Olaf Scholz:Wirtschaftsverwaister Kanzler

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(Foto: Karin Mihm)

Im Interview übt der BDI-Präsident Siegfried Russwurm Kritik an der Wirtschaftspolitik der Ampel: Ist der Kanzler ein Genosse ohne Bosse? Die Leserinnen und Leser der SZ wiederum sparen nicht mit Kritik an dem Verbandsvertreter.

Interview "Es waren zwei verlorene Jahre" vom 3. April und Kommentar "So geht das nicht" vom 5. April:

Vergesslicher Russwurm

Bei den zwei verlorenen Jahren scheint sich Siegfried Russwurm, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, wohl nicht mehr an die Zeit zu erinnern, als plötzlich russisches Gas ausfiel und ersetzt werden musste. Auch an sonstige Notmaßnahmen in einem schwierigen Umfeld scheint er sich nicht zu erinnern.

Dass Deutschland nicht mehr so gut vorankommt, liegt auch an der starken Exportabhängigkeit unserer Unternehmen. Wenn sich Herr Russwurm öfter mit Finanzminister Christian Lindner von der FDP austauscht, wie er im Interview sagt, dann sollte er diesen von einer Reform der Schuldenbremse überzeugen. Das fordern übrigens auch die fünf Wirtschaftsweisen und sonstige namhafte Ökonomen. Dann würde es mit zusätzlichen Investitionen in die Zukunft und in die Transformation der Industrie besser vorangehen. Und die ihm sicher nahestehenden Oppositionsparteien CDU und CSU könnte er gleich mit überzeugen.

Dietmar A. Angerer, München

Unternehmenswirtschaft

Wer oder was ist die "Wirtschaft", die nun Kritik an der Ampelkoalition übt? Sind die Wirtschaftsakteure nur die Unternehmen, die sich in Verbänden wie dem BDI organisieren? Oder zählen zur Wirtschaft auch die Konsumenten und der Staat als Nachfrager und Auftraggeber?

Wer die Unternehmen meint, sollte das auch so benennen und nicht von "der Wirtschaft" schwadronieren. Die Unternehmer sehen es natürlich gerne, wenn ihre Interessen als die Interessen "der Wirtschaft" dargestellt werden. Aber Wirtschaft ist mehr als Unternehmertum. Ich hoffe, in Zukunft entsprechend differenzierte Beiträge in der SZ zu lesen.

Theo Karczewski, Hamburg

Gutverdienende Großkonzerne

Sehr geehrter Herr Russwurm, ich möchte die Aufmerksamkeit auf eine Entwicklung lenken, die Ihnen sicherlich bekannt ist und über die in der Presse ausführlich berichtet wurde: Im Jahr 2023 haben die Dax-Unternehmen an ihre Aktionäre so hohe Dividenden ausgeschüttet wie noch nie zuvor. Wie unvorsichtig im Angesicht einer Rezession! Es wäre sicher weitsichtiger gewesen, stärker in die Zukunft zu investieren oder sogar Rücklagen zu bilden, statt einen Großteil der Gewinne an die Aktionäre auszuschütten und dafür aber Subventionen vom Staat zu fordern.

Im Übrigen haben Sie bitte Verständnis für unseren Kanzler Scholz, der seinen Fehler aus der Vergangenheit ("Steuernachlass" für die Hamburger Warburg Bank) nicht wiederholen will und jetzt besonnener mit Subventionen umgehen möchte.

Prof. Dr. med. Matthias Bräutigam, Berlin

Märchen von der Bürokratie

Auch wir als Planungsunternehmen halten einige Vorhaben, die die Regierung auf die Beine zu stellen versucht, für nicht unbedingt förderlich für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Aber die Argumentationslinie, die der ewig nörgelnden BDI oder die ewig besserwisserische Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) vorgeben, sind die stetig wiederkehrenden Worthülsen wie "konkurrenzfähige Strompreise", "Abbau von Bürokratie" und "schnellere Genehmigungsverfahren". Wir haben durchgehend mit unterschiedlichen kommunalen und landesweiten Projekten in Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern zu tun und erleben hier eine überwiegend stringente, professionell und entsprechend der jeweiligen personellen Ausstattung zügige Verwaltung.

