Studenten der Nukleartechnik:"Ist das, was ich tue, richtig?"

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Die schwierige Lehre aus der Katastrophe von Fukushima: Nukleartechnik-Studenten an der TU München müssen sich gegen die Anfeindungen ihrer Kommilitonen wehren. Den eigentlichen Kampf aber führen sie mit sich selbst.

Sebastian Krass

Als die ersten Bilder und Nachrichten aus Fukushima kamen, wusste Philipp Wurdak, dass er ein Problem hat. Das Problem war nicht die Klausur über "Grundlagen der Strömungsmaschinen", die kurz bevorstand - die aber plötzlich ziemlich nebensächlich war. Und die bohrenden Fragen von Eltern und den Freunden, die bei den Grünen sind? An die ist er eigentlich gewöhnt.

Julia Hentschel und Philipp Wurdak studieren auf dem Uni-Campus in Garching Nukleartechnik. Im Hintergrund der Forschungsreaktor, das sogenannte "Atom-Ei". (Foto: Alessandra Schellnegger)

Das wirkliche Problem muss er mit sich selbst ausmachen: Ist das, was er tut, noch richtig? War es das überhaupt jemals? "Vor Fukushima war ich fest überzeugt, dass es absolut das Richtige ist. Aber dieses Ereignis konnte man sich nicht vorstellen", sagt Wurdak. "Jetzt zweifle ich manchmal schon. Aber wenn nicht in Deutschland, dann werden Kernkraftwerke anderswo gebaut. Wenn ich dazu beitragen kann, dass die möglichst sicher sind, dann möchte ich das tun."

Eine harte Probe für die Begeisterung

Philipp Wurdak ist 23 Jahre alt, er studiert Energie- und Prozesstechnik an der Technischen Universität (TU) München. Als Spezialisierung hat er sich Nukleartechnik ausgesucht. Wurdak kommt aus Aalen in Baden-Württemberg, er will seit Jugendtagen in einem Kernkraftwerk arbeiten, seit ihn sein Onkel zur Revision des Meilers in Leibstadt in der Schweiz mitnahm. Philipp war sofort begeistert. Fukushima ist nun eine harte Probe für diese Begeisterung. Ganz gelöst hat er das Problem noch nicht. Aber inzwischen sieht er sich wieder auf einem guten Weg, er wird diesen Weg weitergehen. Sonst säße er wohl nicht hier, in einem schmucklosen Besprechungsraum, im Erdgeschoss, ganz am Ende eines der vielen Flure, die den gewaltigen Komplex der Maschinenbauer in Garching durchziehen.

Auch Julia Hentschel hat nach Fukushima erst einmal gezweifelt: "Wenn du in einem Kraftwerk gearbeitet hast, wo so etwas passiert, bist du dann schuld? Oder bist du schon schuld, weil du vorhast, in einem Kraftwerk zu arbeiten?" Auch die öffentliche Debatte gehe einem manchmal nahe, weil man wisse, dass die meisten die Atomkraft ablehnen. Aber Hentschel hat die Zweifel hinter sich. Sagt sie. Und das strahlt sie auch aus. Während der Kommilitone manchmal etwas gebeugt dasitzt und einen Moment überlegt, bevor er etwas sagt, hält Hentschel den Rücken aufrecht und spricht ohne Zögern fast druckreif.

"Wenn man sich in der Kerntechnik engagiert, kann man was bewegen." Sicherere Kraftwerke sind ein Dienst an der Menschheit, ist Hentschel überzeugt. "Man muss unabhängig von der Meinung anderer sein. Kritik darf einen nicht auffressen." Sie ist 22 Jahre alt und beginnt im Herbst einen Master in Nukleartechnik. Sie hat auch über Fahrzeug- und Motorentechnik oder Flugzeugbau nachgedacht. Aber das machen schon so viele. Die Familie habe Verständnis, sagt die Münchnerin, "alles Naturwissenschaftler". Aber in der Uni hat ihr kürzlich jemand zugerufen: "Julia, du kannst doch was Besseres mit deinen Noten."

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Für viele der knapp 4500 Studenten an der Fakultät für Maschinenwesen sind die Nukleartechniker ein Grüppchen von Sonderlingen, für manche sind sie Freaks von vorgestern. Die Studierendenzahlen scheinen den Spöttern recht zu geben. Spätestens als die rot-grüne Bundesregierung den Atomausstieg auf den Weg brachte, brach das Interesse junger Menschen an dieser Wissenschaft ein. 2001 schrieb die Zeit vom "Exotenfach" und "Auslaufmodell, für das sich nur noch wenige junge Leute erwärmen können". Die Zahl der Lehrstühle sank deutschlandweit.

