Transgender:Hohe Schuhe erlaubte der Chef erst, als sie offiziell eine Frau war

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Auf dem Christopher-Street-Day sind Stöckelschuhe in jeder Art willkommen. In manchen Büros nur, wenn als Frau Geborene sie tragen. (Foto: AFP)

Dana hieß früher Daniel. Als die Produktmanagerin sich am Arbeitsplatz offenbarte, verlor sie eine Zuständigkeit nach der anderen. Und am Ende den Job.

Von Lea Weinmann

Schwarze Kniestiefel mit silberner Frontschnürung, kurzes Kleid, blonde Haare, lange Wimpern - als Dana Diezemann ihren Arbeitskollegen auf einem Weinfest zum ersten Mal als Frau begegnete, stand eine bis in die Haarspitzen gestylte Frau vor ihnen. "Ja, es war etwas nuttig an der Stelle", sagt sie heute und lacht. Aber so sei das eben. Das Pendel schlage erst einmal komplett in die andere Richtung aus: wenn schon von Mann zu Frau, dann richtig!

Die Wimpern waren aufgeklebt, das Haar war nur eine Perücke. Viele Schichten Schminke überdeckten den Bartansatz, das kurze Kleid verhüllte das Korsett und die Silikonbrüste darunter.

Dana Diezemann ist transident, sie gehört von Geburt dem männlichen Geschlecht an, identifiziert sich aber als weiblich. Dafür gibt es heutzutage viele Begriffe: transsexuell, transgender - aber wie viele andere Betroffene bevorzugt Dana den Begriff "transident", denn der lege den Fokus nicht auf die Sexualität oder das Geschlecht der Betroffenen, sondern auf ihre Identität. Bereits vor ihrem Auftritt auf dem Weinfest im September 2013, wo sich die Belegschaft nach der Arbeit traf, hatte sie - damals noch Daniel - den Kollegen angekündigt: Daniel kommt heute nicht, es kommt seine Schwester.

Vier Jahre später ist sie arbeitslos

"Der Hälfte war es klar", erzählt Dana, den anderen ging "der Unterkiefer nicht mehr hoch", als Dana anstelle von Daniel vor ihnen stand und damit ihren Übergang vom Mann zur Frau öffentlich machte. Manche schossen Selfies mit der Kollegin und machten ihr Komplimente - Diezemann fühlte sich ein bisschen wie im Zoo. "Aber ich wurde aufgenommen, und ich war erleichtert: Endlich ist es raus!"

Vier Jahre später ist Diezemann arbeitslos. Ihren Beruf als leitende Produktmanagerin bei einem Hersteller für Industriekameras hat sie im November 2017 gekündigt - offiziell ist sie freiwillig gegangen. Diezemann beschreibt die Realität anders: "Letztlich bin ich rausgeworfen worden."

Innerlich war sie schon immer eine Frau, erklärt die 52-Jährige. Sie wusste es nur lange Zeit nicht. "Ich habe in meiner männlichen Rolle funktioniert", sagt sie. Als Daniel verhielt sie sich jedoch eher so, wie man es Frauen zuschreibt - auch in der Arbeit: Sie traf Entscheidungen anders, weniger nach Logik und Rationalität, sondern nach Bauchgefühl. "Dann saßen mir Männer gegenüber, die eine rationale Erklärung haben wollten, die ich nicht liefern konnte." Diezemann wurde wie ein Mann "gelesen und behandelt" - das konnte nicht funktionieren, sagt sie.

Ihr Chef verbat Dana Diezemann, in Frauenkleidung zur Arbeit zu kommen - bis sie zur gerichtlichen Namens- und Personenstandsänderung im Herbst 2015. (Foto: Sandra Wolf / CC BY-SA 4.0)

Erst 2012 kam der Umbruch: Daniel schlüpfte in die Kleider der Ehefrau, erst nur zu Hause, heimlich und privat. Nach und nach folgten die ersten vorsichtigen "Stöckelversuche" vor der Tür; Dana wurde zur "Teilzeitfrau", wie sie es beschreibt: Von Montag bis Freitag ging sie als Mann zur Arbeit, am Wochenende probierte sie sich als Frau aus. Doch die Teilzeitfrau war keine Dauerlösung, das Versteckspiel mit der eigenen Identität wurde zur Belastung: "Das zerreißt dich", sagt sie rückblickend.

Im Job war Diezemann sehr geschätzt. Mit dem öffentlichen Coming-out auf dem Weinfest änderte sich das, erzählt sie: "Als klar wurde, aus Daniel wird jetzt Dana, ging es los." Die Probleme begannen schleichend. Stück für Stück verlor die Produktmanagerin ihre Zuständigkeiten an neue Kollegen. Plötzlich leitete sie das Produktmanagement nicht mehr, sondern war Beraterin. "Consultant hieß mein Job dann." Die Schulungen, die sie hielt, wurden auf Video aufgezeichnet. "Damit man das mal sicher habe", hieß es. Im Nachhinein meint Diezemann zu wissen, dass es Taktik war: "Man wollte mich ersetzen."

Die Restriktionen mehrten sich: Diezemann - zuvor ständig unterwegs - hatte bald "Messeverbot", erzählt sie. "Ich durfte nicht sichtbar sein. Meine Frau sagt, sie haben sich geschämt für mich." Dana Diezemann wurde vor der Außenwelt versteckt. In den letzten Wochen und Monaten saß sie tagelang ohne Arbeit im Büro. "Mein Gehirn habe ich abgegeben." Bis zur gerichtlichen Namens- und Personenstandsänderung im Herbst 2015 war es ihr außerdem verboten, bei der Arbeit als Frau aufzutreten. Keine Kleider, kein Nagellack, keine Absatzschuhe, kein neues Namensschild.

Als das Unternehmen dann noch versuchte, sie mittels eines Vorwands abzumahnen, war der 52-Jährigen klar, dass man sie "raushaben" wolle. Das traf sie schwer, denn Diezemann liebt ihren Beruf. "Ich war am Boden", sagt sie. Wenn sie über ihre Erlebnisse spricht, verwendet sie heute den Begriff Mobbing.

Die Firma will sich auf SZ-Nachfrage nicht dazu äußern. Diezemann ist kein Einzelfall. Dass transidente Personen Opfer von Diskriminierung, Mobbing oder gar Gewalt am Arbeitsplatz werden, ist nach einer Studie des Instituts für Diversity- und Antidiskriminierungsforschung (IDA) vom November 2017 eher die Regel als die Ausnahme. 83 Prozent der befragten Transidenten wurden demnach schon in "mindestens einer Form" am Arbeitsplatz diskriminiert. Fast ein Drittel gab an, Opfer von Mobbing oder Psychoterror gewesen zu sein. Insgesamt, so das Fazit der Studie, erleben transidente Personen "deutlich häufiger" Diskriminierung als lesbische oder schwule Beschäftigte.

Dana Diezemann ist eine starke Frau. Selbstbewusst, ein bisschen laut, manchmal gar vorlaut und "eine Labertasche", sagt sie selbst. Daniel war das Gegenteil. Die Wandlung zur Frau hat sie nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich ordentlich umgewühlt. Sie gibt zu, in dieser "Findungsphase" auch schwierig gewesen zu sein. Darauf habe man im Betrieb teilweise Rücksicht genommen. Die weiblichen Kollegen hätten ohnehin hinter ihr gestanden. Immer wieder betont sie, in erster Linie Schwierigkeiten mit Männern zu haben.

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Keiner habe jemals offen zu ihr gesagt, dass man sie im Betrieb nicht haben wolle. Nur ein Vorgesetzter suchte offen das Gespräch: Er habe mit ihrer Wandlung ein Problem, sagte er. Nach einer halbstündigen Unterhaltung schenkte er ihr eine kleine Bibel - sie solle auf die Schrift vertrauen und ihre Kraft daraus ziehen. Das kann man so oder so interpretieren, aber Diezemann nennt das Gespräch heute "wertvoll": "Der war wenigstens ehrlich."

Ein männlicher Vorgesetzter war es auch, der ihr im Jahr 2017 sagte, sie sei für das Unternehmen "nicht mehr tragbar". Noch heute schüttelt Diezemann den Kopf: "Ich hatte doch nichts getan, ich hatte doch nichts Ansteckendes!" Doch irgendwann gab sie den Kampf auf, handelte eine ordentliche Abfindung aus und ging.

Das Jobcenter denkt: unvermittelbar

Danach fiel sie in die Arbeitslosigkeit. Auch das sei keine Seltenheit im Lebenslauf transidenter Personen, bestätigt Petra Weitzel, die den Verein "Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität" (DGTI) leitet und in der Szene gut vernetzt ist. Nach einer Kündigung wieder einen Job zu finden, falle vielen Transidenten schwer, sagt sie: "Im Jobcenter herrscht leider sehr oft die Annahme: unvermittelbar." Und Diezemann bestätigt: "Die meisten Transidenten verlieren ihre Beziehung, die meisten verlieren ihren Job. Und einige verlieren sich selbst."

Dana Diezemann versucht, sich in der Selbständigkeit "durchzubeißen", als freie Fachberaterin für Kameras. Sie war schon immer Freigeist, Querdenker. "Ich mache mein Ding", sagt sie. In ein festes Arbeitsverhältnis möchte sie gar nicht mehr zurück. Von der durchgestylten Dana, die im September 2013 unsicher über das Weinfest stöckelte, ist heute nicht mehr viel zu sehen: Sie trägt jetzt längere Kleider, die Perücke ist dem schulterlangen, etwas schütteren Echthaar gewichen. Der Bart - früher aufwendig überschminkt - wurde in zig schmerzhaften und kostspieligen Sitzungen entfernt. Diezemann hat ihre Mitte gefunden, zumindest äußerlich. Nebenbei hat sie eine neue Leidenschaft entdeckt: Sie moderiert eine Talksendung bei einem freien Radiosender, erzählt ihre Geschichte auf Konferenzen, träumt von der Moderation einer eigenen Fernsehshow.

Premiere im Radio: Dana Diezemann bei ihrer ersten Sendung im August 2017. (Foto: Lea Weinmann / CC BY-SA 3.0 de)

Dass Transidente mit ihrer Identität und Angleichung so offen umgehen wie Dana Diezemann, ist selten. Nach der Studie der IDA sprechen "70 Prozent aller trans*-Befragten" mit wenigen oder gar keinen Kollegen und Führungskräften über ihre Geschlechtsidentität. Das überrascht umso mehr, betont die Studie doch die besondere "lebensgeschichtlich bedingte" Kompetenz, die Transidente mit sich brächten.

Diezemann kann da nur zustimmen. Sie verstehe beide Welten, die der Männer wie die der Frauen. "Ich bin der Klebstoff zwischen verschiedenen Charakteren, ich bringe sie alle zusammen." Hinzu komme: Seinen Körper und sein Leben komplett umzukrempeln, sei "schon eine harte Nummer". Wer das schaffe, den werfe auch beruflich nichts mehr aus der Bahn.

Wie es weitergeht, weiß Dana Diezemann noch nicht - finanziell ebenso wenig wie persönlich. Das macht ihr Angst. Doch sie bereut keinen ihrer Schritte, denn auch wenn es sich vielleicht nicht so anhöre: "Ich habe momentan das beste Leben. Es tut richtig gut, endlich ich zu sein - ohne mich zu verbiegen."

© SZ vom 06.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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