Debatte um Führungsstil:Trümmerfrau Angela

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Jenseits von testosterongesteuerten Hahnenkämpfen: Im Gemaule über Angela Merkels "Stil" offenbart sich vor allem eines: Die Führungsfrage wird von zu vielen Männern gestellt.

Dagmar Deckstein

Wie so vieles andere auch war für den ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik konsequente Führung eine vermeintlich ganz simple Angelegenheit: "Nehmen Se de Menschen, wie se sind. Andere jibt et nich." Dass schon gegen diese so einleuchtende wie beherzigenswerte Maxime im Alltagsführungsverhalten nach Strich und Faden verstoßen wird, dass, zumal in Großorganisationen und Konzernen, der Faktor Mensch gar nicht erst ins Visier der Chefstrategen gerät, darüber gibt es nicht nur Klagen, sondern auch Belege zuhauf.

Sie pfeift auf testosterongesteuerte Hahnen- und Revierkämpfe. (Foto: Foto: AFP)

Wenn schon nicht auf Konrad Adenauer, so doch explizit auf Helmut Kohl beruft sich die amtsinhabende Bundeskanzlerin Merkel, wenn sie nach ihrem Führungsverständnis gefragt wird: "Ich halte es mit Helmut Kohl: Entscheidend ist, was hinten rauskommt. Ich habe bei ihm gelernt, dass es besser ist, nicht immer schon am Anfang zu entscheiden und ,basta!´ zu rufen." Am Merkel'schen Führungsstil wird im übrigen öffentlich herumgemäkelt, seitdem sie - erst als Parteichefin, dann auch als Kanzlerin - Top-Führungsrollen auf der politischen Bühne spielt, also schon ein Jahrzehnt lang. Und wenn sie sagt: "Mir schwebt ein kameradschaftlicher Stil vor, mein Ansinnen ist, nicht bei jedem Konflikt noch ein neues Fass aufzumachen", dann sind manche geneigt, diese dezidierte Nicht-Basta-Rhetorik, das Pfeifen auf testosterongesteuerte Hahnen- und Revierkämpfe, als Schwäche auszulegen.

Ein ganz großes Fass besonderer Art hat Angela Merkel in der politischen Führungsgeschichte der Bundesrepublik selbst aufgemacht, indem sie das noch nicht lange zuvor Undenkbare verkörpert, nämlich als Frau in eine Führungsposition an der oberen Spitze eingezogen zu sein. Mit ihrer Kameradschaftlichkeit war es allerdings nicht stets und ständig weit her, wovon couragiert abservierte Parteikameraden von Helmut Kohl höchstselbst über Friedrich Merz bis Wolfgang Schäuble ein Lied zu singen wissen.

Frauen fühlen anders

Dennoch entspricht es wohl dem gegenwärtigen Stand der Erkenntnisse, dass Frauen anders führen. Wenn sie denn, was immer noch selten genug der Fall ist, überhaupt Führungspositionen erklimmen, womit die empirische Auswahl an Forschungsobjekten ohnehin dünn gesät ist. Dem Firmeninformationsdienst Databyte zufolge sind von 1,2 Millionen Führungskräften in 913.000 registrierten Unternehmen gerade mal 208.000 Frauen. Ganz oben aber, in den 30 Dax-Unternehmen, findet sich nur eine einzige Frau, Barbara Kux im Siemens-Vorstand. Führung also. Wo immer sich Menschen organisieren, um gemeinsam freigewählte oder vorgegebene Ziele zu erreichen, geht es nicht ohne.

Schon gar nicht, wenn nicht nur die Macht, sondern auch viel Geld alias Profit auf dem Spiel steht, weswegen sich mit Literatur und Studien zu Führungskunst, -philosophie und -verhalten in Wirtschaftsunternehmen inzwischen ganze Bibliotheken füllen lassen. Aber auch Gablers Wirtschaftslexikon zum Beispiel definiert die Sache eher in Adenauer'scher Schlichtheit: "Führung wird allgemein als psychologische und soziale Fähigkeit einer Person im Umgang mit Menschen betrachtet." Wie Führung allgemein nicht nur betrachtet, sondern praktiziert wird, steht wiederum auf einem anderen Blatt.

Kein Interesse am Menschen

Zum Beispiel in jener wohl mit am häufigsten zitierten Studie des Marktforschungsinstituts Gallup, das nun schon zum neunten Mal in Folge seine jährlichen Horror-Umfrageergebnisse publiziert hat. Danach liegt Deutschland international noch immer auf den hintersten Plätzen, was Mitarbeitermotivation angeht: Nur 13 Prozent der deutschen Arbeitnehmer verspüren eine echte Verpflichtung gegenüber ihrem Unternehmen und arbeiten sehr engagiert. 20 Prozent dagegen haben bereits innerlich gekündigt. Der große Rest ist emotional nur gering an sein Unternehmen gebunden, schiebt Dienst nach Vorschrift und lässt pünktlich um fünf den Stift respektive Hammer fallen. 69 Prozent nennen als Grund für ihre innere Emigration, dass ihre Vorgesetzten kein Interesse an ihnen als Mensch zeigten. Da sind sie wieder, die Menschen "wie se sind."

Und wie sie eben so sind, lassen sie dann auch ihren König wahlweise Manager alt und erfolglos aussehen, getreu der uralten Theaterregel, dass den König immer die anderen spielen. Wenn sie nicht mitspielen und ihm in Worten und Gesten Respekt und Demut erweisen, hat Majestät ausgespielt. Zum Führen gehört also immer auch Geführt-Werden-Wollen, womit es in individualisierten, permissiven Gesellschaften nun auch nicht unbedingt und immer zum Besten bestellt sein mag. Aber Führen will dennoch auch erst gelernt sein, was im übrigen eine recht junge historische Erkenntnis ist.

Führung als Begabung

Noch vor 50 oder 60 Jahren hätte kein Hahn nach einer Gallup-Studie oder jeder Menge anderer Befindlichkeitsmessungen im Verhältnis Führende und Geführte gekräht. Bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts genossen Führungskräfte einen ähnlichen Nimbus wie zum Beispiel Journalisten, die angeblich keine Ausbildung brauchten, sondern nur Begabung und Berufung.

So herrschte auch in Wirtschaft und Organisationen die Meinung vor, Führung sei ein unerklärliches Phänomen; es sei einfach eine Begabung besonderer charismatischer Persönlichkeiten. So kann man intuitiv alles richtig machen oder auch grottenschlecht führen. Einer, der schon beizeiten Ordnung in beobachtetes Führungsverhalten zu bringen versuchte, war der Psychologie-Pionier Kurt Lewin (1890-1947), der zwischen dem autoritär-hierarchischen, demokratisch-kooperativen und dem Laisser-faire-Führungsstil unterschied.

Damit war aber noch lange nicht gesagt, unter welchen Umständen welcher Stil besser oder schlechter angebracht wäre. Dass aber ein bestimmtes Führungsverhalten ganz entscheidend dazu beizutragen scheint, "was hinten 'rauskommt", ist heute unbestritten.

Angela Merkel auf ständiger Bergtour
:Das ist der Gipfel!

Bundeskanzlerin Angela Merkel regiert gerne von allerhöchster Stelle aus - auf dem Gipfel löst sie jedes Problem. Bei schwerem Gepäck werden eben die Schritte verkleinert. Kein Wunder, dass manch einer höhenkrank wird.

Jenseits inzwischen reichlich verfügbarer Führungs-Folklore, von Halbwissen, Modewellen und Scharlatanerie gespeist, kam der amerikanische Management-Experte Jim Collins in seinem epochemachenden Werk "Der Weg zu den Besten. Die sieben Management-Prinzipien für dauerhaften Unternehmenserfolg" zu verblüffenden Erkenntnissen.

In seiner empirischen Arbeit, wie gute, mittelmäßige oder sogar schlechte Unternehmen zu Spitzenunternehmen emporwachsen können, war er selbst "überrascht, ja beinahe schockiert" über die ausgegrabenen Führungsqualitäten der Spitzenleistungs-Manager: "Sie sind still, leistungswillig bis zur Selbstaufgabe, zurückhaltend, ja fast schüchtern - eine paradoxe Mischung aus Bescheidenheit, was ihre Person angeht, und professioneller Willenskraft in allen Belangen des Geschäftslebens. Sie erinnern eher an Lincoln und Sokrates als an General Patton oder Cäsar." So viel zum angeblich benötigten Charisma.

Take-off Manager

Außerdem, fand Collins heraus, handelten diese Take-off-Manager, wie er sie nennt, auch anders als erwartet. Sie verkündeten nicht zuerst ihre Vision und Strategie, sondern das Erste, was sie taten, "war die falschen Leute rauszuwerfen, die richtigen an Bord zu holen und auf die richtigen Positionen zu verteilen. Das alte Sprichwort ,Mitarbeiter sind das wichtigste Kapital' erweist sich als falsch. Das wichtigste Kapital sind die richtigen Mitarbeiter."

Dass das in einer Volkspartei nur bedingt umzusetzen ist, liegt auf der Hand, weswegen wohl kein Herumkommen um Adenauers Führungsmaxime ist. Wobei sich in der CDU wohl gerade einmal wieder jene Führungsphilosophie Bahn bricht, die der Wirtschaftspsychologe Felix Brodbeck von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität als typisch deutsch ausgemacht hat.

In seinem Forschungsprojekt "Global Leadership and Organizational Behavior Effectiveness" kommt er zur ernüchternden Erkenntnis: "Die besondere Nachricht aus Globe ist, dass deutsche Manager Humanorientierung noch nicht einmal bei einer hervorragenden Führungskraft erwarten. Das kann bedeuten, dass ein Mangel an sozialer Kompetenz bei Managern in Deutschland weithin akzeptiert oder zumindest toleriert wird. In Deutschland heißt führen immer noch, hart zu sein in der Sache und hart zu den Beschäftigten."

Es herrscht Führungs-Dilettantismus

Es ist schon eine rechte Krux mit der Führung. Einerseits ist sie gar nicht hoch genug einzuschätzen für den Erfolg, andererseits herrscht offenbar ein weitverbreiteter Führungs-Dilettantismus in den Chefetagen. Der angesehene kanadische Management-Experte Henry-Mintzberg hat sich so seinen Reim auf letzteres Phänomen gemacht und die massenhafte Verbreitung des MBA, des "Master of Business Administration" als Ursache ausgemacht.

Die zeitgenössische Managerausbildung sorge dafür, dass die Studenten 20 Seiten Fallstudien über ein Unternehmen läsen und sich für Experten hielten. Sie würden trainiert, Zahlen zu analysieren und schnelle Entscheidungen zu treffen. Und wenn sie dann Manager in einem Unternehmen sind, entscheiden sie genauso oberflächlich, wie sie es gelernt haben. "Jedem Absolventen eines herkömmlichen MBA-Programms sollte man daher eine Warnung auf die Stirn stempeln: Auf Führungsaufgaben nicht vorbereitet", klagt Mintzberg.

Einer der Beklagten, ein Topmanager, reicht, wenn auch nur unterm Deckmantel der Anonymität, den Vorwurf postwendend zurück und stöhnt über seine Rollenzuweisung, den Hyper-König der Geschäftswelt mimen zu sollen: "Selbstkritisch, intelligent und einfühlsam, kreativ, innovativ und den Mitarbeitern ein ständig zugewandter Coach, ethisch einwandfrei und ganzheitlich orientiert, dabei produktiv und effizient bis zum Gehtnichtmehr, und das alles selbstredend ohne auch nur ansatzweise auf den persönlichen Nutzen zu achten. Kurz: Nietzsches Übermensch im Managergewand. Oder einer, der in einer Person eine Kreuzung aus Alexander dem Großen, Albert Einstein und Thomas Gottschalk verkörpert."

Kreuzung aus Cleopatra, Mutter Teresa und Maybritt Illner

Aber wie wäre es mit einer Kreuzung aus Cleopatra, Mutter Teresa und Maybritt Illner? Einen entsprechenden Notruf setzte der frühere McKinsey-Chef Jürgen Kluge im vergangenen März, auf dem Höhepunkt der Krise, im Manager Magazin ab: "Trümmerfrauen gesucht." Unternehmen sollten verstärkt auf Frauen in Führungspositionen setzen, weil das nicht nur dem Arbeitsklima gut täte, sondern sich auch nachweislich positiv aufs Unternehmensergebnis auswirke. "Auf einen Nenner gebracht: Sie legen ein Führungsverhalten an den Tag, das sich als besonders effektiv erweist bei der Bewältigung von ökonomischen und gesellschaftlichen Herausforderungen."

Die von Männern favorisierten Führungspraktiken "Kontrolle und Korrekturmaßnahmen" sowie "individualistische Entscheidungen", so Kluge, rangierten hingegen am unteren Ende der Effektivitätsskala, und im übrigen habe die Finanz- und Wirtschaftskrise gezeigt, dass diese weitverbreiteten Führungsmethoden längst keine Erfolgsgaranten seien. Damit wäre das Ende des heroischen Managements eingeläutet, wenn auch nur auf dem Papier. Man darf gespannt sein, ob sich Kluge als neuer Haniel-Chef an seine eigenen klugen Ratschläge halten wird. Kämen doch die von Frauen bevorzugten Führungspraktiken "Mitarbeiterentwicklung", "Inspiration", "Mitbestimmung" und "Erwartungen und Belohnungen" den Unternehmen besonders zugute.

Müllhaufen der Wirtschaftsgeschichte

Auch der Bundesrepublik Deutschland im allgemeinen, der Koalition und der CDU im besonderen? Bisher kann man Angela Merkel eigentlich nicht vorwerfen, ihr Führungsstil habe nur Misserfolge produziert. Bei Lichte betrachtet läuft das derzeitige laute Knurren über selbigen auf nichts anderes hinaus, als dass von ihr ebenjene männlichen Führungspraktiken angemahnt werden, die der McKinsey-Mann soeben auf den Müllhaufen der Wirtschaftsgeschichte expediert hat.

Als Trümmerfrau kam sie jedenfalls der nach der Kohl'schen Parteispendenaffäre desolat darniederliegenden Partei gerade recht. Die Bundeskanzlerin kann sich einstweilen mit dem französischen Essayisten Michel de Montaigne trösten, der schon im 16. Jahrhundert erkannte: "Die Frauen haben nicht unrecht, wenn sie sich den Vorschriften nicht fügen wollen, welche in der Welt eingeführt sind. Weil die Männer sie verfaßt haben, ohne die Frauen zu fragen."

© SZ vom 16.01.2010/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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