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Die TU fährt traditionell einen atom-freundlichen Kurs. Sie hat den Forschungsreaktor durchgesetzt, und der seit 1995 amtierende Rektor Wolfgang Herrmann unterschrieb im vergangenen Herbst den umstrittenen Appell der Atomlobby. Doch selbst diese Uni bildete nach der Emeritierung des Atom-Doyens Adolf Birkhofer jahrelang keine Fachleute aus. Erst seit 2007 gibt es wieder einen Lehrstuhl für Nukleartechnik, genau genommen eine vom Energiekonzern Eon mitfinanzierte Stiftungsprofessur. Der Spanier Rafael Macián-Juan hat sie inne. Inzwischen gibt es, meldet die Interessenvertretung Kompetenzverbund Kerntechnik, wieder 24 Professuren.

Jobchancen weltweit

Im Flur des Münchner Lehrstuhls hängen viele Stellenausschreibungen, aus der Industrie, aber auch vom TÜV. Immer sind die Stellen "ab sofort" zu besetzen. Mancher Zettel scheint schon etwas länger hier zu hängen. Die Branche sucht verzweifelt nach Fachkräften. Viele Kerntechnikexperten, die heute in der Industrie, aber auch bei den Überwachungsbehörden arbeiten, sind über 50. Und selbst wenn die Bundesregierung noch diese Woche den kompletten Ausstieg zum Jahresende verkünden würde: Allein der Rückbau der 17 deutschen Meiler dauert jeweils mindestens zehn Jahre und erfordert Scharen an Kerntechnikern. "Auch ich sage meinen Studenten immer: Der Markt ist offen, ob in Deutschland oder Europa. Auch die USA suchen viele Leute, und dort zahlen sie sehr hohe Gehälter. Manchmal kommt es mir vor, als wäre ich der Einzige, der das erzählt", sagt Macián-Juan.

Er weiß, wovon er spricht. Bevor er hierherkam, hat er lang in den USA geforscht und dann zehn Jahre in der Schweiz gearbeitet, beim renommierten Paul-Scherrer-Institut. "Da habe ich schon viel gehört über die Anti-Atom-Bewegung in Deutschland", erzählt der 46-Jährige. "Ich hatte ein bisschen Zweifel, ob ich überhaupt Studenten finden würde." Aber andererseits wollte er seinen Enthusiasmus für die Nukleartechnik, dieses "kompletteste Feld der Ingenieurwissenschaften" weitergeben. Seinen Forschungsschwerpunkt legt er auf die Reaktorsicherheit.

Sein Lehrstuhl hat inzwischen knapp 20 Diplomarbeiten betreut und bildet gerade den fünften Master-Studenten aus. Man müsse auch bedenken, sagt Macián-Juan, dass Deutschland aus politischen Gründen kerntechnischen Nachwuchs brauche, unabhängig vom Ausstieg. "Das Land bleibt ein Teil der EU und Mitglied in anderen internationalen Organisationen. Wenn man keine Experten mehr hat, wird man da auch in Atomfragen nichts mehr mitzureden haben."

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Julia Hentschel und Philipp Wurdak sehen ihre Zukunft dennoch eher nicht in ihrem Heimatland. Und das stand für sie schon fest, als sie sich für das Fach entschieden. Man will ja nicht nur kämpfen, sich von der Kritik nicht auffressen zu lassen, man will auch mal Anerkennung für die Arbeit, die man aus Überzeugung tut. "Außerdem wäre es mir eine zu destruktive Lebensaufgabe, nur mit dem Rückbau beschäftigt zu sein", erzählt Julia Hentschel. "Man will ja als junger Mensch Impulse setzen. Dann würde mich schon die Suche nach einem Endlager mehr interessieren." Oder ein Land wie Frankreich. Dort stammen 80 Prozent der Energie aus der Kernkraft. Frankreich bietet Nukleartechnikern momentan noch so ein Freiheitsversprechen wie die Bundesrepublik den Autonarren.

"Wir ducken uns nicht weg"

Im Moment geht es ruhig zu auf den Gängen der Fakultät. Hentschel und Wurdak verbringen auch nicht mehr den ganzen Tag vor dem Fernseher und dem Internet. Aber eine Stunde lesen sie schon noch jeden Tag, was es Neues gibt aus Fukushima. In knapp einem Monat geht das nächste Semester los. Gut möglich, dass die Nukleartechniker den einen oder anderen zusätzlichen dummen Spruch abbekommen. "Wir ducken uns nicht weg", sagt der Professor. Außerdem hat er wie auch Philipp Wurdak die Erfahrung gemacht, dass die Leute aufmerksam zuhören, wenn ihnen jemand vom Fach erklärt, was in Japan los ist.

Und wenn er mit den Kernkraftwerken doch nicht glücklich wird, hätte Wurdak noch eine andere Idee, wie er sich gern in die zivile Nutzung der Atomkraft einbringen würde: "Für eine Weltraummission zum Mars braucht man sicher Nuklearantriebe, eine Technik, die es noch gar nicht gibt."

© SZ vom 06.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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