Kritik an der Bologna-Reform:Schwach - oder sinnig?

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Die Bologna-Reform: Europäische Gutmenschen wollten das Beste für ihren Kontinent und haben dafür die Hochschulen auserkoren. Dabei haben sie ungewollt Unfug angestellt.

W. Fach

Die Vereinheitlichung der Studiengänge in Europa, die vor zehn Jahren in Bologna beschlossen wurde, ist mit ihren Bachelor- und Master-Abschlüssen, mit ihren Modulen und Kreditpunkten immer noch heftig umstritten. Unsere Debatte, die von den jüngsten Schüler- und Studentenprotesten neu angestoßen wurde, setzt heute der Politologe Wolfgang Fach fort - er ist Prorektor für Lehre und Studium an der Universität Leipzig.

Kritik an der Bologna-Reform: Ein komplettes Desaster - oder doch sinnvolles Konzept? Studenten und Professoren diskutieren über die Bologna-Reform.

Ein komplettes Desaster - oder doch sinnvolles Konzept? Studenten und Professoren diskutieren über die Bologna-Reform.

(Foto: Foto: ddp)

Wenn alle Wege nach "Bologna" führen, weil an der Zukunft niemand vorbeikommt - wie Wolfgang Seibel in der SZ vom 24. Juni geschrieben hat -, dann fragt man sich schon, warum so wenige davon wissen oder daran glauben. Ausstiegswillige schießen wie Pilze aus dem Boden. Nach ihrem Verständnis gibt es Wege in eine andere und bessere Zukunft namens "Vergangenheit". Wes Geistes Kind die Kritiker sind und was man von ihrem Geist zu halten hat: Diese Fragen sind noch lange nicht erledigt. Also stellen wir sie.

Mehr Markt und Humankapital

Die Bologna-Kritik setzt, sofern sie gründlich geschieht, an der Entstehungsgeschichte an. Europäische Gutmenschen wollten ihrem Kontinent noch einen "gemeinsamen Raum" überstülpen und haben, wissensgesellschaftlich beflügelt, dafür die Hochschulen auserkoren. Da dieser Wunsch nach unten durchgestellt werden musste, bot sich für nachgeordnete Akteure eine willkommene Gelegenheit, innovativ an die Reform weitere Reformen anzuhängen.

Jede Ebene addierte einen eigenen Gedanken, je nachdem, wo ihr gerade der Schuh gedrückt hat: Mehr Markt ("Employability") schien einigen das Allerwichtigste, anderen kam es vor allem auf verbesserte Abschlussquoten an (Humankapital), wieder andere fanden es an der Zeit, den ministeriellen Alltag von lästigen Nebenjobs zu befreien (Akkreditierung), und in den Universitäten akzeptierte man gerne die Offerte, durch gesteigerte Anforderungen ins Studieren wieder mehr Ernst zu bringen (Prüfungslast).

Ungewollt Unfug angestellt

Da mehrere Ebenen durchlaufen werden mussten, ist eben eine Mehrebenen-Reform entstanden - wobei jede Stufe für sich genommen etwas Vernünftiges im Auge gehabt haben mag, alle zusammen aber ungewollt Unfug angestellt haben: emergent irrationality. Wer das Dilemma so, also als Verflechtungsproblem beschreibt, wird auf Entflechtung drängen.

Nahe liegt es dann, den Revisionsprozess gegenläufig zu organisieren, weil uns der gesunde Menschenverstand eingibt, dass auf dem lokalen Terrain naturgemäß besonders kurzsichtige, aber auch besonders flüchtige Reformen passieren. Wir sind, danach sieht es aus, noch einmal davongekommen: Den schwachsinnigsten Teil wird man am schnellsten wieder los. Eine Variante der Hölderlin-Formel: "Doch wo Gefahr ist, da ist das Rettende auch."

Gerade jene Hochschulen, die sich vergleichsweise reformfreudig geriert haben, müssen mit dieser Lageskizze rechnen. Aber: Sind nachgeordnete Entscheidungen schon deswegen bornierter, weil ihr Einzugsbereich begrenzter ist? Und werden wir sie schon deswegen einfacher los, weil sie nachgeordnet sind? Könnte es nicht sein, dass man im Überschwang des geplanten (Rückzugs-)Gefechts das, was auf der unteren Ebene passiert, zugleich unter- und überschätzt?

Auf der nächsten Seite: Eine Novelle für jedes Ärgernis - Reformen beginnen einander zu jagen.

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