Bürgerräte:Wenn das Parlament sich helfen lässt

Lesezeit: 2 min

Der Bundestag holt fachliche Unterstützung von Bürgerräten ein. (Foto: Imago)

Per Los wählt der Bundestag 160 Menschen. Sie sollen beim Thema Ernährung beraten - und im besten Fall die Demokratie beleben.

"Bürgerräte - ist das mehr als Symbolpolitik?" vom 19. Mai und "Im Teilhabe-Dschungel" vom 11. Mai:

Bestes Mittel gegen Populismus

Ob die Einsetzung eines Bürgerrats im konkreten Fall den Bundestag, "die Herzkammer des Systems", beschädigt, wie Stefan Kornelius meint, bleibt abzuwarten. Noch hat der Bürgerrat nicht getagt. Statt eines vorweggenommenen Pauschalurteils braucht der Leser Informationen: Es geht um ein in anderen Staaten, aber auch in deutschen Gemeinden erprobtes Beratungsverfahren, auch Konsultative genannt. Zunächst werden sachkundige Bürger ausgelost. Sie beraten dann über vorgegebene Sachfragen. Ihr Ergebnis ist Grundlage der folgenden politischen Entscheidung des Parlaments. Gibt es ein besseres Mittel gegen Populismus? Bürgerräte gefährden nicht die Demokratie, sondern stärken sie, weil sie den Parlamenten zu sachgerechten Entscheidungen verhelfen.

Hans-Ulrich Müller-Russell, Kehl

Kein Querschnitt der Bevölkerung

Man wolle die erreichen, die sich aus dem politischen Prozess verabschiedet haben. Ernsthaft? Vielmehr vergrault man doch politisch aktive und interessierte Bürger, die sich plötzlich von nicht gewählten Vertretern vertreten lassen müssen - und deren Namen nicht mal bekannt sind. Ein Querschnitt der Bevölkerung ist der Bürgerrat auch nicht, wenn man bewusst Vegetarier und Veganer aussucht. Wofür wählen wir eigentlich dann noch?

Gisela Kranz, Oberschleißheim

Demokratisches Zusatzangebot

Der Kommentar des SZ-Autors sagt zweierlei: Der Bundestag zeigt erneut seine Impotenz, und die Einsetzung eines Bürgerrates ist eine Flucht in den Symbolismus. Am Beispiel Nahrung mag der Vorwurf gerechtfertigt sein. Gilt das auch für die Forderung der "Letzten Generation" nach einem Bürgerrat zum Klimaschutz? Eine weitere Frage drängt sich auf: Wenn das Parlament seine Hilflosigkeit offenlegt, ist das ein Zeichen von Schwäche, sprich Impotenz, oder eher ein Zeichen von Stärke? Zumindest zeigt sich, dass Probleme nicht unter den Teppich gekehrt werden.

Wenn schon die verantwortlichen Institutionen nicht in der Lage sind, ein Problem anzugehen, warum sollte das Parlament das verheimlichen? Repräsentative Demokratie bedeutet doch, dass die Bevölkerung ihre Themen Gremien überträgt, die sachgerecht, einflüsterungsfrei und energisch handeln. Wenn Regierung, Verwaltung und Parlament zu einflüsterungsoffen und damit zusehends sachfremd agieren, müssen andere Lösungen her. "Nehmt dringende Probleme selbst in die Hand; wir sind da blockiert." Ein solches Angebot der Parteienpolitik an die Menschen ist doch okay. Wenn es dann mit dem Zusatzangebot verknüpft ist, den geeigneten Rahmen zu stellen, umso besser.

Hermann Pütter, Neustadt

Von oben herab designt

Der Bürgerbeteiligungsprozess "Alte Mitte, Neue Liebe" aus dem Jahr 2015 wurde von den damals politisch verantwortlichen Akteuren und der ehemaligen Senatsbaudirektorin Regula Lüscher vorab genau designt. Das Ergebnis: Keine behutsame Stadtreparatur, keine kleinteilige Bebauung der historischen Mitte von Berlin, Erhalt der autogerechten Stadt; bauliche Irrtümer der 60er-Jahre mussten am Ende die eigene Auffassung bestätigen. Öffentlich sollte aber alles ganz basisdemokratisch aussehen.

Bürgerräte, die von Dritten bewusst "designt" werden - wir entscheiden, wer in das Losverfahren kommt - sind schlicht eine verdeckte Form des Lobbyismus und sicher keine Form der Bürgerbeteiligung. Auch so können die Demokratie und das Vertrauen in gewählte Parlamente schwer beschädigt werden. So dumm sind die Menschen nicht, dies nicht zu erkennen.

Katrinka Delattre, Hamburg

Hinweis

Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion, sie dürfen gekürzt und in allen Ausgaben und Kanälen der Süddeutschen Zeitung , gedruckt wie digital, veröffentlicht werden, stets unter Angabe von Vor- und Nachname und dem Wohnort. Schreiben Sie Ihre Beiträge unter Bezugnahme auf die jeweiligen SZ-Artikel an forum@sz.de . Bitte geben Sie für Rückfragen Ihre Adresse und Telefonnummer an. Postalisch erreichen Sie uns unter Süddeutsche Zeitung, Forum & Leserdialog, Hultschiner Str. 8, 81677 München, per Fax unter 089/2183-8530.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: