Hauptschüler auf Jobsuche:Nur nicht frustrieren lassen

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Wenn es am Mathelernen scheitert: Berufslotsen sollen Hauptschülern künftig bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz unterstützen. Leicht ist das nicht.

A. Lochner

Draußen gießt es aus Kübeln. Marvin fläzt sich auf den Schreibtischstuhl, legt die Arme auf die Lehnen und macht ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Auf dem Tisch vor ihm liegt ein Mathebuch und Papier. Bettina Müller steht neben Marvin, schaut ihn an. "Warum guckst du so gequält?", fragt sie. "Wegen Mathelernen", sagt Marvin schmallippig.

Schüler üben auf einer Jobmesse am schweißsimulator: Auch Berufslotsen, deren Zahl die Politik nun steigern will, helfen an Hauptschulen bei der Lehrstellensuche. Doch was auf dem Papier simpel klingt, hat in der Praxis seine Tücken. (Foto: Foto: dpa)

Es gibt sie schon

Bettina Müller ist Berufslotsin an der Elise-von-König-Schule in Stuttgart. Marvin, der in Wirklichkeit anders heißt, ist 15 und geht in die achte Klasse. Er ist einer von 20 Jugendlichen aus den achten und neunten Klassen der Hauptschule, die am Programm "Berufseinstiegsbegleitung" teilnehmen. Es sind Jugendliche, die es schwer haben, ihren Abschluss zu schaffen. Vom Finden eines Ausbildungsplatzes ganz zu schweigen.

Ende April hat Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) ein Programm vorgestellt, mit dem 3200 Berufslotsen bis zu 60.000 Hauptschülern den Weg in die Ausbildung erleichtern sollen. Ohne es besonders zu betonen, hat das Ministerium dabei Bettina Müller und ihre Kollegen miteingerechnet. Denn ein Angebot zur "Berufseinstiegsbegleitung" gibt es bereits seit Anfang 2009 an 1000 Haupt- und Förderschulen in Deutschland. 1300 Berufslotsen arbeiten darin nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit, die der Finanzier ist. So werden an den Hauptschulen nicht 3200, sondern nur 2200 neu dazukommen.

Hohe Frustrationsgrenze

Marvin ist an diesem Tag mit Bettina Müller zum Mathelernen verabredet. Als die 33-Jährige kurz den Raum verlässt, sitzt er in Jogginghose und Kapuzenpulli zwei Minuten unentschlossen da. Dann steht er auf und verlässt das Büro im Erdgeschoss der Schule. Die Rechenübungen fallen heute aus.

Bettina Müller arbeitet seit drei Jahren mit Jugendlichen im Übergang von der Schule in den Beruf. Dass sie versetzt wird, dass Absprachen nicht eingehalten werden, daran ist sie gewöhnt. "Es kommt immer wieder vor", sagt sie. Frustriert sei sie deswegen nicht. Es ist ihr Job. Die schwere Metalltür ihres Büros, das sie sich mit einem Kollegen teilt, bleibt trotzdem offen - für Hilfe in Mathe oder bei Fragen wie: Was soll ich werden? Wie schreibe ich eine Bewerbung? Wo finde ich ein Praktikum? Dafür geht sie mit den Jugendlichen auch raus aus der Schule und rein in Betriebe. Die Erfolge sind schwer messbar, drücken sich aber vielleicht in solchen Sätzen aus: "Erst durch dieses Projekt habe ich angefangen, Bewerbungen zu schreiben." Das sagt ein Schüler, der in der Pause kurz bei Müller vorbeischaut.

Langfristige Hilfe in den Beruf

Stuttgart ist eine von 27 Kommunen in Deutschland, in denen es ein sogenanntes regionales Übergangsmanagement gibt - außer der Berufseinstiegsbegleitung ist hier ein ganzes Netzwerk für den Übergang von der Schule in den Beruf entstanden. An etwa der Hälfte der 35 Hauptschulen existieren zumindest für einige Schüler individuelle und langfristige Hilfen beim Weg in den Beruf.

Neben professionellen Sozialarbeitern wie Müller sind auch etliche Ehrenamtliche engagiert, beispielsweise im Projekt "Startklar", das es schon seit 2004 gibt: Alle zwei Wochen gehen Senioren an Hauptschulen, um mit jeweils vier Schülern zu arbeiten. Der Lehrer ist als Ansprechpartner im Hintergrund. "Sie haben vielen Kindern eine Chance ermöglicht, bei denen es eigentlich hoffnungslos war", sagt Claudia Grimaldi, die das Senioren-Projekt leitet.

Ihre Erfolgsquote: Zumindest vor der Wirtschaftskrise haben es die Senioren an den betreuten "Brennpunktschulen" geschafft, dass statt zehn immerhin 20 Prozent einen Ausbildungsplatz bekommen haben. Für den Rest seien passende Plätze, zum Beispiel an weiterführenden Schulen, gefunden worden. Seit der Wirtschaftskrise jedoch ist die Lage schwieriger.

Misserfolg und Undank

1000 der 2200 neuen Berufslotsen aus Schavans Programm werden Senioren sein, die ehrenamtlich arbeiten. Ähnlich wie in Stuttgart sollen sie sich nur um wenige oder einen Schüler kümmern. Sie werden voraussichtlich eine zweitägige Schulung bekommen, dann aber relativ selbständig mit den Schülern arbeiten.

Der Sozialarbeiter Wolfgang Riesch fragt sich, ob das die Ehrenamtlichen nicht überfordert: "Man studiert nicht umsonst vier Jahre, um den Job gut machen zu können." Riesch koordiniert die hauptamtlichen Berufslotsen in Stuttgart an der Elise-von-König-Schule und vier weiteren Hauptschulen. Knackpunkt sei die "professionellen Beziehungsgestaltung", sich durch Misserfolg und Undank nicht frustrieren zu lassen, weiter für die Jugendlichen da zu sein. Gut fände er, wenn Ehrenamtliche und Sozialarbeiter im Tandem arbeiten würden. Vorgesehen ist das laut Ministerium nicht, zumal Schavans neues 755-Millionen-Euro-Programm auch so nicht alle deutschen Hauptschulen abdecken wird.

Erfolg ist ungewiss

Im Sommer verlassen die ersten neun betreuten Schüler die Elise-von-König-Schule. Zwei haben derzeit einen Ausbildungsplatz, sagt Bettina Müller. Ob das bundesweite Programm ein Erfolg wird? Sicher weiß das noch keiner, eine wissenschaftliche Studie dazu läuft. Warum Annette Schavan trotzdem schon jetzt die Ausweitung verkündet hat? Sozialarbeiter Riesch kann es nicht verstehen.

© SZ vom 10.5.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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