Studium: Seelsorge am Telefon:Die wollen nur reden

Lesezeit: 2 min

Nächtelang am Telefon sitzen - und meistens nur zuhören. Studenten, die freiwillig im Heidelberger Projekt "Nightline" arbeiten, kümmern sich seit 15 Jahren um die Nöte angehender Akademiker.

Liebeskummer, Heimweh, Prüfungsangst - Katja Münch kennt sich mit diesen Themen aus. Sie hat schon mit zahlreichen Studenten über deren intimste Sorgen und Ängste gesprochen. Die 25 Jährige ist selbst an der Uni Heidelberg eingeschrieben und gehört zu den etwa 40 ehrenamtlichen Mitarbeitern, die nachts am "Zuhör- und Informationstelefon" der Heidelberger Initiative Nightline sitzen.

Ein ehrenamtliche Mitarbeiter des studententischen Zuhörtelefons Nightline, der nicht mehr aktiv telefoniert und jetzt im Organisationsteam arbeitet, stellt in Dresden eine typische Telefongesprächssituation nach. Zum Schutz der ehrenamtlichen Mitarbeiter und des Anrufers ist der Ort, an dem die 'Nightliner' arbeiten, streng geheim. Und damit der Anrufer nicht weiß, mit wem er telefoniert hat, sind es auch die Mitarbeiter. (Foto: dpa)

"Bei uns können die Studenten einfach mal Dampf ablassen oder über ihre Ängste sprechen", sagt die Geisteswissenschaftlerin, die gemäß den Vorgaben von Nightline ihren echten Namen nicht in den Medien lesen will.

Die Heidelberger Lebensberatung für den Akademikernachwuchs gibt es mittlerweile seit 15 Jahren. Auch in anderen deutschen Städten haben sich die Nightliner mittlerweile etabliert. "Unser Ziel ist es, eine unvoreingenommene Beratung anzubieten, bei der es nicht darum geht, jemanden so schnell wie möglich abzufertigen", sagt Münch.

Gerade während der Nacht, wenn Freunde oder Eltern nicht einfach angerufen werden können, kommen die Nightliner ins Spiel. Der Bedarf ist dann besonders groß, sagt Katja Münch. Die Palette der Probleme ebenfalls: "Es geht dabei zwar meistens um schwierige Situationen, über die die Studenten sprechen wollen. Manchmal geht es aber einfach um das Gespräch selbst", berichtet Münch, die seit zwei Jahren für Nightline an der Strippe sitzt. So habe beispielsweise vergangene Woche eine Studentin angerufen, die ein schönes Erlebnis hatte und einfach nur ihre positiven Gefühle mitteilen wollte.

Wie die Seelsorger mit schwierigeren Gesprächen umgehen sollten, dazu gebe es keine einheitlichen Vorgaben oder Lehrbuchmeinungen, erläutert die 25-Jährige. Obwohl die Nightliner zwei Mal im Jahr von Psychologen geschult werden, gebe es einfach immer wieder völlig neue Situationen. Da helfe vor allem eines: Routine.

Bei der Frage, warum sie sich mit anderen Kommilitonen ohne Bezahlung die Nächte mit wildfremden Menschen im wahrsten Sinne um die Ohren zu schlage, verweist die Heidelbergerin auch auf den speziellen Ansatz bei Nightline: "Ich finde soziale Arbeit wichtig und mache das auch gerne. Auf der anderen Seite lege ich Wert auf Anonymität", sagt sie. Die sei bei Nightline gewahrt. Es sei auch ein Vorteil, so die Studentin, wenn es nach dem Gespräch nicht zwingend eine Fortsetzung des direkten Kontaktes gebe.

Frank Eckert vom Nightline-Vorstand sagt, dass viele der seelsorgenden Studenten selbstlos handelten. Für manche Studenten, etwa aus dem Fach Psychologie, sei die nächtliche Lebensberatung am Telefon aber auch eine gute Möglichkeit, Berufspraxis zu bekommen. "Grundsätzlich sind bei uns aber alle Fakultäten vertreten, wenn auch Psychologen und Pädagogen etwas stärker repräsentiert sind", sagt der 23 Jahre alte Eckert, der früher selbst am Telefon saß.

Mittlerweile kümmert er sich allerdings vor allem um die Nightline Stiftung. Dabei geht es in erster Linie um das Ziel, die psychologischen Beratung für die Studenten auszuweiten und langfristig finanziell abzusichern. "Die mittlerweile fünf Nightlines in Deutschland sind als gemeinnützige und ehrenamtliche Vereine organisiert, ohne auf hauptamtliches Personal oder offizielle Trägerschaft zurückgreifen zu können", sagt Eckert. Daher sei die Suche nach Sponsoren immer schwierig.

Dennoch, neue Beratungsstellen sind schon für München, Stuttgart und Berlin geplant. Zumindest was Studenten angeht, die ehrenamtlich für Nightline arbeiten wollen, besteht Eckert zufolge kein Engpass. Tatsächlich haben in den vergangenen Jahren verschiedene Ableger der Heidelberger Einrichtung in anderen Städten, wie etwa Münster, Freiburg oder Köln ihren Dienst aufgenommen.

© sueddeutsche.de/dapd/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Arbeiten in der Krise
:Raus aus der Psycho-Hölle

Entlassungen, Kurzarbeit und Einsparungen allerorten: Das schlägt aufs Gemüt. Wie man auch in beruflich schwierigen Zeiten einen klaren Kopf behält - und seinen Job dazu. Neun Tipps in Bildern.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: