Wer hier studiert, wird etwas: West Point ist die Elite-Universität der US Army, das was man gemeinhin eine Kaderschmiede nennt. Aus den ehrwürdigen Gemäuern nördlich von New York gehen Präsidenten, Militärgrößen und Führungspersönlichkeiten hervor. Dwight Eisenhower, 34. Präsident der USA ist ebenso West-Point-Absolvent wie David Petraeus, Kommandierender US-General der Isaf in Afghanistan. Forbes kürte West Point zum besten College in Amerika.
Jährlich werden hier etwa 1000 Offiziersanwärter ausgebildet, "intellektuell, körperlich, militärisch, ethisch, spirituell und sozial", wie es auf der Webseite der Universität heißt. Wer hier studieren will, muss zu den Besten gehören, wer einmal drin ist, will nicht wieder weg. Könnte man meinen.
Doch Katherine Miller, eine der Besten ihres Jahrgangs, wollte genau das. Nach zwei Jahren in West Point schrieb die 20-Jährige der Universitätsleitung einen Brief und trat sowohl aus der Akademie als auch aus der Armee aus. Auf ihre Militärkarriere verzichtete sie, weil sie sich nicht länger verstecken wollte. Katherine Miller hatte eine aussichtsreiche Laufbahn vor sich - aber sie ist lesbisch.
In West Point, wie der gesamten amerikanischen Armee bedeutet das, dass sie diesen Teil ihrer Persönlichkeit vor der Öffentlichkeit verbergen muss. Es herrscht das Militärgesetz des "Don't ask, don't tell", festgelegt im Titel 10, Paragraph 654 des Bundesrechts, dem US Code. Angehörige des Militärs dürfen ihre sexuelle Orientierung nicht öffentlich machen, Vorgesetzte nicht danach fragen. Die öffentliche Demonstration der eigenen Homosexualität kann zum Rauswurf aus dem Militär und damit aus der Universität führen, das wusste die junge Soldatin von Anfang an. Sie hat es selbst unterschrieben.
Während sie sich im Uni-Alltag der Geheimhaltungspolitik beugte, um ihren Traumberuf näher zu kommen, bloggte sie unter dem Decknamen "Private Second Class Citizen" anonym über das Leben von homosexuellen Studenten in West Point. "Nach zwei Jahren des Schweigens begreife ich, wie diskriminierend diese Politik ist", schrieb sie im Mai. "'Don't ask, don't tell" hält mich davon ab, enge persönliche Beziehungen zu meinen Kommilitonen aufzubauen, weil ich einen großen Teil meiner Identität vor ihnen geheim halten muss. Es zwingt mich, eine heterosexuelle Beziehungsgeschichte zu erfinden, um kein Misstrauen zu erwecken. [...] Nach dieser erleuchtenden Erfahrung habe ich mein Leben neu ausgerichtet. Ich bekämpfe jetzt Hass und Intoleranz im Inland anstatt Terroristen im Nahen Osten."
Die einzige homosexuelle Studentin in West Point war Katherine Miller ihren Angaben zufolge bei weitem nicht. Eine Verständigung unter den Frauen war stets auch trotz der Geheimhaltungspolitik möglich, wie sie schreibt. Um herauszufinden, ob eine andere Soldatin ebenfalls lesbisch war, stellte man einfach die Frage, ob jemand "zur Familie" gehöre. Und mögliche Freundinnen zu Hause bekamen in West-Point-Gesprächen einfach einen männlichen Spitznamen, wie Miller beschreibt: "Meine Kristin hieß hier nur Kris."
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Probleme wegen ihrer Sexualität bekamen an dem Elite-College schon mehrere Studenten. 1996 verließen drei junge Frauen die Akademie, nachdem Tagebuchaufzeichnungen entdeckt worden waren, die ihre sexuelle Orientierung preisgaben, wie die New York Times berichtet. 2002 wurde ein junger Soldat ausgeschlossen, nachdem sein Profil auf einer Webseite für Schwule gesehen wurde. Alle anderen, die nicht den Normen der Akademie entsprachen, behielten das für sich.
Für Katherine Miller war diese Situation irgendwann nicht mehr tragbar. Im August kündigte die 20-Jährige in ihrem Blog an, der Geheimniskrämerei ein Ende zu setzen, indem sie ihre Homosexualität öffentlich machen und gleichzeitig aus der Akademie austreten werde. Die Alternative war, sich für weitere Jahre zu verpflichten.
Eine Woche später reichte sie ihr Kündigungsschreiben ein: "Ich habe meine Kommilitonen belogen und meine eigene Identität verleugnet, um mich dem Codex des Militärs unterzuordnen. Ich bin nicht gewillt, einen Teil meiner Persönlichkeit weiter zu unterdrücken", schreibt sie - und bloggte fortan offen mit ihrem Foto.
Ihr öffentliches Coming-out und der Austritt aus West Point regten in den USA zum wiederholten Male die Diskussion um Paragraph 654 an. Katherine Miller musste plötzlich Fernsehinterviews geben und Journalisten aus dem ganzen Land Rede und Antwort stehen.
Die öffentliche Unterstützung war da - schon unter ihrem Blog richteten Leser immer wieder aufmunternde Worte an sie. Ein "heterosexueller, männlicher West-Point-Absolvent" gratulierte ihr zu ihrem Mut, ein langjähriger Armee-Angehöriger schreibt, es wäre ihm "eine Ehre gewesen, mit ihr zusammenzuarbeiten". Der Verein Knights Out, ins Leben gerufen von West-Point-Absolventen und Mitarbeitern der Akademie kämpft seit Jahren für die Rechte von Schwulen und Lesben an der Elite-Universität.
Dass sie irgendwann ihre Karriere beim Militär fortsetzen werde, schloss Katherine Miller in ihrem Kündigungsschreiben nicht aus. "Sollte der Paragraph 654 irgendwann außer Kraft gesetzt werden und an seine Stelle eine Antidiskriminierungspolitik treten, habe ich vor, zum Militär zurückzukehren", steht da.
Ihre Hoffnungen sind möglicherweise berechtigt. Die "Don't Ask, don't tell"-Politik des amerikanischen Militärs, die 1993 unter Bill Clinton eingeführt wurde, steht immer wieder zur Diskussion. US-Präsident Barack Obama unterstützt inzwischen die Aufhebung der Regelung. Repräsentantenhaus und Streitkräfteausschuss haben bereits beschlossen, dass schwule und lesbische Soldaten offen über ihre sexuelle Orientierung sprechen dürfen. Nun müssen noch der Senat und Präsident Obama die Änderung abnicken - und das Pentagon.
Bis es soweit ist, schlägt Katherine Miller eine andere Laufbahn ein. Inzwischen ist sie an der Elite-Universität Yale eingeschrieben und setzt dort ihr Soziologie-Studium fort - als lesbische Studentin, die sich in ihrer Freizeit dafür einsetzen wird, dass es "Don't ask, don't tell" bald nur noch in Erzählungen gibt.