Eines der ersten Unternehmen, das eine neue Zeit einläutet, dürfte Twitter sein. Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schickte der Internet-Kurznachrichtendienst während der Corona-Pandemie ins Home-Office - fürs Erste, zum Schutz, wie viele andere Unternehmen auch. Doch Mitte Mai verkündete die Firma einen radikalen weiteren Schritt: Wenn die Mitarbeitenden es wollen, dürfen sie von nun an für immer daheim bleiben - oder wo auch immer sie ihrer Tätigkeit nachgehen möchten. Zurück ins Büro muss niemand, auch dann nicht, wenn irgendwann der letzte Mundschutz eingemottet ist. Die vergangenen Monate hätten bewiesen, dass die dezentrale Arbeit funktioniere, schrieb das US-Unternehmen in seinem Firmenblog.
Auch viele Menschen in Deutschland wünschten sich schon vor der Pandemie von ihrem Chef die Option auf Heimarbeit - und scheiterten in der Regel an dessen Widerwillen. 69 Prozent derjenigen, die nie zuhause arbeiten, gaben in einer Studie des Bundesarbeitsministeriums an, dass ihren Vorgesetzten die Anwesenheit im Betrieb wichtig sei. 23 Prozent sagten, Home-Office sei bei ihnen nicht gestattet, obwohl es problemlos möglich wäre - genau für diese Fälle hat Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) jüngst den Vorschlag eines Rechtsanspruchs auf Home-Office wieder ins Spiel gebracht. Wenn nicht Corona die Präsenzkultur verändert, was dann?
Gesundheit im Büro:"Wer hustet, wird jetzt schief angeschaut"
Der Arbeitspsychologe Hannes Zacher glaubt, dass künftig mehr Menschen zu Hause bleiben, wenn sie sich krank fühlen. Wer trotzdem arbeitet, schade nicht nur sich selbst, sondern auch dem Unternehmen - sogar im Home-Office.
Eine Umfrage der Online-Stellenbörse Stepstone, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, deutet nun ein immerhin zaghaftes Umdenken in den Unternehmen an: Führungskräfte in Deutschland bewerten das Arbeiten jenseits des Büros während der Pandemie demnach erstaunlich positiv - zum Teil positiver als die Mitarbeitenden selbst.
Zwei Drittel der befragten Chefs zeigten sich überrascht, wie gut die Zusammenarbeit mit digitalen Tools funktioniere. Gut 83 Prozent der Führungskräfte sind sogar der Meinung, der breite Einsatz der Technik sei eine positive Nebenwirkung der Krise. Diese Euphorie für Videokonferenzen und Chat-Programme teilen dagegen nur 77 Prozent der Mitarbeitenden ohne Personalverantwortung. Befragt hat die Stellenbörse Ende April gut 7000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Weil die Teilnahme an der Online-Umfrage freiwillig ist, lässt sich die Repräsentativität nicht garantieren. Auf interessante Unterschiede zwischen den Wahrnehmungen von Chefs und Mitarbeitern verweisen die Ergebnisse gleichwohl.
So zeigt die Umfrage auch, dass die Chefs ihr eigenes Home-Office zum Teil vergleichsweise angenehm erleben, während bei vielen Untergebenen die Zermürbung zuzunehmen scheint. Gut 37 Prozent der Mitarbeiter, die mit Kindern im Home-Office sind, sagten, es falle ihnen wegen der Doppelbelastung schwer, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Unter den Führungskräften berichten nur gut 26 Prozent von solchen Problemen. Fast 42 Prozent der Mitarbeiter im Home-Office sagten, ihre Motivation lasse nach, unter den Chefinnen und Chefs erleben das gut 35 Prozent so. Die Vorgesetzten sagen oft sogar, sie könnten sich nun besser konzentrieren.
Und wie geht es weiter, wenn die Krise abklingt? 55 Prozent der Führungskräfte erwarten, dass sich die Arbeitsorganisation in irgendeiner Form dauerhaft verändern wird. 44 Prozent sind der Meinung, Beschäftigte sollten bei gelockerten Kontaktbeschränkungen zumindest vorerst noch selbst entscheiden dürfen, ob sie wieder ins Büro kommen. Die Mitarbeitenden sehen das mehrheitlich genauso. Folgen also mehr Firmen dem Vorbild Twitter? Man wird sehen.