Weiterarbeiten als Rentner:Im Unruhestand

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Immer mehr ältere Menschen wollen weiter arbeiten. Und nein, ihnen geht es meist nicht ums Geld. (Foto: Jens Woitas/dpa)

Viele Rentner wollen weiterarbeiten. Nicht des Geldes wegen.

Von Barbara Sommerhoff

Jeden Samstag dasselbe Ritual: Der Gatte verabschiedet sich mit dem Hinweis, in den Baumarkt zu gehen. Wenn er nach drei bis vier Stunden gut gelaunt zurückkommt, bringt er mal eine Handvoll Schräubchen mit, mal einen Klebstoff oder andere Kleinteile. Jedenfalls nichts, was einen mehrstündigen Aufenthalt im Baumarkt schlüssig erklärt.

Auf interessierte Nachfrage der Gattin ("Sag doch einfach, wie sie heißt") offenbart er die Ursache seiner ausgedehnten Abwesenheit: Der Baumarkt Stewens in Duisburg beschäftigt Rentner, ehemalige Schlosser, Tischler, Metallarbeiter in der Kundenberatung. Die kennen nach 40 und mehr Berufsjahren jeden Handwerkertrick, wenn es darum geht, das tropfende Rohr abzudichten oder den neuen Bodenbelag streifenfrei zu verkleben. Eine für alle Beteiligten - das Unternehmen, die Kunden und die Ruheständler - gewinnbringende Situation. Auch andere Branchen kommen allmählich auf die Idee, Menschen im Rentenalter einzusetzen.

Otto holte ehemalige IT-Mitarbeiter aus dem Ruhestand

Das Versandhaus Otto beispielsweise hatte vor drei Jahren ehemalige Mitarbeiter aus dem IT-Bereich gefragt, ob sie zeitlich befristet in ihre Abteilung zurückkehren wollen, um bei der Umstellung des IT-Systems zu helfen. Da die amtierenden Senioren das System seinerzeit mitentwickelt hatten, kannten sie seine Besonderheiten aus dem Effeff. "Das war eine prima Aktion", sagt Otto-Sprecher Frank Surholt. Nicht zuletzt die Medienresonanz war erfreulich.

Alte werden gebraucht - so etwas kommt an in einer alternden Gesellschaft. Dennoch räumt Surholt ein, dass Rentner seither nur noch von Fall zu Fall eingesetzt werden. Bei dem inzwischen nahezu vollständig auf E-Commerce ausgerichteten Versandhandel ändern sich IT-Systeme und Programme derart schnell, dass diejenigen, die einmal raus sind, bald den Anschluss verlieren.

Das sieht bei der Deutschen Bahn anders aus. Zwar haben sich die Züge und Antriebssysteme seit 1954, dem Jahr, als Hans-Dieter Mettke seine Lehre bei der Deutschen Reichsbahn begann, verändert. Aber der heute 76-Jährige ist auch mit der neuesten Generation der ICE vertraut. Der gelernte Schlosser, der sich im Laufe der Jahrzehnte schließlich bei der Deutschen Bahn AG bis zum Leiter des Qualitätsmanagements im Regionalbereich Ost für den Fernverkehr hochgearbeitet hatte, gibt sein Wissen heute an Besuchergruppen weiter.

Von der Schulklasse bis zu ausländischen Delegationen, die sich über eine der weltweit modernsten Bahnen informieren wollen, reicht die Bandbreite seiner Zuhörer. "Natürlich muss ich mich auf die jeweiligen Personen einstellen, ihr Vorwissen und ihre Interessen bei meinem Rundgang durch Werkstatt, Waschanlage, Bereitstellung und Abstellung der Züge einbeziehen", sagt Mettke. Doch genau das gefällt ihm an seinem Job.

Was ihn freut: Bei seinen Ex-Kollegen ist er gern gesehen, denn er entlastet sie. "Eine Führung dauert im Schnitt zwei Stunden. Zeit, die aktive Bahner nicht unbedingt übrig haben", sagt Mettke. Er macht die Arbeit mit Herzblut und für Gotteslohn. Für die Führungen erhält er lediglich eine Aufwandsentschädigung.

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Morgens um Viertel vor sechs Uhr parat stehen

Die Entlohnung steht auch für Edmund Konradi nicht im Mittelpunkt seiner Arbeit im Ruhestand, auch wenn er ein Gehalt bezieht. Ein Dreivierteljahr nach Eintritt ins Rentenleben hielt er es zu Hause aus. Dann fragte er bei seinem Ex-Chef an, ob er zurückkommen könne. Sein Wunsch wurde gern erfüllt.

Seit dem 1. September dieses Jahres arbeitet er wieder in seiner früheren Dienststelle im thüringischen Schwarzatal als Fahrdienstleiter und sorgt für die Sicherheit der Züge im Bahnhof und auf der Strecke. Dafür musste der 66-Jährige sämtliche Prüfungen, die für diese Position vorgeschrieben sind, noch einmal ablegen. Eine sinnvolle Maßnahme, findet Konradi. "Es ändert sich doch recht vieles in kurzer Zeit. Da bieten die Prüfungen das sichere Gefühl, auf dem Laufenden zu sein."

Rechtzeitig beim Arbeitgeber vorfühlen

Mit 19,5 Stunden pro Woche hat Konradi eine Teilzeitstelle. Trotzdem bedeutet es, morgens um Viertel vor sechs Uhr parat zu sein. Nicht unbedingt das, was man sich unter Ruhestand vorstellt. "Ich war mein Leben lang im Schichtdienst. Der Körper arbeitet noch immer in diesem Rhythmus", sagt der passionierte Bahner. Außerdem habe er im Laufe seines Arbeitslebens enge und persönlich wichtige Kontakte zu Kollegen geknüpft. "Das ist schon ein bisschen so wie eine Familie."

Jüngeren Kollegen mit ähnlichen Ambitionen für ihren Ruhestand rät Konradi, dem Vorgesetzten frühzeitig das Signal zu geben, dass sie weitermachen wollen. Und, wenn es dann mal nicht mehr geht, ebenfalls rechtzeitig für Planungssicherheit zu sorgen.

Verlässlichkeit und Ruhe - Eigenschaften, die Arbeitgeber und jüngere Kollegen an den Älteren schätzen. Das gilt auch im Industrie-Club Düsseldorf. Der traditionsreiche Wirtschaftsclub, dessen Mitglieder Spitzenpositionen in Wirtschaft, Politik und Kultur bekleiden, beschäftigt seit Jahren pensionierte Berufssoldaten am Empfang. "Wir brauchen Mitarbeiter, die auch in organisatorisch bisweilen schwierigen Situationen Ruhe bewahren, den Überblick behalten und höflich auftreten", sagt Geschäftsführerin Heidi Schädlich.

Solch ein Mitarbeiter ist Hans Otto Schaerffer. Bis vor anderthalb Jahren diente er als Berufssoldat, war Kompaniefeldwebel, fünfmal im Auslandseinsatz und für das Wohl seiner Soldaten auch in prekären Situationen verantwortlich. Was lockt einen Mann mit dieser Expertise an den Empfangstresen des Industrie-Clubs? "Der Wunsch, meine Frau zu entlasten", lautet die bündige Antwort. Frau Schaerffer arbeitet in der Altenpflege, ein kräftezehrender Job. Der Zuverdienst ihres Mannes ermöglicht ihr, die Schicht- und Wochenenddienste zu reduzieren.

Der Großteil der arbeitenden Rentner sucht Sinn und Kontakt

Der Aspekt des Zuverdienstes spielt bei den meisten Rentnern, die arbeiten möchten, eine untergeordnete Rolle. 80 Prozent der Ruheständler wünschen sich vor allem eine sinnvolle Beschäftigung, etwa 75 Prozent möchten über die Weiterarbeit in Kontakt mit anderen Menschen bleiben, und 70 Prozent versprechen sich persönliche Zufriedenheit durch die Arbeit im Alter, so die Ergebnisse einer Forschungsarbeit des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden.

Die wenigsten der befragten 55- bis 70-Jährigen sagten, dass sie mit ihrer Erwerbstätigkeit die Erwartungen anderer Menschen erfüllen müssen. Dies lasse nur einen Schluss zu, schreiben die Autoren der Studie: "Dass Arbeit für diese Altersgruppe vor allem Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung bedeutet."

© SZ vom 05.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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