Studie:Mitdenken unerwünscht

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Die meisten Deutschen arbeiten in hierarchischen Firmen - und halten sie für wenig innovativ. Die Chefs sehen das oft anders.

Von Alexander Hagelüken, München

Wenn Michael Werder an seinen alten Arbeitgeber denkt, fallen ihm als erstes die Vorzimmer ein. Wenn er was mit einer Führungskraft zu bereden hatte, musste er sich bei dem DAX-Konzern stets im jeweiligen Vorzimmer umständlich einen Termin geben lassen. Einfach mal ins Büro gehen? Undenkbar. Entscheidungen fielen erst, wenn der Vorgang die lange Kette der Zuständigen nach oben gewandert war. Und wieder zurück. "Unterwegs ist manche Idee, die schnell in den Markt gehen sollte, einen langsamen Tod gestorben", erzählt der Marketingmann, der aus rechtlichen Gründen nicht unter seinem wahren Namen erzählen darf.

Eine noch unveröffentlichte Untersuchung legt nahe, dass Michael Werders Erfahrungen in Deutschland nicht die Ausnahme sind. Sondern die Regel. Zwei Drittel der Fachkräfte geben bei einer Befragung der Jobbörse Stepstone und der Personalberatung Kienbaum an, sie arbeiteten in hierarchischen oder gar stark hierarchischen Unternehmen.

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Meist ist die Firma aufgebaut wie eine Pyramide. Die Mitarbeiter berichten an den direkten Vorgesetzten, der weiter nach oben und so fort. Entschieden wird oben. "Oft sind diese Systeme durch lange Entscheidungswege geprägt", sagt Walter Jochmann, Geschäftsführer bei Kienbaum. "Hierarchien sollten aber nicht lähmend wirken. Der pyramidenförmige Aufbau ist für schnelle Reaktionen ungeeignet."

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Vielen Unternehmen fehlt der Druck, ihre Strukturen zu ändern

Deutlich mehr als die Hälfte der Fachkräfte, also der Spezialisten ohne Mitarbeiterverantwortung, stellen ihrer Firma ein schlechtes Zeugnis aus. Sie halten ihren Arbeitgeber nicht für innovativ - und denken, dies würde mit weniger Hierarchien besser. Statt auf Innovation sei ihr Unternehmen vor allem auf Effizienz ausgerichtet. Sie glauben, dass die Firma für die Zukunft schlecht aufgestellt ist. Nur jeder vierte beobachtet ein Konzept der offenen Türen mit viel Transparenz. Stattdessen regiert - das Vorzimmer mit dem Chefzimmer. Die Umfrage unter 14 000 Arbeitnehmern zeigt: Gerade Vorzeigebranchen wie die Autoindustrie organisieren sich besonders traditionell (siehe Grafik).

Marketingmann Michael Werder räumt ein, dass seine Ex-Firma genau wie die Autoindustrie nach wie vor passable Geschäfte macht. Aber er zweifelt daran, dass dies in der sich rasch wandelnden Unternehmenswelt so bleiben wird.

"Viele deutsche Unternehmen sind zur Zeit sehr erfolgreich", analysiert Guido Hertel, der an der Uni Münster die Psychologie der Arbeit erforscht. "Ihnen fehlt der Druck, ihre Strukturen zu ändern." Das könnte im digitalen Zeitalter zum Problem werden, da gerade amerikanische Konzerne von Amazon über Tesla bis Uber disruptiv Märkte aufmischen. "Es ist gerade in guten Zeiten sinnvoll, sich für zukünftige Innovationen aufzustellen", rät Hertel. "Grundsätzlich ist klar: Flachere Hierarchien und Teamarbeit erleichtern oft Innovationen."

Michael Werder findet bei seinem neuen Arbeitgeber ein Umfeld, das er für zukunftsfähiger hält. Auch bei diesem Unternehmen, ebenfalls ein DAX-Konzern, gibt es Hierarchien. Aber sie funktionieren anders, jedenfalls in Werders Bereich. Es wird mehr in gemeinsamen Projektgruppen gearbeitet statt in klassisch getrennten Abteilungen für Entwicklung, Finanzen und Vertrieb. In der Projektgruppe gibt es dann einen, der besonders genau zuhört, Diskussionen in eine Richtung lenkt und Entscheidungen vorbereitet - die teils gemeinsam getroffen werden, teils von ihm und seinen Chefs alleine.

Viele Unternehmen tun sich mit solchen Veränderungen schwer. "Viele Führungskräfte geben nicht gerne die Kontrolle ab, weil es ihrem Selbstverständnis als Macher zu widersprechen scheint", sagt Professor Hertel. Bemerkenswerterweise stufen Führungskräfte in der Stepstone-Umfrage ihr Unternehmen häufiger als innovativ ein als dies die Fachkräfte tun. Ist doch alles super bei uns, denken sie offenbar.

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Die Wertschätzung der Hierarchie durch die Hierarchen ist aber nicht die einzige Ursache für den Traditionalismus in deutschen Unternehmen. Hertel warnt vor einer Glorifizierung des Hierarchieabbaus. "Die Strukturen zu ändern, ist keine Sache von Tagen. Das dauert je nach Größe des Unternehmens Jahre und ist mit nicht unerheblichen Investitionen verbunden, etwa für Konfliktprävention und Schulung der Mitarbeiter". Ein beträchtlicher Aufwand, so oder so. "Im Alltag ist viel Abstimmung nötig, wenn mehr Mitarbeiter mitreden. Das ist im schnelllebigen Geschäft nicht einfach zu schaffen."

Beschäftigte wünschen sich mehr Eigenverantwortung

Hertel zitiert zwei Meta-Studien, die den Forschungsstand zusammenfassen. Danach steigt die Leistung des Teams bei Modellen mit geteilter Führung. Ein klarer Vorteil also. Allerdings wird der Effekt kleiner, wenn die Aufgabe eines Teams komplex ist. Auch schrumpft der positive Effekt über die Zeit. Hertel: "Es ist viel Koordination nötig. Wer macht welche Arbeit? Wer bekommt die Anerkennung dafür?"

Michael Werder erzählt, sein Marketingjob sei anstrengender geworden, seit er in flachen Hierarchien arbeitet. Mitreden bedeute Mitverantwortung für die Ergebnisse. Diesen Preis zahlt er allerdings gerne. Er ist mit seinem Job zufriedener als früher. Das lässt sich keineswegs von der überwiegenden Mehrheit der Arbeitnehmer sagen.

Fast die Hälfte der Befragten in der Stepstone-Studie sind mit ihrer Tätigkeit unzufrieden. Und ihnen fällt auch einiges ein, wie sich das ändern ließe. 80 Prozent möchten möglichst selbstbestimmt in eigenverantwortlichen Teams arbeiten. Bisher hat jeder fünfte ein ziemlich bohrendes Gefühl. Nämlich, dass seine Ideen in der Firma ausdrücklich nicht erwünscht sind.

© SZ vom 26.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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