Lange Zeit dachte Margot B., sie würde es schaffen. Sie alleine. Ihrem Beruf als Immobilienmaklerin nachgehen, ihre zwei Kinder erziehen und ihre kranken Eltern pflegen. Später kümmerte sie sich noch um ihren krebskranken Bruder und schlug sich mit den Schulproblemen ihres Sohnes herum. Nebenbei verwaltete sie Millionenprojekte in der Immobilienbranche. "Ich bin immer weiter gelaufen", sagt sie heute. Wie eine Maschine.
Doch dass Sand im Getriebe war, konnte Margot irgendwann nicht mehr leugnen. Es fiel ihr immer schwerer, Entscheidungen zu treffen. Sie war nicht mehr in der Lage, Prioritäten zu setzen. Angstzustände suchten sie heim. Dass ihr alles zu viel wurde, wollte sie sich trotzdem nicht eingestehen. "Ich wurde von meinen Mitmenschen als Powerfrau gesehen. Wenn ich andeutete, dass mir alles über den Kopf wächst, nahm das niemand richtig ernst. Alle hatten die Erwartung: Die schafft das schon", sagt Margot heute. Dass der allgegenwärtig diskutierte Burn-out für sie zur Realtiät wurde, sahen viele erst als es zu spät war. Margot B. zog sich immer mehr zurück, konnte irgendwann ihr Haus nicht mehr verlassen.
Diese Entwicklung sei typisch, sagt Horst Kraemer, Therapeut und Karrierecoach aus der Schweiz. In seiner Akademie in Wil arbeitet er immer wieder mit Burn-out Patienten, die erst dann Hilfe suchen, wenn gar nichts mehr geht. "Zuerst empfinden die meisten einfach nur Stress, und das muss ja an sich nicht negativ sein. Aktivierungsstress gibt uns sogar Kraft", sagt Kraemer, der unlängst den Ratgeber Soforthilfe bei Stress und Burn-out veröffentlichte.
Problematisch wird es, wenn das Stresslevel nicht mehr abgebaut wird. "Wer nicht mehr in der Lage ist, sich regelmäßig zu entspannen, ist gefährdet", sagt Kraemer. Die Anzeichen sind oft simpel: Die Konzentrationsfähigkeit nimmt ab, die Fehlerquote beim Arbeiten steigt, die Merkfähigkeit sinkt und die Kommunikation mit der Umwelt wird immer schwieriger. Das hat auch mit dem Stresshormon Cortisol zu tun. Wenn der Körper ständig auf Hochtouren läuft und das Cortisol nicht mehr abbaut, beinträchtigt das die Realitätswahrnehmung, wie Kraemer erklärt.
Eine Entwicklung, die auch den Unternehmen schadet, dessen sind sich die Personalverantwortlichen bewusst. "Uns geht es darum, die stressbedingte Leistungsminderung bei Angestellten zu reduzieren oder zu verhindern", sagt Andrea Reise, Human Resources Director des Sicherheitsdienstleisters SGS. Sie kümmert sich um etwa 7000 Angestellte in acht Ländern - die Prävention von Burn-out-Erkrankungen spielt dabei für sie eine wichtige Rolle. Seit Jahren werden den Angestellten regelmäßige Coaching-Gespräche angeboten, in denen sie trainieren sollen, wie sie in stressigen Situationen besser zurechtkommen. Dazu müssen sie aber auch selbst aktiv werden.
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Dass jeder bestimmte Präventionsmaßnahmen treffen kann, sagt Psychiater Werner Kissling vom Centrum für Disease Management der TU München: "Es gibt einfache Maßnahmen zum Stressabbau: täglich zehn Minuten Bewegung, im besten Fall im unternehmenseigenen Fitnesstudio, während der Arbeit mal fünf Minuten Musik hören, kurz an die frische Luft gehen." Aber auch die Aufmerksamkeit der Vorgesetzten und Kollegen sei gefragt: "Wenn ein Kollege über längere Phasen still in der Ecke sitzt, sich nicht mehr an Unterhaltungen beteiligt und sich zurückzieht, könnte das ein Anzeichen sein", so Kissling.
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Wie schwierig der Umgang mit solchen Verdachtsfällen ist, das weiß Personalerin Reise. "Der Arbeitgeber muss in solchen Situationen sehr vorsichtig agieren, psychische Erkrankungen von Angestellten sind ein heikles Thema", sagt sie. Vor allem weil das Eingestehen derartiger Probleme in unserer Gesellschaft noch immer als Schwäche angesehen werde. In ihrem Unternehmen will sie deshalb zumindest eine Plattform schaffen, die es den Mitarbeitern erleichtert, mit stressbedingten Problemen umzugehen und Hilfe zu suchen.
"Ist die Krankheit einmal da, ist es für uns sehr schwierig, noch etwas zu tun. Dann muss eine individuelle Behandlung folgen", sagt Reise. Die hält wertvolle Mitarbeiter oft mehrere Monate von ihrem Arbeitsplatz fern - für das Unternehmen auch wirtschaftlich ein Problem.
Und den Betroffenen mangelt es mitunter an Eigeninititaive, beobachtet Kraemer. "Die meisten sehen Burn-out als etwas, was durch die äußeren Umstände ausgelöst wurde. Sie sind der Meinung, sie hätten sich jahrelang aufgeopfert und müssten sich jetzt einfach nur ausruhen", sagt Kraemer. Einfach nur Ausspannen allein hilft aber nicht. "Ich bekomme oft zu hören: 'Ich war vier Wochen lang in einer Klinik und habe nichts gemacht. Aber es geht mir immer noch nicht besser.'" Für ihn ist das selbstverständlich: "Um die Blockade aufzulösen, müssen wir selbst aktiv werden. Das funktioniert wie ein Dynamo - wir müssen erst Energie hineinstecken, damit sich etwas tut."
Der erste Gang zum Betriebsarzt oder Psychologen kostet die Betroffenen jedoch häufig Überwindung. Erst wer aktiv Hilfe sucht, kann jedoch beginnen, die eigenen Gewohnheiten, die die Erkrankung begünstigten, zu analysieren. Andrea Reise jedenfalls ist überzeugt: "Das Unternehmen ist nicht verantwortlich für die Erkrankung eines Mitarbeiters." Der Arbeitsalltag und die privaten Probleme werden sich vielleicht nicht ändern - die Art und Weise, wie jeder Einzelne damit umgeht, möglicherweise schon.
Margot B. hat ihr Leben inzwischen umstrukturiert. Nach mehreren Sitzungen beim Psychologen, der Einnahme von Antidepressiva und regelmäßigem Entspannungscoaching hat sie ihren Job als Immobilienmaklerin aufgegeben. Sie betreibt inzwischen ihren eigenen Börsenblog - und das Entspannen trainiert sie immer noch.