Job:"Das ist ganz schön ernüchternd"

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Pflege war lange Zeit die Aufgabe von Ordensschwestern. Daher galt sie als "Dienst um Gotteslohn". Auch heute noch sagen viele Menschen in Pflegeberufen, dass sie in erster Linie Menschen helfen wollen. (Foto: Jens Kalaene/dpa)

Die Unzufriedenheit in sozialen und pflegerischen Berufen ist groß. Doch die Wut verfliegt schnell nach jedem Streik. Warum?

Von Miriam Hoffmeyer

Vor zehn Jahren löste die Krankenpfleger-Gewerkschaft Tehy in Finnland fast eine Staatskrise aus: 40 Prozent aller Pflegekräfte des Landes drohten, geschlossen zu kündigen. Erst am Morgen des Stichtags knickten die Arbeitgeber ein - die Gehälter in der Pflege stiegen um eindrucksvolle 20 Prozent.

Von solcher Macht können deutsche Gewerkschaften und Berufsverbände im sozialen Bereich nur träumen. Der Organisationsgrad skandinavischer Pflegekräfte beträgt 90 Prozent und ist damit schätzungsweise zehn Mal so hoch wie in Deutschland. Die Mitglieder der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, der winzigen Kirchengewerkschaft und diverser Berufsverbände sind dabei schon zusammengerechnet.

"Das ist ein typisch deutsches Phänomen", sagt Johanna Knüppel vom BDfK, dem mit rund 22 000 Mitgliedern größten deutschen Berufsverband für Pflegeberufe. Der Hauptgrund sei die Tradition, schließlich sei die Krankenpflege früher Aufgabe von Ordensschwestern gewesen. "Unterschwellig ist das immer noch drin: Pflege gilt als Dienst um Gotteslohn", sagt Knüppel. "Viele Pflegende sagen selbst, dass sie in erster Linie Menschen helfen wollen. Dazu passt es nicht, im Rahmen einer Mitgliedschaft in Berufsverband oder Gewerkschaft für die eigenen Bedürfnisse einzustehen." Für die Arbeitgeber sei das natürlich sehr bequem.

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Der niedrige Organisationsgrad in sozialen Berufen und besonders in der Pflege hat auch strukturelle Ursachen: Das typische deutsche Gewerkschaftsmitglied ist ein Mann, der in Vollzeit in einem Großbetrieb arbeitet. In der Kranken- und Altenpflege ist die große Mehrheit der Beschäftigten weiblich, es gibt sehr viele Teilzeitjobs und befristete Stellen und in der ambulanten Pflege fast nur kleine Firmen ohne Betriebsrat, zu denen die Gewerkschaften kaum Zugang finden. Statt kollektiv gegen schlechte Arbeitsbedingungen zu kämpfen, ziehen sich viele Pflegekräfte resigniert zurück: Sie reduzieren ihre Arbeitszeit oder wechseln gleich den Beruf.

Gerade die hohe Arbeitsbelastung nehme vielen die Kraft zum Protest, sagt die 27-jährige Krankenschwester Maria Wierscholowsky aus Berlin, die vor fünf Jahren bei Verdi eingetreten ist: "Ich vermute, dass viele Nichtmitglieder aufgrund ihres Arbeitspensums wenig motiviert sind, noch zusätzliche Zeit zu opfern."

Vorsichtigen Optimismus verbreitet Silvia Bühler, Leiterin des Verdi-Fachbereichs Gesundheit und Soziales: "In der Gesundheitsbranche gibt es eine große Enttäuschung gegenüber den Arbeitgebern, der Politik, vielleicht auch der Gesellschaft. Aber die Beschäftigten erkennen zunehmend, dass sie selbst etwas tun müssen, wenn sich etwas verändern soll." Auch wegen der laufenden Verdi-Kampagne für mehr Pflegepersonal in Krankenhäusern habe ihr Fachbereich "stetigen Zulauf".

