Den Bildschirm im Büro zu sperren, wäre Simon nicht in den Sinn gekommen. Und wer schließt schon seine Notizen in die Schreibtischschublade ein, bevor er aufs Klo geht? Doch seit Kurzem denkt Simon, der sich nicht unter seinem richtigen Namen über Kollegen beschweren will, darüber nach: Wer kluge Gedanken hat und sie gut verkaufen kann, macht in seinem Beruf Karriere. Besonders Berufseinsteiger wie er müssen sich profilieren. Da schielt jeder ein bisschen darauf, was die anderen tun.
Als Simon aber das erste Mal erlebte, wie ein Büronachbar im Meeting dem Chef Überlegungen erläuterte, die er - Simon - Tage zuvor auf ein paar Zettel gekritzelt und offen liegen gelassen hatte, konnte er es trotzdem kaum fassen: Ein Kollege klaut Ideen und präsentiert sie als seine eigenen.
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Berater, Werbeleute, Entwickler und viele andere Berufsgruppen leben buchstäblich von ihren Einfällen. Ideenklau kommt allerdings quer durch alle Branchen vor, beim Autokonzern wie in der Verwaltung, in Redaktionen wie in der Wissenschaft. Da sagt etwa ein Steuerberater in der Kaffeeküche einer Großkanzlei, man könnte doch mal ein Mandanten-Event organisieren, um die Klienten zu binden - und der andere klappert nur mit dem Löffel in der Tasse herum. Aber bei der nächsten Gelegenheit schlägt er dem Vorgesetzten geradezu enthusiastisch eben solch eine Veranstaltung vor, ohne den Ideengeber auch nur zu erwähnen. Cornelia Topf fallen viele solcher Beispiele ein. Die Ökonomin arbeitet als Mediatorin mit vielen Unternehmen zusammen und sagt: "Ideenklau ist überall auffindbar."
Eine wettbewerbsorientierte Firmenkultur fördere dieses unmoralische Verhalten noch, sagt der Organisationspsychologe Alexander Zill von der Technischen Universität Chemnitz. "Wenn es eine Rangfolge gibt, die zeigt, wer in der Arbeitsgruppe die höchste Leistung erbringt, und von der die Vergütung abhängig gemacht wird, dann kann das anspornen, aber auch dazu führen, dass Mitarbeiter zu unfairen Mitteln greifen." Weil Unternehmen sich heute schnell verändern müssten, würden Ideen immer wichtiger und unter Umständen auch entsprechend honoriert.
Ideen wegzuschließen, ist keine Lösung
Wenn das dazu führt, dass Kollegen nicht mehr offen miteinander reden und Ideen in der Schublade verstecken, bis sie ein Konzept dazu ausgearbeitet haben, profitiert allerdings niemand davon. Das lässt sich am Dahinsiechen des betrieblichen Vorschlagswesens in vielen Konzernen beobachten. Das ist genauso umständlich, wie der Begriff vermuten lässt: Ein System, in das Mitarbeiter ausformulierte Vorschläge einspeisen, damit diese von einem Verbesserungsgremium besehen, bewertet und schließlich - oft nach Monaten, so dass der Ideengeber sein Konzept schon fast vergessen hat - entweder abgelehnt oder an die Chefs weitergeleitet werden. Das Gremium kann bestenfalls Ja sagen und eine Belohnung ausschütten. Dabei wäre die beste Antwort auf eine Idee eigentlich: Nicht so, aber anders.
Die besten Ideen hat selten ein Mensch allein. Und sie entstehen oft erst dann, wenn schlechtere Ideen verworfen werden, haben US-amerikanische Forscher herausgefunden. Sie hatten untersucht, was erfolgreiche Unternehmen im Silicon Valley ausmacht. Das Ergebnis: Start-ups, die mehrfach ihr Produkt oder Geschäftsmodell geändert haben, setzen sich eher durch als solche, die sich an ihre Gründungsidee klammern. Gründer bekommen vor allem von Investoren und Kunden Feedback, ob ihre Idee etwas taugt. Für den Mitarbeiter im Büro gibt es keinen kritischeren Prüfer als den Kollegen, der die Firma, deren Mitarbeiter, Kunden und Produkte ebenso gut kennt wie er.
Sollte also jede noch so unreife Idee gleich ausgesprochen werden? Und müssen Menschen wie Simon akzeptieren, dass Kollegen ihre Ideen schneller vortragen, wenn sie damit zögern? Nein, sagt Cornelia Topf: "Jeder Mitarbeiter eines Teams muss dafür sorgen, dass er mit seinen Ideen gesehen wird." Wenn andere aufsteigen, weil sie fremde Ideen als ihre verkaufen, werde das Gerechtigkeitsgefühl gestört, auch bei Menschen ohne große Karriereambitionen. Zumindest die Anerkennung hätten sie gern. Das Problem: Die meisten Menschen scheuen den Konflikt. Lieber tut man so, als hätte man den Ideendiebstahl nicht bemerkt, als mit dem Kollegen zu streiten und anschließend feindselig nebeneinanderzusitzen. Doch dazu muss es gar nicht kommen.
Häufiger als angenommen handelten Kollegen eher blauäugig als absichtlich, sagt Cornelia Topf. So oder so sei es aber wichtig, darauf zu reagieren: "Du, das war meine Idee, die du da eben im Meeting so großartig verkauft hast." Oft werde man dann erleben, dass der oder die andere sagt: "Ach, stimmt, darüber habe ich gar nicht nachgedacht."
Führungskräfte:Warum Chefs fast immer ungeeignet sind
Fachlich inkompetent, menschlich sowieso: Mitarbeiter urteilen oft hart über Vorgesetzte. Ganz von allein werden die allerdings nicht zu besseren Führungskräften.
Trotzdem ermutigt die Mentorin dazu, auch nach einer Entschuldigung die Grenzen zu markieren: "Es wäre fair, wenn du das nächste Mal alle Beteiligten nennen würdest." Vor allem wenn der Eindruck besteht, dass doch ein gewisses Kalkül dahintersteckte, sollten Betroffene noch ein Stück weiter gehen - besser humorvoll als dramatisch, empfiehlt die Mentorin: "Übernimm für mich die Auswertung der Tabelle XY, dann sind wir quitt", wäre ein denkbares Angebot. "Wenn Sie Glück haben, macht er es tatsächlich. Wichtiger ist aber klarzustellen, welchen Wert die Idee hat und dass das besser nicht wieder vorkommt", sagt Topf.
Wenn der Chef die Ideen klaut
Schwieriger wird es, wenn der oder die Vorgesetzte Ideen klaut und beispielsweise Lösungen, die im Team entwickelt wurden, als seine alleinigen nach oben oder außen weiterträgt. Ihn dafür bei den Chefs anzuschwärzen, ist schon deshalb keine Option, weil er sich rächen könnte. Ein erster Schritt kann sein, im persönlichen Gespräch auf den eigenen Beitrag hinzuweisen. "Es freut mich, dass Sie meine Ideen aufgreifen", schlägt Cornelia Topf eine Formulierung vor.
Je nach Verhältnis zum Teamleiter könne der Mitarbeiter fragen, ob er seine Ideen auch mal selbst in einem bestimmten Gremium vorstellen könne. Wichtig sei, dass ein Anspruch angemeldet, aber kein Angriff angedeutet werde. Erzwingen kann der Mitarbeiter sowieso nichts. Wer schweigt, um den Vorgesetzten zu strafen, kommt selbst nicht weiter.
Letztlich leidet das Unternehmen insgesamt darunter, wenn nicht kluge Köpfe, sondern Blender befördert werden. Die Unternehmensleitung kann dem Ideenklau entgegenwirken, indem sie Teamarbeit fördert. "Ein Ansatz kann sein, Belohnungen an Gruppen auszuschütten", sagt Organisationspsychologe Zill. Es ist sinnlos gegeneinander anzutreten, wenn nur das Gesamtergebnis gewürdigt wird.