Sandro Wagner hat den Job als WM-Stürmer nicht bekommen und will jetzt gar nicht mehr für Löw gegen den Ball treten. Bei der Kader-Auswahl für die Weltmeisterschaft in Russland spielte auch das Bauchgefühl des Bundestrainers eine Rolle. Personalleiter Marcus K. Reif erklärt im Interview, wie abgelehnte Kandidaten, aber auch Personaler besser mit solchen Situationen im Berufsleben umgehen.
SZ: Herr Reif, der Nationaltrainer hat einige Entscheidungen bei der Nominierung des WM-Kaders nach Gefühl getroffen. Können Sie das als Recruiting-Experte verstehen?
Marcus K. Reif: Das Bauchgefühl und die Intuition sind extrem wichtig, wenn Sie Bewerber rekrutieren und Mitarbeiter bewerten wollen. Aber viele Personaler lassen sich davon viel zu früh verleiten.
Warum führt das Bauchgefühl in die Irre?
Wenn man schon viele Personalentscheidungen getroffen hat, entwickelt man Muster: Diese Art von Kandidat hat sich als besonders gut herausgestellt, die nehme ich wieder - und umgekehrt. Auf diese Weise übersieht man aber wirklich gute Bewerber, die sich von den bisherigen unterscheiden.
Wie lässt sich das vermeiden?
Indem zuallererst alle rationalen Kriterien verglichen werden: fachliche Kompetenz, Persönlichkeit, analytische und kommunikative Fähigkeiten, aber auch der soziokulturelle Fit, wie man neudeutsch sagt - also die Frage, ob jemand ins Team passt.
Hat Sandro Wagner mit seinem Rumpelstilzchen-Auftritt gerade gezeigt, warum er nicht mit zur Weltmeisterschaft darf? Ist Charakter im Zweifel wichtiger als Leistung?
Das würde ich so pauschal nicht sagen. In meinem Personaler-Netzwerk wird gerade diskutiert, ob Löw die richtige Auswahl getroffen hat.
Für wen hätten Sie sich im Sturm entschieden?
Petersen hat viele Tore geschossen, den muss man im Auge behalten. Bei Gomez und Wagner muss man abwägen: Mario Gomez kann mit seiner Erfahrung in kritischen Situationen vielleicht die richtigen Entscheidungen treffen. Sandro Wagner fällt mit einer gewissen persönlichen Aggressivität auf, ist aber Stand heute eindeutig der bessere Fußballer. Es kann sein, dass der Bundestrainer gesagt hat, der passt ihm sozial nicht so gut ins Gefüge. Aber wenn ich das Turnier gewinnen will, weiß ich nicht, ob das die richtige Entscheidung ist.
Spätestens jetzt wäre er aber vermutlich bei jedem Personaler unten durch. Wagner hat öffentlich gesagt, er könne die Entscheidung des Trainers nicht ernst nehmen und werde nie wieder in der Nationalmannschaft spielen.
Er tut sich mit seinem Verhalten keinen Gefallen, weil es in einen Konflikt mit dem Trainer mündet. Dabei war es vielleicht gar nicht Löw, sondern seine Berater, die gesagt haben: Nimm lieber jemanden mit besserer Laune mit. Wagner knallt die Tür so zu, dass es weh tut. Abgelehnte Bewerber dürfen die Tür nicht zuknallen, wenn der Personaler die Finger noch drin hat.
Das heißt, jetzt sind alle Chancen auf ein Comeback verspielt?
Ich persönlich bin ein Fan davon, ein Affektverhalten nicht überzubewerten. Falls ein Stürmer sich noch verletzt, würde ich Wagner an Löws Stelle anrufen und sagen: Hör mal zu, du bist ein geiler Kicker. Aber ich finde es schwierig, wie du mit der Mannschaft und deinem Ego umgehst. Ich habe folgende Ideen, wie wir daran gemeinsam arbeiten können - und wenn du dazu bereit bist, nehme ich dich gerne mit.
Sie sagen es ja schon selbst, nicht jeder gibt Kandidaten diese zweite Chance. Wie scheitert man stilvoll und hält sich bei einer Absage die Tür offen?
Als abgelehnter Bewerber würde ich sagen: Ich respektiere die Entscheidung, bin aber total interessiert an der Begründung, weil ich der Meinung bin, dass ich jemand bin, der den Unterschied gemacht hätte. Und dann sollte der Personaler in der Lage sein, die Entscheidung zu erklären.
Und dem Kandidaten besser nicht mit dem Bauchgefühl kommen?
Wenn die rationalen Kriterien pari-pari sind, darf man auch das Gefühl beschreiben. Wichtig ist, die Begründung von der Person zu trennen. Sie hat in aller Regel nichts mit dem Menschen und seinem Können zu tun, sondern mit dessen Wirkung in das soziale Gefüge, im Fall Wagner in die Mannschaft hinein. Wenn Löw das so erklärt hätte, wäre der Spieler wahrscheinlich nicht so erbost an die Öffentlichkeit gegangen.
Das heißt, Sie würden sagen, Löw war an dieser Stelle kein guter Chef, kein guter Personalberater?
Ja, das kann man so interpretieren.