Coming-out:"Es geht ja nicht darum, über Sex zu sprechen"

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Nur jedes dritte deutsche LGBT-Talent offenbart sich im Job.

(Foto: nito / Fotolia)

Im Kampf für Gleichberechtigung ist einiges vorangekommen. Im Beruf geht das Versteckspiel jedoch weiter. Warum sich die meisten Schwulen, Lesben und Transgender am Arbeitsplatz nicht offenbaren.

Von Gunda Achterhold

Montagmittag, die Kollegen stehen zusammen und erzählen vom Wochenende. Die einen reden mehr, die anderen weniger. Nicht jeder hat gleich viel Lust, am Arbeitsplatz über sein Privatleben zu plaudern. So weit, so normal. Für homosexuelle Mitarbeiter werden alltägliche Szenen wie diese jedoch häufig zum Dilemma: Wie reagieren die anderen, wenn man als Frau vom Ausflug mit der Partnerin erzählt oder vom Christopher Street Day, bei dem man mitgelaufen ist?

"Es kann ein Wagnis sein", sagt Bettina Robrecht, Vorstandsfrau der Wirtschaftsweiber, eines bundesweiten Netzwerks für lesbische Fach- und Führungskräfte. Denn es gebe kein Zurück. "Einmal geoutet, habe ich das Label. Das sollte man sich am Anfang überlegen." Die 50-jährige Juristin ist mit "kontrollierter Offenheit" ihren Weg gegangen. "Wer fragte, bekam eine ehrliche Antwort", sagt die Leiterin für den Beschäftigten- und Kundendatenschutz bei der Deutschen Bahn. Sie hat es eher unbewusst so gemacht - und ist damit gut gefahren. "Jobmäßig hat mir die Offenheit nicht geschadet, aber es gab schon gelegentlich komische Sprüche."

Ehe für alle, Regenbogenfamilien und homosexuelle Prominente an der Spitze von Politik und Gesellschaft: Im Kampf für die Gleichberechtigung ist einiges vorangekommen. Im Beruf geht das Versteckspiel jedoch weiter. Die Mehrheit der LGBT, also der Lesben, Schwulen, Bisexuelle und Transgender, verschweigt nach wie vor ihre sexuelle Orientierung oder Identität im Job.

"Was sagt man, was sagt man nicht - diese Frage beschäftigt eigentlich alle", sagt Annika Zawadzki von der Beratungsfirma Boston Consulting Group, die eine Umfrage unter LGBT-Nachwuchskräften durchgeführt hat. Die Zahlen haben es in sich: Nur jedes dritte deutsche LGBT-Talent offenbart sich im Job, 22 Prozent der Befragten betrachten ein Coming-out als Karriererisiko. "Dabei geht es ja nicht darum, am Arbeitsplatz über Sex zu sprechen", sagt Zawadzki. "Die sexuelle Orientierung ist vielmehr eine Frage der Identität. Natürlich spielt es eine Rolle, mit wem ich zusammen bin." Die Angst vor möglichen Konsequenzen ist jedoch groß. So groß, dass 42 Prozent im Gespräch mit Vorgesetzten sogar über ihre sexuelle Identität und Orientierung lügen.

Auf der Liste der geouteten Top-Führungskräfte findet sich kein Vorstand

Eine schlechte Strategie, findet Matthias Weber. "Aus der Nummer kommt man nur schwer wieder raus." Der Manager einer deutschen Großbank ist Vorstandsvorsitzender des Völklinger Kreises, des Berufsverbands für schwule Führungskräfte und Selbständige. Ein Teil der etwa 700 Mitglieder hält sich am Arbeitsplatz bedeckt. Auch Weber hat im Lauf seiner Karriere Versuche von Diskriminierung erlebt, anstehende Beförderungen wurden von Mitbewerbern benutzt, um seine sexuelle Identität ins Spiel zu bringen.

Durch sein Amt beim Völklinger Kreis hat sich der 44-jährige Düsseldorfer vor wenigen Jahren auch in der Öffentlichkeit geoutet. Die Menschen um ihn herum wussten schon immer Bescheid, auch im Job. "Wie soll ich als Führungskraft authentisch sein, wenn ich mich verstecke?", fragt er. Dennoch würde er nicht dazu raten, sich in jedem Fall so früh wie möglich zu outen. Er hält Vorbilder, auch in den Führungsetagen, Mentoren und Netzwerke für ein wichtiges Indiz für die Offenheit eines Unternehmens. "Etwa zehn Prozent der Bevölkerung sind nach Studien homosexuell", sagt Weber. "Wenn die nicht zu sehen sind, würde ich lieber noch mal darüber nachdenken, welche Kultur mein Arbeitgeber vorlebt."

Der Schritt in die Öffentlichkeit kostet Mut, das stellte der Düsseldorfer auch als Mitglied einer Jury fest, die 2018 eine Liste der Top 100 in Deutschland geouteten Führungskräfte erstellte. Ein Vorstand oder eine Vorstandsfrau sind nicht dabei. "Sie existieren sehr wohl, wollten aber nicht auf die Liste", sagt Weber.

