten Auswüchsen lindern soll und kann. Und nun wird ausgerechnet das wohlhabende Deutschland von der FDP aus ideologischen Gründen gezwungen, gegen den Willen der anderen Regierungsmitglieder dieses Gesetz zu kippen. Das Lieferkettengesetz hätte unser Gewissen beim Genuss unseres Wohlstandes durchaus ein wenig entlasten können. Wer kann es noch mit seinem Gewissen vereinbaren, eine Partei zu wählen, die sich so verrannt hat?

Arno Karl, Darmstadt

Handlanger für Unternehmer

Die FDP beschränkt sich auf Blockaden und Verhinderung wichtiger Beschlüsse, die für die Zukunft und das Wohl der Menschen in Deutschland, in Europa und in der Welt (siehe Lieferkettengesetz) existenziell und notwendig sind. Wie kann es sein, dass eine so kleine Partei, die in vielen Landesparlamenten die Fünf-Prozent-Hürde verfehlte und bundesweit massiv verliert, so viel Macht hat und so viel verhindern kann? Die FDP als kleinster Juniorpartner der Ampelregierung zeigt keine Bereitschaft für politische Kompromisse, die mehrheitlich den Menschen dienen würden und die in einer demokratischen Regierung unerlässlich sind. Die FDP ist zum Handlanger für Unternehmer, deren Verbände und für Wirtschaftsprofiteure geworden. Sie ersetzt Liberalität durch Neoliberalismus. Die FDP eines Gerhart Baum oder einer Hildegard Hamm-Brücher, als noch gesellschaftsrelevante liberale Themen diskutiert wurden, existiert schon lange nicht mehr.

Gabriele Lauterbach, Überlingen

Brüsseler Reglungswut

Seit geraumer Zeit beklagen Journalisten der SZ, dass Deutschland der europäischen Lieferkettenrichtlinie nicht zustimmen könne, weil die FDP diese nicht mittragen wolle. Für den Leser ist nicht einsichtig, ob es sich dabei um das übliche FDP-Bashing handelt oder ob triftige Argumente gegen das Verhandlungsergebnis angeführt werden können. Faule Kompromisse gehören zum europäischen Alltag. Wenn also ein Vorschlag unterbreitet wird, sagt das noch lange nichts über dessen Qualität.

Es wäre verdienstvoll, wenn die SZ die Anforderungen, denen sich die mittelständische Wirtschaft zusätzlich ausgesetzt sehen würde, Punkt für Punkt auflistet - und darlegt, welche bürokratischen Anforderungen damit verbunden wären. Immerhin gibt es bereits ein deutsches Lieferkettengesetz, das von den Unternehmen umfangreiche Dokumentationspflichten fordert. Ist es zu viel verlangt, dass der Leser sich ein eigenes Bild darüber verschaffen kann, ob Brüsseler Reglungswut oder sachliche Notwendigkeiten für den Vorschlag verantwortlich zeichnen?

Dr. Hans-Joachim Meissner, Hamburg

Geschniegelte Unmenschlichkeit

Es verschlägt mir den Atem, wenn ich lese, dass Herr Lindner und Herr Buschmann das fertig ausverhandelte europäische Lieferkettengesetz nicht mittragen können, weil es die Firmenbosse zu weitreichend und bürokratisch belasten würde. Da ist sie wieder: die geschniegelte Unmenschlichkeit. Leider kann man die beiden Herren nicht dazu zwingen, selber mal mit giftigen Chemikalien Leder zu gerben, bis zum Umfallen Kleider zu schneidern oder in gesundheitsgefährdenden Minen zu schuften. Aber man kann wenigstens eins tun: auf gar keinen Fall die FDP zu wählen!

Gabriele Rohlfes, Tübingen

Ungezügelter Kapitalismus

Was ist los mit der FDP? Diese Partei, die sich nur mit ihrem lobbyzentrierten Dagegensein inszeniert, hat sich mit einem Fake-Freiheitsbegriff über die Fünf-Prozent-Hürde bei der Bundestagswahl gerettet und stilisiert sich zum Zünglein an der Waage. Ob die Begünstigten nun Hoteliers sind, die Automobilindustrie oder die Textilhersteller - im Sinne des Gemeinwohls wird weder gedacht noch gehandelt. Das Denken und Handeln sollte aber eigentlich viel früher einsetzen, und ein Lieferkettengesetz ist letztlich auch nur die weiße Salbe für eine jahrzehntelange Fehlentwicklung im Rahmen der Auslagerung von Handarbeit in Billiglohnländer. Das Konsumverhalten und ein aberwitziger Output an Schuhen und Bekleidung, der den ständig neuen und kurzfristig wechselnden Modetrends geschuldet ist, sind verantwortlich dafür, dass immer mehr für immer weniger Geld und unter schlechten Bedingungen produziert werden muss. Gerade die jungen Wähler der FDP sind neben Gutverdienenden hier die Trendsetter, die das Geschehen und die Auswirkungen des Konsums in den Billiglohnländern befeuern. Es lebe die Freiheit des ungezügelten, menschen- und umweltverachtenden Kapitalismus.

Oliver Schulze, Detmold

Kritik am Kanzler

Es ist ja wirklich eine Schande, wie sich die FDP verhält und damit Deutschland in der EU in Misskredit bringt. Aber man muss auch den Kanzler kritisieren, dass er sich so auf der Nase herumtanzen lässt. Ich kann mich erinnern, dass der CSU-Landwirtschaftsminister Christian Schmidt sich 2017 über die abgestimmte Linie der Regierung hinweggesetzt und in Brüssel ohne weitere Rücksprache für die Beibehaltung von Glyphosat gestimmt hat. Dann kann ja wohl der Kanzler erst recht mal gegen die interne Opposition der FDP agieren.

Hartwig Grude, Wassenach

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