Ja, Planfeststellungsverfahren dauern zum Teil zu lange, zum Beispiel beim Ausbau der Windenergie. Aber das liegt nicht einfach an zu viel Bürgerbeteiligung oder an den Vorgaben des Umwelt- und Naturschutzes. Wir haben heute in der Regel sehr gut aufgestellte öffentliche Verwaltungen, die aber einen Ausgleich zwischen privaten und öffentlichen Interessen zu finden versuchen. Die Planungs- und Umsetzungspraxis ist dabei sehr viel komplexer und komplizierter geworden ist, als sie noch vor 30 Jahren war.

Wolfgang Oehler, Hamburg

Ad hominem

In seinem Kommentar wiederholt Claus Hulverscheidt nicht nur eins zu eins die von einem deutschen Verbandsvertreter geübte, in ihrer respektlosen persönlichen Zuspitzung auf Bundeskanzler Olaf Scholz meines Wissens bisher einzigartige Kritik an der Wirtschaftspolitik der Ampelkoalition. Hulverscheidt fühlt sich offenbar dadurch noch ermutigt, einen draufzusetzen: Bundeskanzler Scholz verhalte sich "nicht nur töricht, sondern auch arrogant und gefährlich". Hulverscheidts Empfehlung: Scholz sollte mit mehr Demut wirtschaftspolitisch handeln.

Über dieses sich aufplusternde Geschwätz in dem Kommentar ließe sich herzlich lachen, wenn es nicht bestürzend wäre, dass Ihr doch eigentlich ökonomisch kundiges Blatt lediglich auf der Ebene personenbezogener Moralisierung argumentiert. Mit keinem Satz liefert der Kommentar dafür die von einem Wirtschaftsjournalisten zu leistende Analyse der ökonomischen Fehler des Bundeskanzlers. Sorry, auch Meinungen erfordern eine Sachbegründung.

Prof. Dr. Rudolf Messner, Kassel

Mal ein Blick auf die Fakten

Ich bin nur ein kleiner, aber ziemlich verwunderter Diplom-Volkswirt. Wie, so frage ich mich, gelingt es den obersten Vertretern der Industrie und auch großen Teilen der Wirtschaftsredaktionen, Deutschland als gigantischen Problemfall hinzustellen? In Armut und Elend müssten wir demnächst unser trocken Brot essen. Denn die von einem unfähigen Kanzler geknechtete deutsche Wirtschaft bringe im internationalen Wettbewerb keinen Fuß mehr auf den Boden.

Angesichts derartiger Gräuelpropaganda kann ein Blick auf die Fakten nicht schaden. Der internationale Wettbewerb findet auf dem Weltmarkt statt. Eine starke Volkswirtschaft kann viel exportieren, eine schwache wenig. Dabei erwirbt sie Devisen, mit denen das Land dann selbst auf dem Weltmarkt einkaufen kann: Erdöl, Lithium und Kaffee, Rechnerdienste, Urlaubsreisen und anderes mehr. Kurzum, ein Land, das gute Waren und Dienstleistungen anbieten kann, kann dann auch selbst in anderen Ländern Notwendiges und Erwünschtes einkaufen.

Laut Statistischem Bundesamt steht Deutschland dabei ausgesprochen gut da. Denn seit 20 Jahren haben wir sogar einen jährlichen Exportüberschuss von mehr als 150 Milliarden Euro. Im Jahr 2023 importierten wir beispielsweise Waren und Dienstleistungen im Wert von 1365 Milliarden Euro, hatten aber einen Export von 1590 Milliarden Euro. Es gab somit im vergangenen Jahr einen Exportüberschuss von sage und schreibe 225 Milliarden Euro. Was um Himmels willen sollen wir denn eigentlich noch machen? Noch mehr Exportüberschuss produzieren? Würden alle Länder auf dieses Modell setzen - ja wer soll das denn importieren? Der Mond vielleicht?

Der Bundeskanzler hat recht, wenn er sich von dem Klagelied der Wirtschaftsvertreter nicht beeindrucken lässt. Er hat unser Land gut durch Pandemie, Krieg und Energiekrise geführt. Jetzt allerdings müssen Scholz und die gesamte Bundesregierung die wirklichen Probleme anpacken. Und zwar mit wesentlich mehr Schwung. Denn der Kampf gegen die Erderhitzung ist die wirkliche Herausforderung auf dem Planeten. Das wird von uns allen große Veränderungen verlangen. Diese aber werden nur gelingen, wenn wir gleichzeitig die obszöne Zunahme des Reichtums stoppen und wieder zu mehr Verteilungsgerechtigkeit zurückkehren.

Heiner Müller-Ermann, Dorfen

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