Dabei kostet es unglaublich viel Kraft, die Fassade nach außen aufrechtzuerhalten. "Ein völlig unnötiger und sinnloser Energieaufwand", sagt Klaus-Stefan Hohenstatt, Partner der Anwaltssozietät Freshfields Bruckhaus Deringer in Hamburg. Er hat sich deshalb schon als junger Anwalt vor 25 Jahren dazu entschieden, offen mit dem Thema umzugehen. "Diese Energie steckt man besser in die Arbeit und in die eigene Weiterentwicklung", sagt er. "Erfolg im Berufsleben setzt voraus, dass man authentisch sein darf."

2011 gründete er bei Freshfields in Deutschland die firmeninterne LGBT-Gruppe "Halo". An vielen Türen der Sozietät pappen inzwischen kleine Regenbogenflaggen, mit denen auch Kolleginnen und Kollegen, die sich nicht als LGBT identifizieren, ihre Solidarität zeigen. "Solche Netzwerke senden kanzleiintern und auch in den Bewerbermarkt ein wichtiges Zeichen", sagt Jörg Hahn, der 2012 bei Freshfields begann und heute ein großes Team führt. "Sie signalisieren, dass jeder willkommen ist und es keinen Grund gibt, sich zu verstecken."

Die Persönlichkeit ist viel mehr als nur die sexuelle Orientierung

Der 40-jährige Wirtschaftsjurist Hahn hatte sich erst spät geoutet und war überrascht, wie einfach und selbstverständlich dies in seinem Job bei Freshfields ablief. "Ich folgte der Einladung unseres Halo-Netzwerkes, alles Weitere ergab sich dann wie von selbst", erzählt er. "Ich hatte nie das Gefühl, mich verstellen zu müssen und konnte von Anfang an ich selbst sein." Aus dieser Erfahrung heraus kann Hahn nur dazu ermutigen, diese Chance zu nutzen. "Wenn man erst mal damit angefangen hat, sich zu verstecken, fällt es später schwer, sich daraus zu befreien."

Das gilt besonders für Berufsanfänger, die erste Zeit im Job ist ohnehin von vielen Unsicherheiten geprägt. "Man ist jung, kennt niemanden und hat auch fachlich noch kein Standing", sagt Marie-Charlotte Boufflers. Die Französin kam als Werkstudentin nach Deutschland, seit sechs Jahren arbeitet sie bei einem Automobilzulieferer in Baden-Württemberg.

"Am Anfang habe ich nicht viel gesagt", erzählt die 31-jährige Ingenieurin. Nach und nach erweiterte sie den Kreis der Kollegen, denen sie Vertrauen schenkte. "Man kommt ins Gespräch, spürt echtes Interesse und dann ergibt es sich häufig einfach." Boufflers hat mit diesem "Zwiebelprinzip", wie sie es nennt, gute Erfahrungen gemacht und spricht heute im Job offen über ihr Leben. Doch in ihrem Freundeskreis ringen viele noch um die richtige Strategie.

Negative Folgen lassen sich nur schwer beweisen. "Es geht weniger darum, dass mir ein Arbeitgeber einen Job nicht geben will", sagt Bettina Robrecht, sondern eher um "strukturelle Diskriminierung". Und: "Man darf nicht vergessen, wir sind gleichzeitig ja auch Frauen." Diese doppelte Hürde spiegelt sich in den Ergebnissen der BCG-Studie wider: Frauen outen sich mit 43 Prozent deutlich seltener als Männer mit 57 Prozent.

Unangenehm werde es, wenn männliche Kollegen sich bemüßigt fühlten, auf vermeintlich weibliche oder unweibliche Attribute anzuspielen. "Betone doch mal deine weibliche Seite" oder "Ist die bossy!" - solche Sprüche hat Robrecht in den letzten 20 Jahren immer wieder gehört. "Vielleicht ist es auch ein Zeichen von Verunsicherung, weil bestimmte Mechanismen nicht funktionieren", vermutet die Abteilungsleiterin. "Die Kunst liegt darin zu unterscheiden: Ist das jetzt Homophobie oder einfach nur ein willkommener Anlass, mich schief anzusprechen?"

Erst kürzlich erhielt Robrecht die Anfrage einer verunsicherten jungen Frau. Im Bewerbungsgespräch hatte sie sich anhören müssen, sie solle sich doch mal ein bisschen schminken. In solchen Momenten kann sich die Managerin nur noch an den Kopf fassen: "Wer will in einem Unternehmen arbeiten, das auf solche Nebensächlichkeiten abstellt?"

Robrecht unterstützt Frauen darin, sich für schwierige Situationen zu wappnen, ihr Können selbstbewusst zu präsentieren, sich auf ihre fachliche Kompetenz zu besinnen - und vielleicht auch mal ein bisschen mutiger zu sein. "Die sexuelle Orientierung ist schließlich nur eine Facette der Persönlichkeit."

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