Nachweisen kann Bühler das allerdings nicht. Verdi veröffentlicht keine Mitgliederzahlen gesondert nach den 13 Fachbereichen, derjenige für Gesundheit und Soziales ist nur sehr klein. Die Gewerkschaft, die mehr als tausend Berufe vertritt, ist mit zwei Millionen Mitgliedern zwar immer noch die zweitgrößte nach der IG Metall. Doch sie hat seit 2001 fast ein Drittel ihrer Mitglieder verloren - auch weil sich viele Dienstleistungsunternehmen aus der Tarifbindung verabschiedet haben.

Auch die meisten anderen Gewerkschaften haben Probleme bei der Nachwuchsgewinnung: Nur zwölf Prozent der deutschen Beschäftigten unter 30 sind in einer Gewerkschaft, bei den über 50-Jährigen liegt der Anteil mehr als doppelt so hoch. Am erfolgreichsten in der Mitgliederwerbung waren in den letzten Jahren kleine, entschlossen für ihre Klientel kämpfende Berufsgewerkschaften wie der Marburger Bund oder die Pilotenvereinigung Cockpit. Beim schwerfälligen Riesen Verdi ist der Schwund dagegen so ausgeprägt, dass eine neue Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft Köln deshalb schon die Tarifautonomie in vielen Dienstleistungsbranchen gefährdet sieht.

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Der Teufelskreis aus sinkenden Mitgliederzahlen und geringerer Durchsetzungskraft gegenüber den Arbeitgebern ist schwer aufzubrechen. Die junge Generation organisiere sich lieber projektweise statt langfristig, meint Silvia Bühler vom Verdi-Vorstand. Und viele wüssten kaum noch, was Gewerkschaften überhaupt seien: "Wenn ich gelegentlich in Schulen der Krankenpflegeausbildung bin und mit Auszubildenden spreche, begegne ich Vorstellungen, dass die Gewerkschaft dem Staat gehört, dass sie Gesetze machen kann und so weiter. Das ist ganz schön ernüchternd."

Mit Jugend- und Ausbildungskonferenzen spricht Verdi gezielt junge Beschäftigte an. Doch selbst nach großen, öffentlichkeitswirksamen Erfolgen lassen sich neue Mitglieder nicht immer längerfristig halten. So traten nach den Streiks und Tariferhöhungen von 2015 viele Erzieherinnen neu bei Verdi ein, oft aber nach ein paar Monaten wieder aus, weil nicht genügend Ansprechpartner zur Verfügung standen, um sie bei Problemen im Job zu beraten. Die Verdi-Fachbereiche wirtschaften getrennt, so dass die kleineren weniger Geld für Personal oder Werbung haben.

Für die junge Erzieherin Pashalina Slamaris, die in einer kommunalen Kita in Stuttgart arbeitet, war es immer selbstverständlich, Gewerkschaftsmitglied zu sein. "Mein Vater war schon Betriebsrat. Und ich bin kein Fan davon, sich nur zu beschweren, aber selbst nichts zu tun", sagt sie. Unter Erzieherinnen habe gewerkschaftliches Engagement allerdings wenig Tradition. "Vor allem auf dem Land trauen sich das viele nicht, weil sich alle kennen und die Hauptamtsleitung vielleicht im selben Musikverein ist." Dazu komme das Dilemma, dass man mit Streiks den Eltern der Kita-Kinder schade, nicht aber dem Arbeitgeber. Die handgreiflich Vorteile der Mitgliedschaft, vom Rechtsschutz bis zur Lohnsteuerhilfe, würden viele ihrer Kolleginnen gar nicht kennen. Ihre Berufsgruppe würde von der Gewerkschaft der tausend Berufe jedenfalls noch nicht gezielt genug angesprochen. Slamaris: "Ich glaube, Verdi müsste sich besser verkaufen."

© SZ vom 23.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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