Ursula von der Leyen:Die Nachhilfelehrerin der Nation

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Jetzt müssen sich die Jobcenter auch noch um Schulkinder kümmern: Anstatt das Budget der Schulen für Förderstunden zu erhöhen, fördert Ursula von der Leyen kommerzielle Nachhilfefirmen. Das ist eine Kapitulationserklärung.

Tanjev Schultz

Nachhilfe für Schüler ist ein lukratives Geschäft. Die Eltern in Deutschland geben dafür jedes Jahr mehr als eine Milliarde Euro aus, und eine Reihe kommerzieller Anbieter ist darauf spezialisiert, aus den Schwächen der Schüler Profit zu schlagen. Nun möchte auch noch Ursula von der Leyen auf diesem Milliardenmarkt mitmischen. Den Kindern von Hartz-IV-Empfängern will sie bei "objektiven Schulproblemen" Nachhilfestunden finanzieren. Die Arbeitsministerin schwingt sich auf zur Nachhilfelehrerin der Nation. Ob sie aber selbst den Stoff beherrscht, den sie dafür braucht?

Ursula von der Leyen plant eine Offensive für die außerschulische Nachhilfe. (Foto: AP)

Von der Leyens Pläne sind organisatorisch unausgegoren und juristisch riskant. Viele Kinder könnten mehr Förderung zwar sehr gut gebrauchen. Die erste Adresse dafür wären jedoch die Schulen, nicht die Jobcenter. Die Agentur für Arbeit ist schon jetzt oft überfordert mit dem Fördern der Arbeitslosen. Soll sie auch noch die Nachhilfe für die Kinder organisieren und verwalten, gerät die Pädagogik in den Mahlstrom einer Bürokratie, die bei diesem Thema überhaupt keine Erfahrung mitbringt.

Besser wäre es, jede Schule bekäme ein zusätzliches Budget, um nach ihrem Bedarf mehr Förderstunden anbieten und weitere Lehrer, Sprachtherapeuten und Sozialarbeiter einstellen zu können. Das würde auch verhindern, dass aus dem Bildungspaket der Ministerin ein Konjunkturprogramm für die kommerziellen Nachhilfefirmen wird und schon existierende ehrenamtliche Angebote verdrängt werden.

Doch im deutschen Föderalismus, in dem die Länder für die Schulen zuständig sind, darf eine Bundesministerin das Geld nicht direkt in die Lehrer- und Klassenzimmer leiten. Ursula von der Leyen musste einen anderen Weg suchen und hat deshalb einen individuellen Anspruch auf außerschulische Nachhilfe konstruiert. Rechtsanwälte freuen sich schon über ein neues, weites Betätigungsfeld: Die Kriterien, nach denen Nachilfestunden von den Behörden genehmigt werden, sind mit Sicherheit anfechtbar. Denn was sind schon "objektive Schulprobleme"?

Die Schulen sollen den Hartz-IV-Empfängern und den Jobcentern den Förderbedarf für das jeweilige Kind bescheinigen. Man kann sich ausmalen, wie begeistert die Lehrer sein werden, wenn sie dafür die Formblätter A, B und C mit vier verschiedenen Anhängen vom Jobcenter bekommen. Und man kann bezweifeln, dass die Richtlinien gerecht sein werden. So heißt es beispielsweise im Bundesarbeitsministerium, einen Anspruch auf Nachhilfe werde es nicht geben, wenn es darum gehe, eine andere Schulform zu erreichen. Aber warum sollte ein Hauptschüler, der lauter Dreier im Zeugnis hat, nicht versuchen dürfen, sich durch Nachhilfe so zu verbessern, dass er am Ende noch die Mittlere Reife schafft? Was ist daran weniger förderungswürdig, als wenn ein Realschüler versucht, von einer Fünf in Mathe auf eine Drei zu kommen?

Für außerschulische Nachhilfe gibt es verschiedene Motive. Bei manchen ist es der Ehrgeiz, noch besser zu werden. Andere wollen nur das Schlimmste verhindern, wieder andere etwas aufholen, was sie durch eine längere Krankheit versäumt haben. In allen diesen Fällen haben die Familien allerdings den gleichen Eindruck: dass die reguläre Schule ihren Bedarf nicht deckt, dass die Angebote dort nicht ausreichen oder nicht gut genug sind und auch die Eltern die Lücke nicht füllen können.

Den Politikern müsste jede private Nachhilfestunde, die erteilt wird, eigentlich einen Stich versetzen. Sie müssten also wund herumlaufen und, damit der Schmerz ein Ende hat, alles dafür tun, dass die Schulen private Nachhilfe weitgehend überflüssig machen. Stattdessen plant Ursula von der Leyen eine Offensive für die außerschulische Nachhilfe. In Wahrheit ist das keine Offensive, sondern eine Kapitulationserklärung.

© SZ vom 06.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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